Stefan Zweig

Gesammelte Werke von Stefan Zweig


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Inquisitoren, hat ein kleiner korsischer General zum Teufel gejagt. Man liest nicht mehr die Enzyklopädie, Voltaire und Rousseau, sondern die hartgehämmerten Bulletins vom Kriegsschauplatz. Aschermittwoch staubt über Europa, die Karnevale sind zu Ende und das Rokoko, es ist vorbei mit den Reifröcken und gepuderten Perücken, den silbernen Schuhschnallen und Brüsseler Spitzen. Man trägt keine Samtröcke mehr, nur Uniform oder Bürgergewand.

      Aber sonderbar, da hat einer die Zeit vergessen, ein uraltes Männchen ganz droben in Böhmens dunkelstem Winkel: wie der Herr Ritter Gluck in E. T. A. Hoffmanns Legende stapft dort am hellichten Tag ein farbiges Vogelmännchen mit Samtweste, vergoldeten Knöpfen, verschlissenem gelbem Spitzenkragen, seidenen Zwickelstrümpfen, geblümten Strumpfbändern und weißem Galafederhut vom Schloß Dux das buckelige Katzenpflaster hinab in die Stadt. Noch trägt das Kuriosum den Haarbeutel nach alter Sitte, schlecht gepudert zwar (man hat keine Bedienten mehr!), und die zittrige Hand stützt sich pompös auf einen altmodischen Rohrstock mit Goldspitze, wie man sie im Palais Royal Anno 1730 getragen. Wahrhaftig, es ist Casanova oder vielmehr seine Mumie, er lebt noch immer, trotz Armut, Ärger und Syphilis. Pergamenten die Haut, ein Hakenschnabel die Nase über dem zittrigen, speichelnden Mund, die buschigen Brauen struppig und weiß; all das muffelt schon nach Alter und Verwesung, nach Eingetrocknetsein in Galle und Bücherstaub. Einzig die pechschwarzen Augen haben die alte Unruhe noch, böse und spitz fahren sie unter den halbgeschlossenen Lidern vor. Aber er sieht nicht viel nach links und rechts, er grummelt und brummelt nur unwirsch vor sich hin, denn er ist nicht guter Laune, Casanova, nie mehr guter Laune, seit ihn das Schicksal auf diesen böhmischen Misthaufen geworfen. Wozu aufschauen, jeder Blick wäre zuviel für die dummen Gaffer, für diese breitmäuligen, deutschböhmischen Kartoffelfresser, die nie ihre Nase über ihren Dorfdreck hinaussteckten und ihn, den Chevalier de Seingalt, der seinerzeit dem Hofmarschall von Polen eine Kugel in den Bauch gejagt und vom Papst die goldenen Sporen eigenhändig empfangen, nicht einmal pflichtgemäß grüßen. Und ärgerlicher noch, auch die Frauen respektieren ihn nicht, sondern halten die Hände vor den Mund, damit nicht ein dickes dörfisches Lachen herausplatscht, und sie wissen, warum sie lachen, denn die Mägde haben’s dem Pfarrer erzählt, daß der alte Gichtbruder ihnen gern unter die Röcke greift und in seinem Kauderwelsch das dümmste Zeug in die Ohren schwatzt. Aber noch besser dieser Pöbel immerhin als zu Hause das verdammte Dienergeschmeiß, dem er ausgeliefert ist, die »Esel, deren Fußtritt er dulden muß«, Feltkirchner vor allem, der Haushofmeister, und Widerholt, sein Dienstschwengel. Die Canaillen! Mit Absicht haben sie ihm gestern wieder Salz in die Suppe geschmissen und die Makkaroni verbrannt, aus seinem Isokameron das Porträt gerissen und auf das Klosett gehängt: sie haben es gewagt, die Lumpen, die kleine schwarzgefleckte Hündin Melampyge, ihm geschenkt von der Gräfin Roggendorf, zu schlagen, nur weil das süße Tierchen ein natürliches Bedürfnis in den Zimmern verrichtet hat. Oh, wo sind die guten Zeiten, da man derlei Dienstbotenbagage einfach in den Block gesperrt und solchem Pack die Knochen zu Butter geprügelt, statt derlei Insolenzen zu dulden. Aber heute ist ja dank diesem Robespierre die Canaille obenauf, die Jakobiner haben die Zeit versaut, und man ist selbst ein alter, armer Hund mit ausgebissenen Zähnen. Was hilft da klagen und knurren und murren den ganzen Tag – am besten, man speit auf den Pöbel, geht hinauf ins Zimmer und liest seinen Horaz.

