Stefan Zweig

Gesammelte Werke von Stefan Zweig


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lauscht die Tiefe, und sie schwebt, sie überschwebt alle Qualen, die Stimme, da sie spricht: »Nur durch Qual können wir das Leben lieben lernen.«

      Wer spricht dies tröstende Wort des Leidens? Der Leidendste aller, er selbst, Dostojewski. Noch sind die gespreiteten Hände geschlagen an das Kreuz seines Zwiespalts, noch stehen die Nägel der Qual in seinem brüchigen Leibe, aber demütig küßt er das Marterholz dieser Existenz, und die Lippen sind sanft, wie sie zu den Mitbrüdern das große Geheimnis sagen: »Ich glaube, wir alle müssen erst das Leben lieben lernen.«

      Und anbricht der Tag aus seinen Worten, apokalyptische Stunde. Aufspringen die Gräber und Kerker: aus der Tiefe stehen sie auf, die Toten und Verschlossenen, alle, alle treten sie heran, Apostel seines Wortes zu sein, aus ihrer Trauer erheben sie sich. Aus den Kerkern drängen sie her, aus der Katorga Sibiriens, klirrend in Ketten, aus Winkelstuben, Bordellen und Klosterzellen, sie alle, die großen Leidenden der Leidenschaft; noch klebt das Blut an ihren Händen, noch brennt ihr geknuteter Rücken, noch sind sie nieder in Zorn und Gebrest, aber schon ist die Klage zerbrochen in ihrem Munde, und ihre Tränen funkeln von Zuversicht. O ewiges Wunder Bileams, Fluch wird Segnung auf ihrer brennenden Lippe, da sie das Hosianna des Meisters hören, das Hosianna, das »durch alle Fegefeuer des Zweifels gegangen«. Die Finstersten sind die Ersten, die Traurigsten die Gläubigsten, alle drängen sie vor, dies Wort zu bezeugen. Und aus ihren Mündern, den rauhen und verlechzten, schäumt als großer Choral der Hymnus des Leidens, der Hymnus des Lebens mit der Urgewalt der Ekstase. Alle, alle sind sie zur Stelle, die Märtyrer, das Leben zu lobpreisen. Dimitri Karamasow, der unschuldig Verdammte, Ketten an den Händen, jauchzt aus der Fülle seiner Kraft: »Alles Leid werde ich überwinden, um mir nur sagen zu können: ›ich bin‹. Wenn ich mich auch auf der Folterbank krümme, so weiß ich doch, ›ich bin‹, angeschmiedet auf der Galeere, sehe ich noch die Sonne, und wenn ich sie auch nicht sehe, so lebe ich doch und weiß, daß sie ist.« Und Iwan, der Bruder, tritt ihm zur Seite und kündet: »Es gibt kein unwiderruflicheres Unglück als Totsein.« Und wie ein Strahl dringt die Ekstase der Existenz in seine Brust, und er jubelt, der Gottesleugner: »Ich liebe dich, Gott, denn groß ist das Leben.« Aus den Sterbekissen hebt sich, gefalteter Hand, der ewige Zweifler Stefan Trofimowitsch auf und stammelt: »O wie gerne würde ich wieder leben wollen. Jede Minute, jeder Augenblick muß eine Seligkeit des Menschen sein.« Immer heller, immer reiner, immer erhobener werden die Stimmen. Fürst Myschkin, der Verwirrte, getragen von den schwankenden Flügeln seiner schweifenden Sinne, breitet die Arme und schwärmt: »Ich begreife nicht, wie man an einem Baum vorübergehen kann, ohne glücklich zu sein, daß er ist und daß man ihn liebt… wieviel wundervolle Dinge gibt es doch auf jedem Schritt dieses Lebens, Dinge, die selbst der Verworfene noch als wundervoll empfindet.« Der Staretz Sossima predigt: »Die Gott und das Leben verfluchen, verfluchen sich selbst… Wenn du jedes Ding lieben wirst, wird sich dir das Geheimnis Gottes in allen Dingen offenbaren, und schließlich wirst du die ganze Welt mit allumfassender Liebe umspannen.« Und selbst der »Mensch aus der Winkelgasse«, der kleine verschüchterte Namenlose in seinem verschabten Mäntelchen, drängt heran und entbreitet die Arme: »Das Leben ist Schönheit, nur im Leiden ist Sinn, o wie schön ist das Leben!« Der »lächerliche Mensch« bricht auf aus seinem Traum, »das Leben, das große, zu verkünden«, alle, alle kriechen sie wie Gewürm aus den Winkeln ihres Wesens, um mitzusprechen im großen Choral. Keiner will sterben, keiner das Leben lassen, das heilig geliebte, keines Leiden ist so tief, daß er es mit dem Tode noch tauschte, dem ewigen Widerpart. Und diese Hölle, Dunkelheit der Verzweiflung, hallt plötzlich an ihren harten Wänden Lobgesang des Schicksals wider, aus Fegefeuern entbrennt fanatische Glut der Dankbarkeit. Licht, unendliches Licht strömt ein, der Himmel Dostojewskis bricht über die Erde, und rauschend über alle dröhnt das letzte Wort, das Dostojewski schrieb, das Wort der Kinder bei der Rede am großen Stein, der heilig barbarische Ruf: »Hurra das Leben!«

