Stefan Zweig

Gesammelte Werke von Stefan Zweig


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Hände da. Die wenigen Kolonisten reichen nicht aus, um das Zuckerrohr zu pflanzen und in den engenhos, den primitiven Fabriken zu arbeiten; außerdem sind diese Abenteurer und Conquistadoren nicht deshalb über das Meer in dies tropische Land gekommen, um hier mit Hacke und Schaufel zu werken. Sie wollen hier Herren sein; so hatten sie sich einfach geholfen, indem sie die Eingeborenen wie Hasen einfingen und sie dann unter der Peitsche roboten ließen, bis sie zusammenbrachen; die Erde gehört ihnen, argumentieren sie, mit allem, was darüber und darunter ist, also auch alle diese zweibeinigen braunen Tiere, gleichgültig ob sie bei der Arbeit verrecken oder nicht; für jeden Toten holt man sich in der munteren caça al branco ein Schock neuer ein und hat dazu noch einen sportlichen Spaß.

      Gegen diese bequeme Auffassung greifen nun die Jesuiten energisch ein, denn die Versklavung und Entvölkerung des Landes geht schroff ihrem weitreichenden und wohldurchdachten Plan zuwider. Sie können es nicht dulden, daß die Kolonisten die Eingeborenen zu Arbeitstieren herabdrücken, weil sie sich es doch gerade als die wesentlichste Aufgabe gesetzt haben, diese Unbelehrten dem Glauben, der Erde und der Zukunft zu gewinnen. Jeder freie Eingeborene bedeutet für sie ein notwendiges Objekt der Besiedlung und Zivilisierung. Während es bislang im Interesse der Kolonisten lag, die einzelnen Stämme zu fortwährenden Kriegen gegeneinander zu hetzen, damit sie einander rascher ausrotten und man außerdem nach jedem Kriegszug die erbeuteten Gefangenen als billige Ware kaufen könnte, suchen die Jesuiten die Stämme untereinander zu versöhnen und in dem gewaltigen Raume durch Ansiedlung zu isolieren. Der Eingeborene stellt für sie als künftiger Brasilianer und gewonnener Christ die vielleicht kostbarste Substanz dieser Erde dar, wichtiger als das Zuckerrohr, das Brasilholz und der Tabak, um derentwillen sie geknechtet und ausgerottet werden sollen. Als die wesentliche, die gottgewollte Nahrung wollen sie diese noch ungeformten Menschen in die Scholle einsetzen, ebenso wie die fremden Früchte und Pflanzen, die sie von Europa mitgebracht haben, statt sie verkümmern und weiter verwildern zu lassen. Ausdrücklich haben sie sich darum vom König die Freiheit der Eingeborenen ausbedungen, in ihrem Plan soll es im künftigen Brasilien nicht eine Herrennation von Weißen und eine Sklavennation von Farbigen geben, sondern nur ein einheitliches freies Volk auf freier Erde.

      Freilich, selbst ein königlicher Brief und Auftrag verliert dreitausend Meilen weit viel von seiner gebieterischen Kraft, und ein Dutzend Priester, von denen die Hälfte immer auf ruhelosen Missionsfahrten das Land durchwandert, sind zu schwach gegen den selbstsüchtigen Willen der Kolonie. Um wenigstens einen Teil der Eingeborenen zu retten, müssen die Jesuiten in der Sklavenfrage paktieren. Sie müssen die angeblich im »gerechten« Kriege, das heißt im Verteidigungskriege gegen die Eingeborenen gemachten Gefangenen den Kolonisten als Sklaven konzedieren, und selbstverständlich findet diese Verklausulierung die allerbiegsamste und unkontrollierbarste Auslegung. Außerdem sind sie genötigt, um nicht beschuldigt zu werden, das rasche Fortschreiten der Kolonie zu verunmöglichen, den Import afrikanischer Neger zu befürworten; selbst diese geistig hochstehenden und human gesinnten Männer können sich nicht der Anschauung der Zeit entziehen, für die der Negersklave ein ebenso selbstverständlicher Handelsartikel ist wie Wolle oder Holz. In jenen Jahren beherbergt Lissabon, die europäische Hauptstadt, schon zehntausend schwarze Sklaven; wie sie dann dem Kolonialland verweigern? Sogar die Jesuiten selbst sind genötigt, sich Neger anzuschaffen; mit voller Gleichmütigkeit berichtet in einem Atemzug Nóbrega, er habe drei Sklaven und einige Kühe angeschafft für sein Kollegium. Aber an dem Prinzip, daß die Eingeborenen Brasiliens nicht Freiwild jedes hergelaufenen Abenteurers sind, halten die Jesuiten unbeugsam fest; sie schützen jeden ihrer Täuflinge, und die ethische Unbeugsamkeit, mit der sie für das Recht der braunen Brasilianer kämpfen, wird ihr Verhängnis sein. Nichts hat die Situation der Jesuiten in Brasilien so schwierig gemacht wie dieser Kampf um die brasilianische Idee der Besiedlung und Beseelung des Landes durch freie Menschen, und wehmütig bekennt einer von ihnen: »Viel ruhiger hätten wir gelebt, wenn wir bloß in den Kollegien geblieben wären und uns darauf beschränkt hätten, einzig religiösen Dienst zu tun.« Aber der Gründer ihres Ordens war nicht umsonst vordem Soldat gewesen, er hatte seine Schüler zum Kampf erzogen für eine Idee. Und diese Idee haben sie mit ihrem Leben in das Land getragen: die Idee Brasiliens.

