und in diesen Fällen müssen die Männchen der suchende Theil sein. In Bezug auf Formen, deren Urerzeuger ursprünglich freilebend waren, ist es aber schwer zu verstehen, warum unabänderlich die Männchen die Gewohnheit erlangt haben, sich den Weibchen zu nähern, anstatt von ihnen aufgesucht zu werden. In allen Fällen würde es indessen, damit die Männchen erfolgreich Suchende werden, nothwendig sein, daß sie mit starken Leidenschaften begabt würden; die Erlangung solcher Leidenschaften würde eine natürliche Folge davon sein, daß die begierigeren Männchen eine größere Zahl von Nachkommen hinterließen, als die weniger begierigen.
Die größere Begierde des Männchens hat somit indirect zu der viel häufigeren Entwicklung secundärer Sexualcharaktere bei Männchen als beim Weibchen geführt. Aber die Entwicklung solcher Charaktere wird auch, wie ich nach einem langen Studium der domesticierten Thiere schließe, noch dadurch bedeutend unterstützt, daß das Männchen viel häufiger variiert als das Weibchen. Nathusius, welcher eine sehr große Erfahrung hat, ist entschieden derselben Meinung.455 Einige gute Belege zu Gunsten dieser Schlußfolgerung kann man durch eine Vergleichung der beiden Geschlechter des Menschen erlangen. Während der Novara-Expedition456 wurde eine ungeheure Zahl von Messungen der verschiedenen Körpertheile bei verschiedenen Rassen angestellt; und dabei wurde gefunden, daß die Männer in beinahe allen Fällen eine größere Breite der Variation darboten als die Weiber. Ich werde aber auf diesen Gegenstand in einem späteren Capitel zurückzukommen haben. Mr. J. Wood,457 welcher die Abänderungen der Muskeln beim Menschen sorgfältig verfolgt hat, druckt die Schlußfolgerung gesperrt, daß »die größte Zahl von Abnormitäten an einem einzelnen Leichnam bei den Männern gefunden wird«. Er hatte vorher bemerkt, daß »im Ganzen unter hundertundzwei Leichnamen die Varietäten mit überzähligen Bildungen ein halb Mal häufiger bei Männern vorkommen als bei Frauen, was sehr auffallend gegen die größere Häufigkeit von Varietäten mit Fehlen gewisser Theile bei Weibern contrastiert, was vorhin besprochen wurde«. Professor Macalister bemerkt gleichfalls,458 daß Variationen in den Muskeln »wahrscheinlich bei Männern häufiger sind als bei Weibern« Gewisse Muskeln, welche normal beim Menschen nicht vorhanden sind, finden sich auch häufiger beim männlichen Geschlechte entwickelt als beim weiblichen, obgleich man annimmt, daß Ausnahmen von dieser Regel vorkommen. Dr. Burt Wilder459 hat hundertzweiundfünfzig Fälle von der Entwicklung überzähliger Finger in Tabellen gebracht. Von diesen Individuen waren 86 männliche und 39, oder weniger als die Hälfte, weibliche, während die übrigbleibenden siebenundzwanzig in Bezug auf ihr Geschlecht unbekannt waren. Man darf indeß nicht übersehen, daß Frauen häufiger wohl versuchen dürften, eine Mißbildung dieser Art zu verheimlichen, als Männer. Ferner behauptet Dr. L. Meyer, daß die Ohren der Männer in der Form variabler sind als die der Frauen.460 Endlich ist die Temperatur beim Manne variabler als bei der Frau.461
Die Ursache der größeren allgemeinen Variabilität im männlichen als im weiblichen Geschlecht ist unbekannt, ausgenommen in so weit als secundäre Geschlechtscharaktere außerordentlich variabel und gewöhnlich auf die Männchen beschränkt sind; wie wir sofort sehen werden, ist diese Thatsache bis zu einem gewissen Grade verständlich. Durch die Wirksamkeit der geschlechtlichen und der natürlichen Zuchtwahl sind männliche Thiere in vielen Fällen von ihren Weibchen sehr verschieden geworden; aber die beiden Geschlechter neigen auch, unabhängig von Zuchtwahl, in Folge der Verschiedenheit der Constitution dazu, in etwas verschiedener Weise zu variieren. Das Weibchen hat viele organische Substanz auf die Bildung seiner Eier zu verwenden, während das Männchen bedeutende Kraft aufwendet in den heftigen Kämpfen mit seinen Nebenbuhlern, im Umherwandern beim Aufsuchen des Weibchens, im Anstrengen seiner Stimme, in dem Erguß stark riechender Absonderungen u. s. w.; auch wird dieser Aufwand gewöhnlich auf eine kurze Periode zusammengedrängt. Die bedeutende Kraft des Männchens während der Zeit der Liebe scheint häufig seine Färbung intensiver zu machen, unabhängig von irgend einem auffallenden Unterschiede vom Weibchen.462
Beim Menschen und dann wieder so niedrig in der Stufenreihe, wie bei den Schmetterlingen, ist die Körpertemperatur beim Männchen höher als beim Weibchen, was den Menschen betrifft, in Verbindung mit einem langsameren Pulse.463 Im Großen und Ganzen ist der Aufwand an Substanz und Kraft bei beiden Geschlechtern wahrscheinlich nahezu gleich, wenngleich er auf verschiedene Weise und mit verschiedener Schnelligkeit bewirkt wird.
