Stefan Zweig

Gesammelte Werke von Stefan Zweig


Скачать книгу

es nicht?

      SCHWERTTRÄGER:

       Ich höre nichts, mein König!

      NEHEMIA:

       Nichts habe ich vernommen…

      ZEDEKIA (sieht beide starr an, dann krümmt er sich wieder auf seinem Lager zusammen, horcht und plötzlich wieder losbrechend): Und doch! Es spricht! Es spricht! Es spricht ohne Ende! Hieher, Schwertträger, hier, unter meinem Ohr. Wie ein Maulwurf wühlt es im Schwarzen meines Schlafes und frißt meine Ruhe. Hörst du, hörst du es nicht?

      SCHWERTTRÄGER (lauscht. Es ist einen Augenblick ganz still. Dann schaudernd):

       Ich höre eine Stimme. Aus der Tiefe dringt sie empor!

      ZEDEKIA:

       Ah, du hörst sie auch!

      SCHWERTTRÄGER (schaudernd):

       Es tönt wie Gesang. Die Geister der Tiefe sind wach unter dem Haus. Es klagt und stöhnt wie ein gefesseltes Tier.

      NEHEMIA:

       Vielleicht ist es Wind, in eine Spalte verfangen?

      ZEDEKIA:

       Nein, Worte sind es, ich fühle sie, ohne sie zu fassen. Wer singt hier nachts in meinem Haus? Ist den Sklaven so wohl, daß sie singen, indes ich, der König, hier liege mit brennenden Lidern? Geh, Joab, und mache ihn stumm.

      (SCHWERTTRÄGER eilends ab.)

      ZEDEKIA (bleibt gekrümmt horchend. Er scheint etwas zu hören, denn er hebt den Kopf, dann beugt er sich wieder horchend nieder. Plötzlich hört man drei dumpfe Schläge. Der König horcht gierig. Dann aufatmend): Gott sei gedankt. Es schweigt! Es ist stumm! Er hat es stumm gemacht!

      (SCHWERTTRÄGER erscheint wieder an der Tür. Er blickt verstört.)

      ZEDEKIA:

       Wer war es, der da sprach?

      SCHWERTTRÄGER (zitternd):

       Ich weiß es nicht, Herr. Ich bin ihm nicht genaht. Wie ich niederstieg zur Halle, hörte ich stärker das Singen, aus der Tiefe der Erde schien es zu kommen, und grauenhaft tönten die Worte. Ich ging nach, wo sie tönten, und fand doch keinen, der sang in der Halle, immer war es tiefer als ich, immer tiefer, wie aus einem Brunnen klang es empor oder einer Grube. Und ich hörte seine Worte, die waren fürchterlich. Dreimal stieß ich den Speer auf die Erde. Und da schwieg die Gehenna.

      ZEDEKIA:

       Was tönte die Stimme?

      SCHWERTTRÄGER (schaudernd):

       Ich… ich kann es nicht sagen!

      ZEDEKIA:

       Ich befehle dir: sage die Worte!

      SCHWERTTRÄGER:

       Lästerung war es, mein König, die aufströmte vom Brunnen.

      ZEDEKIA:

       Was waren die Worte? Bei meinem Zorn!

      SCHWERTTRÄGER (schaudernd. Seine Stimme wird psalmodierend im Gesang):

      So sang es von der Tiefe:

       Ich habe mein Haus verlassen müssen

       Und mein Erbe meiden,

       Und was meine Seele liebet, in der Feinde Hand geben.

       Meine Augen fließen mit Tränen Tag und Nacht

       Und hören nicht auf,

       Denn die Jungfrau, die Tochter meines Volks,

       Ist greulich zerplagt.

      ZEDEKIA (aufschreiend):

       Jeremias! Er, immer er!

      SCHWERTTRÄGER (wie begeistert weitersingend):

      Wehe, wie hat der Herr die Tochter Zion

       Mit seinem Zorn überschüttet!

       Er hat die Herrlichkeit Israels

       Vom Himmel auf die Erde geworfen,

       Er hat die Mauer seiner Paläste

       In des Feindes Hände gegeben,

       Daß sie im Hause des Herrn geschrien haben

       Wie an einem Fest.