      Es zeigt den großen Strategen in Nóbrega, daß er bei seinem Eroberungsplan des künftigen Reiches sofort den richtigen Punkt für den Brückenschlag in die Zukunft erkannte. Bald nach seiner Ankunft in Bahia hatte er seine erste Ausbildungsschule errichtet und mit den nachgekommenen Brüdern in mühevollen, anstrengenden Fahrten die ganze Küste von Pernambuco bis hinab nach Santos visitiert, wo er São Vincente begründet. Aber noch immer hat er nicht die richtige Stelle gefunden für das Hauptkollegium, für das geistige und geistliche Nervenzentrum, das nach und nach das ganze Land durchdringen soll. Auf den ersten Blick ist dieses sorgliche, wohl überlegende Suchen Nóbregas nach einem richtigen Stützpunkt unverständlich. Warum verlegt er sein Hauptquartier nicht nach Bahia, der Hauptstadt, dem Sitz des Gouverneurs und des päpstlichen Bischofs? Aber hier wird man zum erstenmal eines geheimen Gegensatzes gewahr, der mit der Zeit sich zu einem offenen und schließlich sogar gewalttätigen auswirken wird. Der Orden Loyolas will nicht unter staatlicher und nicht einmal unter päpstlicher Kontrolle sein Werk beginnen; den Jesuiten geht es von der ersten Stunde an bei Brasilien um ein höheres Spiel und Ziel, als dort bloß ein lehrendes, helfendes, der Krone und der Curie untergeordnetes Kolonisationselement zu sein. Brasilien bedeutet für sie ein entscheidendes Experiment, die erste Probe für die Realisationsfähigkeit ihrer organisatorischen Kraft, und Nóbrega spricht es unumwunden aus: esta terra é nossa emprêsa, »dieses Land ist unsere Aufgabe« und meint damit: wir sind für ihre Lösung vor Gott und den Menschen verantwortlich. Verantwortung will der Starke aber nur allein tragen. Die Jesuiten – dies der Grund des geheimen Mißtrauens, das sie in Brasilien von Anfang an durch die Geschichte begleitet – hatten zweifelsohne ein besonderes, ein persönlich durchdachtes und den andern nicht ganz erkennbares Ziel. Was sie – bewußt oder unbewußt – anstrebten, war nicht bloß die Heranbildung einer portugiesischen Kolonie unter all den andern portugiesischen Kolonien, sondern eine theokratische Gemeinschaft, ein neuartiges, den Kräften des Geldes und der Gewalt nicht unterworfenes Staatsgebilde, wie sie es ja später in Paraguay zu gründen versuchten. Von der ersten Stunde an wollten sie mit Brasilien etwas Einmaliges, etwas Neues, etwas Vorbildliches schaffen, und eine solche neuartige Konzeption mußte früher oder später mit den bloß merkantilen und feudalistischen Ideen des portugiesischen Hofes in Konflikt geraten; sicher ging es ihnen nicht, wie ihre Gegner sie beschuldigten, um eine Besitznahme Brasiliens im souveränen oder kapitalistischen Sinne für ihren Orden und dessen Zwecke.

      Aber daß sie mehr mit Brasilien wollten als dort bloß Prediger des Evangeliums sein, daß sie mehr und etwas anderes als die anderen geistlichen Orden mit ihrer Anwesenheit dort einsetzen und durchsetzen wollten, das spürte von Anfang an die Regierung, die sich ihrer dankbar bediente und sie doch mit einem leisen Mißtrauen überwachte, das spürte die Curie, die ihre geistige Autorität mit niemandem zu teilen geneigt war, das spürten die Kolonisten, die sich in ihrem rücksichtslosen Raubbau von den Ordensbrüdern gehemmt fühlten. Gerade weil sie nichts Sichtbares wollten, sondern die Durchsetzung eines geistigen, eines idealistischen, und darum den Tendenzen der Zeit unfaßbaren Prinzips, hatten sie von Anfang ständig Widerstand gegen sich, dem sie schließlich erliegen mußten, ausgestoßen aus dem Lande, dem sie trotz allem und allem den Keim der Befruchtung eingesenkt haben. Es war also vollkommen wohlüberlegt, daß Nóbrega, um diesen Konflikt der Kompetenzen möglichst lange zu vermeiden, sein Rom, seine geistige Hauptstadt abseits von der Residenz des Gouverneurs und des Bischofs anlegen wollte; nur wo er ungehindert und unbeaufsichtigt wirken konnte, vermochte jener langsame und mühevolle Prozeß der Kristallisierung zu gelingen, der ihm vorschwebte. Diese Rückverlegung des Wirkungszentrums von der Küste ins Binnenland bedeutete im geographischen Sinn wie zum Zweck der Katechisierung einen wohlerwogenen Vorteil. Nur eine Wegkreuzung im Land, geschützt einerseits gegen piratische Angriffe von der See her durch die Bergkette und doch nahe dem Ozean, nahe aber auch anderseits zu den verschiedenen Stämmen, die der Zivilisation zu gewinnen und aus dem Nomadischen zum Seßhaften zu erziehen waren, konnte die ideale Keimzelle bilden.

      Nóbregas Wahl fällt auf Piratininga, das heutige São Paulo, und die spätere historische Entwicklung hat die Genialität seiner Entscheidung bestätigt, denn die Industrie, der Handel, der Unternehmungsgeist Brasiliens sind noch nach Hunderten von