Stefan Zweig

Gesammelte Werke von Stefan Zweig


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mich quälten, die widrigen Tiere,

       Die wirrichten Träume, die geilen Vampire,

       Bald kühlten und bald durchschwülten sie mich,

       Bis tiefst zu innen aufwühlten sie mich,

       Daß ich, wenn endlich der Morgen anbrach,

       Entkräftet im Schweiß meines Leibes lag,

       Von Schauer und Traum

       Ganz ausgehöhlt wie ein uralter Baum.

      JEREMIAS:

      Oh, Mutter, oh, Mutter, was tat ich dir an!

       Und ich strich die Straßen, fremd, unbedacht!

       Mit Jahren laß jede Nacht mich entsühnen,

       Die du um meinetwillen verwacht!

       Jetzt, jetzt erst hebt ja mein Leben an,

       Seit ich heim in deine Vergebung mich fand,

       Nun weiß ich erst, daß die wirrichte Welt

       Der Liebe nicht auch nur ein Tausend enthält,

       Als das milde Kreuz deiner Arme umspannt.

      DIE MUTTER:

      Oh, mein Sohn, mein Kind, mein Jeremia,

       Oh, ahntest du, was du an Tröstung gibst,

       Wenn ich wieder erfühle, daß du mich liebst,

       Oh, daß du doch immer mir nahe bliebst,

       Du mein brennender Trost, mein seliges Licht,

       Du mein Erdenbrot, du mein Gottesdank,

       Genesen entglüht mir schon deinem Gesicht!

       Oh, höre, ich beschwöre dich,

       Jeremias, verlaß mich nicht,

       Bleib mir jetzt nah, es währt nicht lang,

       Bleib da bei mir, Jeremia!

      JEREMIAS:

       Was fürchtest du… ich faß dich nicht…

      DIE MUTTER:

      Nicht lüge, nicht betrüge mich.

       Glaubst du, daß ichs nicht innen spür,

       Wie sichs mit mir zu Ende neigt.

       Ich fühls: der Tod ist wach in mir!

       Und wie in einer Schattenuhr

       Ganz unmerklich

       Der schwarze Zeiger Strich um Strich

       Wandaufwärts schiebt und ründet sich,

       So steigt

       Mit jedem wachen Atemzug

       Das Dunkel tiefer mir ins Blut.

       Weh, daß ichs selbst so wissend spür,

       Wie ich im wachen Blut einfrier.

      JEREMIAS:

      Mutter, wie soll ich den Wahn verstehn,

       Du willst mich verlassen? Willst von mir gehn?

       Bedenke, nun sind

       Wir doch einander kaum wiedergewonnen,

       Zu neuer Gemeinschaft, Mutter und Kind,

       Nun erst hat mein wahrhaft Leben begonnen,

       Gott hat nicht vergebens mich heimgesendet

       Aus meiner Wirrnis und meinem Wahn:

       Ein Anbeginn ist dies von Gott und kein Ende,

       Oh, Mutter, heb neu mir zu leben an!

      DIE MUTTER:

      Du ewiger Träumer, du mein töriges Kind,

       Wie verführungsvoll deine Worte doch sind!

       Ach, daß ichs vermöchte,

       Was du ersehntest, dir wahrhaft zu werden,

       Ein Traum wär die Welt, zum Himmel die Erde!

       Im stillen Haus, einträchtig zu zwein,

       Wie friedsam sollte dies Leben sein!

       Mit lindem Gang

       Schritt ich des Tags deine Stunden entlang,

       Und zur Nacht

       Säß ich ob deinem Schlummer wach

       Und glänzte den Blick als ein lauschend Licht

       In das schlafend Dunkel auf deinem Gesicht,

       Ich horchte in deines Atems Getön,

       Ob still er weht

       Oder heiß von Fiebern und Träumen geht.

       Und fühlt ich, die Träume erschreckten dich,

       So weckte ich dich,

       Und dein erster, dunkelenttauchender Blick

       Fiele froh in das Lächeln des meinen zurück.

      JEREMIAS:

      Mutter, Geliebte, sorge dich nicht,

       Meine Nächte sind dunkel und träumeleer.

       Es ist vorüber: ich träume nicht mehr.

      DIE MUTTER:

       Du träumst nicht mehr?

      JEREMIAS:

      Ich träume nicht mehr.

       Mein Schlaf ward schwarz, mein Schlaf ward stumm,

       Nicht mehr wallen

       In meinem Blut die Gesichte um,

       Meine Träume sind tief in den Tag gefallen,

       Ihr Schauer hat sich den Stunden gesellt:

       Ich träume nicht mehr, denn wach ward die Welt.

      DIE MUTTER (ekstatisch):

      Jeremia! Du träumst nicht mehr?

       Oh, wie gut! Oh, wie gut!

       Siehst du Verzagter, ich wußte es ja,

       Gott würde dein dunkelndes Herz erleuchten

       Von seiner Wirrnis und seinem Wahn!

       Oh, so selig sicher glühts mir im Blut,

       Was ich dich lehrte von Anfang an:

       Nie wird ein Feind diese Stadt umwallen,

       Nie Zion zittern, nie Davids Burg fallen,

       Und wenn der Feind von den Enden der Erde käm,

       Ewig werden die ragenden Mauern,

       Ewig die Herzen Israels dauern,

       Ewig währet Jerusalem!

      JEREMIAS (ist von den Knien aufgefahren. Er starrt sie wie ein Sinnloser an. Seine Lippen beben das Wort wie eine Frage nach): Nie wird… ein Feind… unsere Stadt… umwallen?…

      DIE MUTTER (aufzitternd vor Angst):

      Was schrickst so jäh,

       Was blickst du so blaß?

      JEREMIAS (noch ganz benommen im Schauer):

       Nie wird… ein Feind… unsere Stadt umwallen…

      DIE MUTTER:

      Jeremia, sprich,

       Was ist dir geschehn,

       Was krampfst du die Hand,

       Was birgst du den Blick?

       Was schrickst du und blickst du so unbewußt?

       Und ihr,

       Achab, Jochebed,

       Was winkt ihr ihm ab,

       Was blinkt ihr ihm zu,

       Jeremia, Jeremia,

       Sage mir, sage, was ist geschehn?

      JEREMIAS (sich fassend):

      Nichts, Mutter… nichts… nicht errege dich.