Es kann in Folge der eben hier angeführten Ursachen kaum ausbleiben, daß die beiden Geschlechter, wenigstens während der Fortpflanzungszeit, etwas verschieden in der Constitution sind; und obgleich sie genau den nämlichen Bedingungen ausgesetzt sein mögen, werden sie in etwas verschiedener Art zu variieren neigen. Wenn derartige Abänderungen von keinem Nutzen für eines der beiden Geschlechter sind, werden sie durch geschlechtliche oder natürliche Zuchtwahl nicht gehäuft und verstärkt werden. Nichtsdestoweniger können sie bleibend werden, wenn die erregende Ursache beständig wirkt; und in einer Übereinstimmung mit einer häufig vorkommenden Form der Vererbung können sie allein auf das Geschlecht überliefert werden, bei welchem sie zuerst auftraten. In diesem Falle gelangen die beiden Geschlechter dazu, permanente, indeß bedeutungslose Verschiedenheiten der Charaktere darzubieten. Mr. Allen zeigt z. B., daß bei einer großen Anzahl von Vögeln, welche die nördlichen und südlichen Vereinigten Staaten bewohnen, die Exemplare aus dem Süden dunkler gefärbt sind, als die aus dem Norden; dies scheint das directe Resultat der Verschiedenheiten zwischen den beiden Gegenden in Bezug auf Temperatur, Licht u. s. f. zu sein. In einigen wenigen Fällen scheinen nun die beiden Geschlechter einer und derselben Species verschieden afficiert worden zu sein: beim Agelaeus phoeniceus ist die Färbung der Männchen im Süden bedeutend intensiver geworden, während es beim Cardinalis virginianus die Weibchen sind, welche so afficiert worden sind. Bei Quiscalus major sind die Weibchen äußerst variabel in der Färbung geworden, während die Männchen nahezu gleichförmig bleiben.464
In verschiedenen Classen des Thierreichs kommen einige wenige ausnahmsweise Fälle vor, in welchen das Weibchen statt des Männchens gut ausgesprochene secundäre Sexualcharaktere erlangt hat, wie z. B. glänzendere Farben, bedeutendere Größe, Kraft oder Kampflust. Bei Vögeln findet sich zuweilen eine vollständige Transposition der jedem Geschlechte gewöhnlich eigenen Charaktere; die Weibchen sind in ihren Bewerbungen viel gieriger geworden, die Männchen bleiben vergleichsweise passiv, wählen aber doch, wie es scheint und wie man nach den Resultaten wohl schließen darf, sich die anziehendsten Weibchen aus. Hierdurch sind gewisse weibliche Vögel lebhafter gefärbt oder in anderer Weise auffallender verziert, sowie kräftiger und kampflustiger geworden als die Männchen, und es werden dann auch diese Charaktere nur den weiblichen Nachkommen überliefert.
Man könnte vermuthen, daß in einigen Fällen ein doppelter Vorgang der Zuchtwahl stattgefunden habe, daß nämlich die Männchen die anziehenderen Weibchen und die letzteren die anziehenderen Männchen sich ausgewählt haben. Doch würde dieser Proceß, wenn er auch zur Modifikation beider Geschlechter führen könnte, doch nicht das eine Geschlecht vom anderen verschieden machen, wenn nicht geradezu ihr Geschmack für das Schöne ein verschiedener wäre. Dies ist indeß für alle Thiere, mit Ausnahme des Menschen, eine zu unwahrscheinliche Annahme, als daß sie der Betrachtung werth wäre. Es giebt jedoch viele Thiere, bei denen die Geschlechter einander ähnlich sind und bei denen beide mit denselben Ornamenten ausgerüstet sind, welche der Thätigkeit der geschlechtlichen Zuchtwahl zuzuschreiben uns wohl die Analogie veranlassen könnte. In solchen Fällen dürfte mit größerer Wahrscheinlichkeit vermuthet werden, daß ein doppelter oder wechselseitiger Proceß geschlechtlicher Zuchtwahl eingetreten war. Die stärkeren und früher reifen Weibchen würden