      O Leben, wunderbares, das du dir mit wissendem Willen Märtyrer schaffst, auf daß sie dir lobsingen, o Leben, weisegrausames, das du die Größen dir hörig machst mit Leiden, damit sie deinen Triumph verkünden! Den ewigen Schrei Hiobs, der durch die Jahrtausende tönt, da er in der Plage Gott erkennt, immer willst du ihn wieder hören und der Männer Daniels Jubelgesang, indes ihr Leib im feurigen Ofen brennt. Ewig entzündest du ihn, klingende Kohle, auf der Zunge der Dichter, die du zu Leidenden machst, auf daß sie dir hörig werden und dich nennen in Liebe! Beethoven schlägst du im Sinne der Musik, daß der Ertaubte das Brausen Gottes höre und, vom Tode berührt, dir die Hymne der Freude dichte, Rembrandt jagst du ins Dunkel der Armut, daß er Licht, dein Urlicht, in Farben sich suche, Dante verjagst du vom Vaterland, daß er Hölle und Himmel im Traum erschaue, alle hast du mit deinen Geißeln gejagt in deine Unendlichkeit. Und diesen, den du wie keinen gegeißelt, auch ihn hast du dir gezwungen zum Knechte, und siehe, von schäumender Lippe, hinfallend in Krämpfen jauchzt er dir Hosianna zu, das heilige Hosianna, das »durch alle Fegefeuer der Zweifel gegangen«. O wie siegst du in den Menschen, die du leiden läßt, aus Nacht machst du Tag, aus Leiden die Liebe, aus der Hölle holst du dir heiligen Lobgesang. Denn der Leidendste ist der Wissendste aller, und wer um dich weiß, muß dich segnen: und dieser, der dich zutiefst erkannte, siehe, er hat dich wie keiner bezeugt, er hat dich wie keiner geliebt!

      Brasilien

       Inhaltsverzeichnis

      Ein Land der Zukunft

      Bermann-Fischer, Stockholm 1941

       Un pays nouveau, un port magnifique, l’éloignement de la mesquine Europe, un nouvel horizon politique, une terre d’avenir et un passé presque inconnu qui invite l’homme d’étude à des recherches, une nature splendide et le contact avec des idées exotiques nouvelles.

      Der österreichische Diplomat Graf Prokesch-Osten 1868 an Gobineau, als dieser zögerte, den Gesandtschaftsposten in Brasilien anzunehmen.

       Einleitung

       Geschichte

       Wirtschaft

       Blick auf die brasilianische Kultur

       Rio de Janeiro

       Einfahrt

       Das alte Rio

       Spazieren durch die Stadt

       Die kleinen Straßen

       Kunst der Kontraste

       Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind

       Gärten, Berge und Inseln

       Sommer in Rio

       Blick auf São Paulo

       Besuch beim Kaffee