Levin Schücking

Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe


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muß, mich gebracht hat. Hören Sie mich: Ich bin unter dem Namen St. Pond in einem Pariser Findelhause erzogen worden, ohne je eine Andeutung über meine Herkunft erhalten zu haben, außer daß man mir oft sagte, nach meinem blonden Haare und meinem ganzen Wesen müsse ich aus deutschem oder bretagnischem Blute stammen. Auch fühlte ich schon als Knabe eine besondere Vorliebe für Deutschland, und als ich den Rest einer bedeutenden Geldsumme, die mit mir in dem Findelhause deponiert war, ausgezahlt erhielt, wandte ich mich nach Deutschland, um mir eine Kornettstelle in der P***schen Armee zu erkaufen. Meine Tauglichkeit für den Dienst verschaffte mir bald die Beförderung zum Leutnant. Als solcher ward ich zu einem Werbekommando in dieser Gegend beordert. Hier – es mußte nicht fern von diesem Schlosse sein – stieß ich auf einen Burschen, der zum Soldaten wie geschaffen schien; ich ließ mich auf Unterhandlungen mit ihm ein und fand bei ihm Briefschaften, durch die sich der Besitzer als Erbe eines Namens und eines Vermögens legitimieren konnte, zwei Dinge, die mir gerade das Wünschenswerteste auf der Welt schienen. Während ich las, entwischte der Träger; ich verfolgte ihn, um von ihm nähere Auskunft zu erhalten, aber vergebens; die Urkunden blieben ohne weiteren Schlüssel in meinen Händen. – Ich weiß nicht, was mir in jenem Augenblicke vorspiegelte, eine Laune des Schicksals oder eine höhere Fügung habe mir in die Hände gespielt, was nur in die meinen gehöre; ich war in Paris erzogen, wie der, auf den diese Zeugnisse lauteten, ich hatte ja hundertmal gehört, ich müsse aus Deutschland stammen. Doch ich wollte sicher zu Werke gehen und weitere Erkundigungen einzuziehen suchen; ich begab mich in die Nähe der Güter, die früher der Wohnsitz der von Schemmeyschen Familie gewesen waren, und die Nachrichten, die ich dort erhielt, waren so, daß meine Hoffnungen nicht niedergeschlagen wurden. Ich hätte freilich mehr Gewicht darauf legen sollen, daß von gewissen Frauen in meinen Papieren die Rede sei, die ich nie gesehen hatte; aber wie wußte ich mich aller Umstände einer Kindheit zu erinnern, was verbürgte mir, daß meine Ernährer mir immer die Wahrheit gesagt? Kurz, als nach einer Weile niemand anders kam, um Ansprüche auf meinen Fund zu machen, trat ich kühn damit hervor und drang so leicht durch, daß mein Glaube nur bestärkt wurde. Um den früheren Besitzer meiner Güter nicht zu verdrängen, nahm ich den Vorschlag an, seine Schwester zu heiraten. Das übrige wissen Sie. Ich habe genug gesagt, um Ihnen den Wunsch zu beweisen, in Ihren Augen gerechtfertigt zu sein, und erwarte nun Ihre Gegengründe zu hören.«

      Katharina nahm das Wort und teilte dem Leutnant St. Pond diese Gegengründe mit. Als sie schwieg, zog er zwei Schlüssel hervor und überreichte sie Herrn von Kraneck dem jüngern.

      »Sie werden in meiner Wohnung in M. in meinem Sekretär das finden, was ich bereitwillig dem Freiherrn von Schemmey überlasse. Eine kleine Geldsumme und meine übrigen Habseligkeiten dort bitte ich Sie in Verwahrung zu nehmen, bis ich darüber verfüge. Ich werde zu meinem Regimente zurückkehren, reicher um einen froh verlebten Winter und,« setzte er mit einem Blick auf Katharina hinzu, »um eine bittere Erfahrung. Leben Sie wohl! – Sie, Herr Kammerherr, werden mir einen freundlichen Händedruck zum Abschied nicht versagen. Sprechen Sie glimpflich in der Residenz von mir, hören Sie! An Fräulein von Katterbach werde ich schreiben.« Er machte eine kurze Verbeugung, schob den Vikar zur Seite und schritt zur Tür hinaus.

      »Nun, Stallmeister Peter,« sagte er, als er auf dem Hofe stand, »den Pferden die Stange nur wieder ins Maul! Mit der Stallmeisterschaft ist's zu Ende und mit der Reichsfreiherrnschaft auch! Der Teufel hole den Leichtsinn! Aber es war doch ein lustiger Streich! Jetzt wird's darauf ankommen, daß wir uns beim Oberst in Gnaden lügen und nicht als Deserteur behandelt werden. Aufgesessen!«

      Wir stehen am Ende unsrer Erzählung, das sich in wenige Worte fassen läßt. Als Bernhard im Besitz der urkundlichen Zeugnisse für seine Abstammung war, fand der Hofrat Freiherr von Katterbach es für geraten, ihm ohne große Weiterungen seine Güter zu räumen und sich auf eine kleine Besitzung, die Eigentum seiner Familie war, zurückzuziehen. Hier stiftete er mit einem Müller, aus der Nachbarschaft und einem invaliden Feldchirurgus einen Verein gegen die Mäßigkeit, dessen Tendenzen er mit aller Hartnäckigkeit seines Charakters ins Leben führte, bis sie ihn endlich selbst hinausführten, was Herr von Driesch gröber ausdrückte: »Er habe sich totgesoffen.« Auf jener kleinen Besitzung aber hausten noch lange Jahre nachher Philipp und Josine, ein Muster eines guten Ehepaars, täglich in Zank und Streit und doch nicht imstande, länger als einen Tag voneinander getrennt zu leben.