      Aber heute gilt aller Ärger nicht, wie eine Marionette zuckt und tappt die Mumie hastig von Zimmer zu Zimmer. Den alten Hofrock hat sie angezogen, den Orden umgetan und sich sauber gebürstet, jedes Stäubchen weg, denn für heute haben sich der Herr Graf angesagt, hochpersönlich kommen Seine Gnaden von Teplitz herüber und bringen den Prinzen de Ligne mit und noch ein paar adelige Herren, man wird französisch bei Tisch konversieren, und die neidische Dienstbotenbande wird mit knirschenden Zähnen ihm servieren müssen, mit krummem Rücken schön die Teller hinhalten, nicht wie gestern einen verpappten und versauten Fraß wie einem Hunde seine Knochen auf den Tisch schmeißen. Ja, er wird heute mittag an der großen Tafel sitzen mit den österreichischen Kavalieren, denn die wissen noch eine soignierte Konversation zu ästimieren und respektvoll zuzuhören, wenn ein Philosoph spricht, den selbst Herr Voltaire noch geruhte zu achten, und der einmal bei Kaisern und Königen allerhand gegolten. Wahrscheinlich, sobald die Damen sich zurückgezogen haben, wird der Herr Graf und der Herr Prinz höchstpersönlich mich bitten, aus einem gewissen Manuskript vorzulesen, ja, bitten werden sie mich, Herr Feltkirchner, Sie Dreckmaul – bitten wird mich der hochgeborene Herr Graf Waldstein und der Herr Feldmarschall Prince de Ligne, daß ich aus meinen einzig interessanten Erlebnissen wieder ein Kapitelchen vorlese, und ich werde es vielleicht tun – vielleicht! denn ich bin ja nicht der Serviteur des Herrn Grafen und zu Gehorsam verpflichtet, ich gehöre nicht zum Dienstbotengeschmeiß, ich bin Gast und Bibliothekar und stehe au pair mit ihnen – nun, ihr wißt ja nicht einmal, was das heißt, ihr Jakobinergesindel. Aber ein paar Anekdoten werde ich ihnen erzählen, cospetto! – ein paar im deliziösen Genre meines Lehrers, des Herrn Crébillon, oder ein paar pfefferige von der venezianischen Sorte – nun, wir sind doch Edelleute unter uns und verstehn uns auf Nuancen. Man wird lachen und schwarzdunklen schweren Burgunder trinken wie am Hof Seiner Christlichen Majestät, wird von Krieg, Alchimie und Büchern plaudern, und vor allem von einem alten Philosophen sich etwas über Welt und Weiber erzählen lassen.

      Aufgeregt huscht er durch die geöffneten Säle, der kleine, dürre, böse Vogel, die Augen funkelnd vor Medisance und Übermut. Er putzt die pierres de strass – die echten Edelsteine hat längst ein englischer Jude –, die sein Ordenskreuz einrahmen, pudert sorgfältig das Haar und übt (bei diesen Banausen vergißt man ja alle Manieren) die alte Art der Reverenzen und Verbeugungen vom Hofe Ludwigs XV. vor dem Spiegel. Freilich, der Rücken knackt schon bedenklich, nicht ungestraft hat man den alten Karren dreiundsiebzig Jahre lang auf allen Postkutschen kreuz und quer durch Europa geschleppt, und weiß Gott, wieviel Saft haben die Frauen aus einem geholt. Aber wenigstens da oben im Gehirnkasten ist der Witz noch nicht ausgeronnen, man wird die Herren noch zu amüsieren wissen und vor ihnen gelten. Mit schnörkelig gerundeter, ein wenig zittriger Schrift kopiert er noch ein Willkommgedichtchen in französischer Sprache für die Princesse de Recke auf ein rauhliches Büttenblatt, malt ferner eine pompöse Dedikation auf sein neues Lustspiel für die Liebhaberbühne: auch hier in Dux hat man nicht verlernt, was sich gehört, und weiß als Kavalier eine literarisch interessante Assemblee respektvoll zu empfangen.

      Und tatsächlich, wie jetzt die Karossen angerollt kommen und er mit seinen gichtischen Füßen krumm die hohen Stufen hinabstapft, da werfen der Herr Graf und seine Gäste den Dienern lässig die Mütze hin, Mäntel und Pelze, ihn aber umarmen sie nach Edelmannsart, präsentieren ihn den mitgeladenen Herren als den zelebren Chevalier de Seingalt, rühmen seine literarischen Verdienste, und die Damen wetteifern, ihn als Tischnachbar zu haben. Noch sind nicht die Schüsseln abgeräumt und gehen die Pfeifen die Runde, so erkundigt sich schon, ganz wie er’s vorausgewußt, der Prinz nach den Fortschritten seiner unvergleichlich spannenden Lebenserzählung, und unisono bitten Herren und Damen, doch aus diesen zu zweifelloser Zelebrität bestimmten Memoiren ein Kapitel vorzulesen. Wie dem liebenswürdigsten aller Grafen, seinem gnädigen Wohltäter, einen Wunsch versagen? Eilfertig klappert der Herr Bibliothekarius hinauf in sein Zimmer und holt aus den fünfzehn Folianten denjenigen mit dem zurechtgelegten Seidenstreif: das Haupt-und Kabinettstück, eins der wenigen, das die Gegenwart von Damen nicht zu scheuen braucht, die Entweichung aus den Bleikammern von Venedig. Wie oft und wem allen hat er dieses unvergleichliche Abenteuer schon vorgetragen, dem Kurfürsten von Bayern, von Köln, dem englischen Adelskreis und dem Warschauer Hof, aber sie sollen sehen, daß ein Casanova anders erzählt als dieser lederne Preuße, der Herr von Trenck, von dem man soviel Aufhebens machte mit seinen Prisons. Denn er hat neuerdings ein paar Wendungen eingefügt, ganz großartig überraschende Komplikationen, und zum Schluß ein superb wirkendes Zitat aus dem göttlichen Dante. Stürmischer Applaus lohnt die Vorlesung, der Graf umarmt ihn und schiebt dabei mit der linken Hand eine Rolle Dukaten heimlich in seine Tasche, die er, der Teufel weiß es, gut brauchen kann, denn wenn ihn auch die ganze Welt vergißt, seine Gläubiger setzen ihm nach bis hierher in den fernsten Pontus. Sieh da, wahrhaftig, ein paar dicke Tränen laufen ihm über die Wangen, wie jetzt noch die Prinzessin ihn gütig beglückwünscht und alle ihm zutrinken auf die baldige Vollendung des illustren Meisterwerks!

      Aber am nächsten Tage, o weh, klirren die Pferde schon ungeduldig ins Geschirr, die Kaleschen warten am Tor, denn die hohen Herrschaften verreisen nach