Levin Schücking

Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe


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die Gruppe über einen auf dem Plateau des Berges liegenden Rasenplatz, auf welchem friedlich eine an einen Pflock gebundene Ziege weidete. Vor ihnen erhob sich dieselbe Seite der Rheider Burg, welche man vom Hammer aus erblickte, die mit den zwei Ecktürmen und dem Erker. Das Gebäude sah in dieser Nähe nicht mehr so imposant aus wie es sich von unten, vom Tale her darstellte, und der große Verfall, der überall daran genagt und verwüstet hatte, wurde jetzt erst recht sichtbar. Dagegen hatte man von dem Platze vor dem Gebäude eine unvergleichliche Aussicht über die Windungen des Flusses durch das enge Bergtal und über die Höhen zu seinen beiden Seiten, die mit schönem Laubholz bestanden und durch einzelne Ansiedlungen mit Aeckern und Wiesen durchsprenkelt waren.

      Sibylle wendete ihre Schritte dem viereckigen Turme zur Linken zu, an dessen Fuß eine schmale, spitzbogige Tür ins Innere führte. Die Tür war von Eichenholz, fest und schwer gezimmert, aber die Zeit hatte alle Farben heruntergewaschen und die Sonne und Dürre hatten zahllose Spalten hineingerissen. Sie führte in ein gewölbtes Souterrain, an welches sich eine ganze Reihe ähnlicher hallenartiger, aber dumpfer und feuchtkühler Räume, schloß, in denen es leer und öde aussah. Starke Gittertüren trennten sie voneinander ab, keine derselben jedoch war verschlossen und hemmte den Schritt Sibyllens, die ihre Begleiter bis in den letzten dieser Räume führte. Hier wurden zwei Treppen sichtbar, eine breite, bequem aus Steinplatten aufgebaute, die links in einen Korridor hinaufleitete, und eine andere schmale, hölzerne Wendelstiege, welche in der äußersten Ecke sich zwischen runden Turmmauern hinaufwand, den kleinern runden Turm füllend, welchen man von außen an der rechten Seite des Gebäudes wahrnahm.

      Sibylle blieb hier stehen.

      »Spielberend,« sagte sie, »Ihr könnt dort die Treppe hinaufgehen zum alten Claus und ihm sagen, daß ein Gast in die Rheider Burg gekommen wäre, den er verpflegen möge, um der Ehre des Hauses willen.«

      »Und gegen richtige Bezahlung,« fiel der Deserteur ein. »Ich verlange nichts umsonst.«

      »Das mögt Ihr mit dem Hausmeister abmachen,« versetzte Sibylle. »Also geht, Spielberend, dort links hinauf. Ich steige mit dem Manne unterdes diese Wendeltreppe empor und zeige ihm oben eine Kammer, wo er bleiben kann und sicher ist, nicht gefunden zu werden. Das ist alles, was ich für ihn tun kann. Geht voraus – Ihr, Johannes!«

      Der Deserteur folgte ihrem Winke und schritt die Wendelstiege hinan, die unter seinem schweren Tritte heftig erknarrte. Sibylle folgte ihm, ihre Dogge dicht neben sich.

      Spielberend blieb eine Weile stehen; dann trat er der Wendelstiege näher und versuchte leise auftretend und ungehört zu folgen. Er war ohne Zweifel neugierig zu erfahren, in welchem Versteck da oben das junge Mädchen den Fremden unterbringen wollte. Aber die alte Holztreppe war ein verräterisches Ding. Trotz aller Behutsamkeit, die Spielberend anwandte, gab sie alle möglichen Töne von sich, sie knirschte, kreischte, ächzte ... Spielberend fand für gut, von dem Versuche abzustehen, und darum ging er zurück und schritt die breite steinerne Stiege hinauf, wohin ihn Sibylle Ritterhausen gewiesen hatte.

      Als der Spielmann oben war, stand er in einem mit steinernen Platten belegten Gange; zu seiner Linken führte eine ähnliche Treppe wie die, welche er emporgestiegen, zwischen zwei Mauerwänden in das höhere Stockwerk hinauf; ihm gegenüber zeigte sich die doppelflügelige große Haustür, die auf den vordern Hof hinausführte; rechts und links von derselben ließen große spitzbogige Fenster das Tageslicht ein, während ihnen gegenüber dunkelgebohnte Türen in innere Räume führten. Auf den leeren Wandflächen waren hier und dort mächtige Hirsch- und Elen- oder Damtiergeweihe angebracht. In den Fenstern zeigten sich gebrannte Scheiben mit grellfarbigen, vortrefflich erhaltenen Wappen.

      Es war totenstill in dem Korridor und die Wände echoten hohl den einsamen Schritt des Spuksehers nach, als er, nach links gewandt, den Gang hinabschritt, um an der letzten Tür stehen zu bleiben, eine Weile still vor derselben zu horchen und dann leise anzuklopfen.

      Ein heiseres »Herein!« antwortete ihm aus dem Innern, und als er eintrat, wurde er sehr lebhaft von zwei guten alten Freunden bewillkommnet, denen er nach kurzer Zeit einen vierten im Bunde vorstellen konnte. Denn sehr bald nachher trat, von Sibylle zurechtgewiesen, auch Johannes über die Schwelle.