       Er hat…

      ZEDEKIA (ausbrechend):

       Schweig still! Schweig still! Ich will es nicht hören. Ich will nicht! Immer er, immer er! Auf jeden Kreuzweg ist er gestellt, da ich schreite, hinter meinen Taten rennen seine Rufe, in meine Träume drängt er sich ein und füttert meinen Zwiespalt. Wie ihm entrinnen, dem Schatten, dem fürchterlichen? Aus der Grube noch schreit er zu mir! Wie ihm entfliehen, der mich verfolgt, wie ihm entgehen, der allerorts ist? Wer befreit mich von ihm…

      SCHWERTTRÄGER:

       Herr, ist es dein Feind, so… (Er macht eine Bewegung.)

      ZEDEKIA (aufgeschreckt aus seinem Zorn, starrt ihn fassungslos an. Dann in erwachendem Stolz): Du meinst… Nein, ich fürchte ihn nicht. Ich fürchte niemanden. Und ich weiß nicht, ob er mein Feind ist. Vielleicht war es töricht, vor ihm zu flüchten… Vielleicht… (Er geht unruhig auf und ab): Schwertträger!

      SCHWERTTRÄGER:

       Mein König?

      ZEDEKIA:

       Geh hinab und schließe auf die Düngergrube. Nimm mit deinen Bruder Nehemia, und bringet den Mann aus der Tiefe vor mich her. Geheim muß er gebracht werden und im geheimen wieder hinab.

      (DER SCHWERTTRÄGER und sein Bruder eilig ab.)

      ZEDEKIA (allein. Er spricht halblaut vor sich hin):

       An jedem Kreuzweg hinter meinem Rücken und immer zu spät, und immer muß ich ihn hören. Warum rief ich nur Gott, der mir schweigt, und nicht alle, die sagen, daß er rede durch sie? Aber warum reden sie einer gegen den andern und widersprechen sich, wie ja dem nein? Wie sie erkennen, wie scheiden das Falsche vom Wahren? Furchtbar, furchtbar dieser Gott, der immer nur schweigt und dessen Boten keiner erfaßt!

      (JEREMIAS erscheint, begleitet vom Schwertträger, der auf eine Gebärde Zedekias sofort den Raum verläßt. Sein Antlitz ist fahl und abgemagert, schwarz wie aus einem Totenschädel schauen die Augen aus einem weißen, knöchernen Gesicht. Er blickt den König ruhig forschend an.)

      ZEDEKIA (nach einer kurzen Betretenheit):

       Ich habe dich rufen lassen, Jeremia. Warum störst du meine Ruhe? Was singst du des Nachts, da alle schlafen, und schläfst nicht auch?

      JEREMIAS:

       Dem, der da wachen soll über das Volk, ist kein Schlafen verstattet, und zum Wächter bin ich gesetzt und zum Warner.

      ZEDEKIA:

       Wahr sprichst du, Jeremias, nicht ist jetzt Zeit zu ruhen in Jerusalem, und bei Gott, ich habe nicht geruht. Ratschluß habe ich gehalten mit den Dienern meiner Krone, aber nicht ward still meine Seele daran. Die Freunde habe ich vernommen, die meines Sinnes sind, doch noch verlangt es mich, den zu vernehmen, der wider mich ist in Jerusalem.

      JEREMIAS:

       Nie ward mein Herz wider dich, mein König, nur meine Rede wider dein Tun.

      ZEDEKIA:

       Und nie war ich dir feind, sei des eingedenk in dieser Stunde! Wenn ich dich verschloß, so war es, dich zu retten vor deinen Widersachern. Heilig war mir dein Haupt um deiner Kühnheit willen. Doch nun sprich zu mir nicht, wie du am Markte sprichst, sondern in deiner Seele und vor Gottes Ohr. Nahe bist du vielleicht deinem Ende, und die Bücher sagen, daß Worte wahr sind im Antlitz des Todes.

      JEREMIAS:

       Nicht näher bin ich dem Tode, Zedekia, als du selbst. Auf einem Blatte des dunklen Buches ist unsere Stunde gezeichnet.

      ZEDEKIA:

       Ich bin nicht dein Feind: möge sie dir ferne sein!

      JEREMIAS:

       Zweimal