      Herr von Driesch, der wieder nach Grünscheidt zog, wurde ein sehr glücklicher Mann; er fand endlich einen Verleger für seine Gedichte, der sie mit sehr kleinen Lettern, die erst einige Jahrzehnte hindurch zu einem Intelligenzblatte benutzt waren, auf Fließpapier druckte; in den M***schen wöchentlichen Nachrichten erschien eine Rezension darüber, die sehr schmeichelhaft und erfreulich für ihn lautete und nur das Verdrießliche hatte, daß ein Druckfehler seinen Namen immer in Priesch entstellte – Johannes, dem er sie diktiert hatte, schrieb so jämmerlich. Eines Morgens erhielt er sogar ein Schreiben mit einem mächtig großen Siegel, das die heilige Jungfrau und den Kaiser Carolus Magnus zusammen auf einem Stuhle sitzend darstellte, was sich höchst feierlich ausnahm – und als er es öffnete, war es sehr lang, fing mit dem Altertume an, ging durch die Zeiten der Völkerwanderung bis in das Mittelalter, wo es bei dem weiland unüberwindlichsten Kaiser und Herrn, Herrn Carolus, dieses Namens des Fünften, sich des weiteren ausbreitete, damit des Säuberlichen Gedichte in unmittelbare Berührung brachte und endlich schloß:

      So erkläre ich:

      Johann Andreas Segner, I. V. D. und Professor, der Zeit Prorector erwehnter Universität und Comes palatinus, aus habender Macht und Gewalt, in Kraft dieses offenen Briefes und durch beigelegten Lorbeer-Crantz, den des heiligen römischen Reichs Hochwohlgebornen Freiherrn von Driesch usw., usw., usw., zum gekrönten Poeten; als eine Reitzung, seine schöne Gaben ferner zur Ehre Gottes und Ausbreitung der Liebe zur Tugend anzuwenden. Urkundlich ist dieses mit dem anhängenden Siegel der Universität und mit meiner eigenhändigen Namensunterschrift bekräftigt worden.

      So geschehen in N., den 28. Mey 1746.

       Segner mpp.

      Darunter stand klar und schön ausgedrückt das Siegel, wo wieder der große Kaiser Carolus Magnus mit der heiligen Jungfrau auf einem Stuhle saß; und der Lorbeerkranz lag zierlich geflochten in einem eigenen Paket dabei. Wenn dies Schreiben beabsichtigte, Herrn von Driesch eine Freude zu bereiten, so erreichte es seinen Zweck vollständig. Er drückte den Lorbeer auf das Haupt, seine Brille auf die Nase, sah in den Spiegel, hob die Arme in die Höhe und rief mit Horaz:

      Me doctarum ederae praemia frontium

       Dis miscent superis!

      Und nun ein Lorbeer sogar! »Heda, Anton, den falben Fritz gesattelt.« Er rannte zum Zimmer hinaus, setzte sich auf den Falben und ritt mit bloßem Haupte, das nur der Lorbeer umschlang, spornstreichs nach Diependahl hinüber.

      In diesem Hause war alles verändert; die Unordnung war von Eleganz, Geschmack und Reichtum verdrängt, die wüste, innere Zerfallenheit der frühern Familie war einem wahrhaft rührenden Glücke zweier edlen und neidenswerten Menschen gewichen, die zusammen den lebenden Beweis bilden zu wollen schienen, daß bei tieferen Naturen die Ehe ein noch unendlich seligeres Verhältnis bildet als die Liebe.

      Der Freiherr von Schemmey saß in einem Bücherzimmer, wo auch jener kleine Elzevir stand, den er als Geschenk des Herrn von Driesch bei seinem Abzuge von Bechenburg erhalten hatte; im Nebenzimmer war Katharina beschäftigt, mit einem aus Weiden geflochtenen Gehäuse ein unangenehmes, hin und her stoßendes Geräusch zu machen, das nur einen guten Ehemann nicht aus der Ruhe bringt, als der gekrönte Poet das umlorbeerte Haupt zur Tür hineinsteckte und, dann in ganzer Erscheinung vor ihnen auftauchend, in vollen Zügen das Entzücken trank, das ihre unmäßige Verwunderung über seinen Schmuck ihm bereitete. Er kam den ganzen Tag nicht aus dem Lachen, und als er gegen Abend den falben Fritz wieder besteigen wollte, um sich auf den Heimweg zu machen, fiel er in der Aufgeregtheit seines unbändigen Vergnügens an der andern Seite des Sattels wieder hinunter, was für einen kaiserlichen gekrönten Poeten gewiß ein verdrießliches Ereignis war und auch nicht verfehlt hätte, Herrn von Driesch gegen den falben Fritz und den Sattel und Anton, der ihn aufgelegt, und den Sattlermeister, der ihn aus Leder zusammengenäht hatte, in einen unmäßigen Zorn zu bringen, hätte nicht Bernhard die besänftigende Bemerkung gemacht, man sehe, daß der falbe