      Drittes Kapitel

       Die Herren von Huckarde

       Inhaltsverzeichnis

      In dem Gemache, in welches der Spielmann eingetreten war, saßen also nach einer kleinen Weile, nicht eine Viertelstunde später, vier seltsame Gesellen zusammen.

      Es war ein weiter und hoher Raum, dessen Fenster auf einen verwilderten Garten hinausgingen. Der Boden war mit alten Eichenholzdielen belegt, die sich an vielen Stellen geworfen hatten, wie man es nennt, und klaffende Risse zeigten. Die Wände waren unten bis zu einem Drittel ihrer Höhe hinauf mit glänzenden Fliesen oder mit Estrich bedeckt, darüber aber geweißt oder gelb oder braunrot angestrichen – es ließ sich in der Tat nicht mehr entscheiden, was ursprünglich mit ihnen geschehen war, denn der Rauch vieler Jahre, der aus dem großen Kamin geschlagen, so oft der Wind aus Südwesten dahergekommen, hatte allem, was da war, dieselbe Tünche gegeben, dem Holzwerk, den Wänden, den alten Schränken und dem Angesicht des Bewohners dieser alten Kammer oder Küche, dem ehrlichen Claus Fettzünsler, Hausverwalter der Rheider Burg.

      Claus Fettzünsler war ehemals Laienbruder in der Abtei Altenberge gewesen. Er hatte das Kleid des heiligen Robert von Zisterz, das weiße Habit mit dem schwarzen Skapulier und schwarzen Gürtel getragen. Was ihn aus diesem gottseligen Berufe und aus dem stillen Klosterfrieden hinaus in die stürmische Welt getrieben, darüber hatte niemand offizielle Kunde; es war ein Geheimnis geblieben zwischen ihm und dem Herrn Prior, der ihm eines schönen Tages den Laufpaß gegeben. Nachdem Claus auf diese Weise nicht ganz verheißungsvoll und befriedigend die erste Lebensperiode beschlossen, hatte er eine zweite begonnen, über deren Einzelheiten und Wendungen ebenfalls ein gewisses Dunkel lag, welches, da Claus selber es nicht aufzuhellen Veranlassung genommen hat, bis auf diese heutige Stunde unenträtselt geblieben ist; es ist nur gewiß, daß diese zweite Lebensperiode in einer angenehmern Weise als die erste ihr Ende erreichte, dadurch nämlich, daß Claus auf vielfältiges Anhalten und nach mancherlei Gängen um Fürsprache und Empfehlung zum Hausverwalter unsers Edelhofs bestellt wurde, ein Dienst, der, wie die Dinge gegenwärtig in der Rheider Burg standen, eine vollkommene Sinekure darstellte.

      Claus Fettzünsler also hatte ein verräuchertes Gesicht mit einem Paar blinzelnder Schelmenaugen darin, eine kleine Gestalt mit einem respektierlichen Bäuchlein und von besondern Kennzeichen ein Bein, das durch irgend ein bedauerliches Ereignis um die volle Beweglichkeit der Muskulatur gekommen war ... mit andern Worten, er hinkte.

      In dem Augenblicke, in welchem wir die Kammer betreten, war der Hausverwalter damit beschäftigt, ein frugales Abendmahl – wenig aber gut, und das reichlich, wie er sich ausdrückte – für seine Gäste zu bereiten.

      Von diesen saßen zwei, nämlich Spielberend und der Deserteur Johannes, an einem runden Klapptisch, der oben im Gemache zwischen zwei Fenstern stand. Johannes war im obern Teile des Schlosses von dem jungen Mädchen, das ihm die Anweisung eines Zufluchtsortes versprochen, zu einem solchen geführt worden, zu einem Versteck, wie er es nicht besser wünschen konnte. Sie hatte sich dann entfernt, nachdem sie ihm die Tür zum Wohngemache des Verwalters gezeigt, wo er, wie sie ihm gesagt, mit Claus Fettzünslers vorauszusetzender Genehmigung sich aufhalten könne, solange nicht außergewöhnliche Ereignisse einträten, die ihn zur Vorsicht und zur Flucht in sein Asyl oben in dem weitläufigen Gebäude mahnten.

      Seitwärts unter dem Fenster, an einem mit Schusterwerkzeug bedeckten Tische, saß noch ein vierter Gast. Es war ein Mann von untersetzter Figur, einem breiten Gesicht mit auffallend großem Munde, der, wenn er lachte, sich bis an die Ohren zog, flacher Nase und Augen, die an pfiffiger Schelmhaftigkeit nichts denen nachgaben, die aus Claus Fettzünslers Antlitz leuchteten. Er saß in Hemdärmeln und war mit Nadel und Pechdraht beschäftigt, an einem Paar riesiger Schuhe die Havarien langen Gebrauchs zu beseitigen.

      Der Deserteur hatte dieser Gesellschaft eben seine Geschichte erzählen müssen.