Stefan Zweig

Gesammelte Werke von Stefan Zweig


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Rede, und vor dir lief schon die Tat. Nun spreche ich in dein Antlitz und frage dich, was begehrst du von mir?

      ZEDEKIA:

       Viel ist von den Dingen wahr geworden, Jeremias, die du geweissagt, und deine Stimme ward stärker in meiner Seele. Nabukadnezar ist gekommen von Mitternacht mit Rossen und Wagen, wie du gesehen im Traum, und gürtet die Stadt. Nichts ist ihm gelungen bislang, doch mächtig hilft ihm die Zeit. Ein Geheimnis will ich dir künden. Karg wird in den Mauern das Brot.

      JEREMIAS:

       Ich weiß es, Herr.

      ZEDEKIA:

       Wie kannst du es wissen? Keiner hat die Säcke gezählt, als Nachum, der Hüter. Wie gibst du vor, es zu wissen, der du beim Dünger liegst unter der Erde?

      JEREMIAS:

       Das Brot ist kleiner geworden und kleiner, das sie mir in die Grube reichen, kaum deckt mirs die Spanne der Hand. Und ich höre die Hunde winseln des Nachts und scharren in den Knochen, denn keiner wirft ihnen mehr Weiches zu. So ward mir die Not bewußt.

      ZEDEKIA (noch gereizter):

       Die Hunde wissen es in den Gassen, die Versenkten in ihrer Grube, und mich, den König, hat man heut es gelehrt. Auf den Gassen geht die Wahrheit um und weilet dort lange, ehe sie kommt zu den Königen.

      JEREMIAS:

       Wie soll Wahrheit dorthin eilen, wo Dünkel weilt? Ist ihr denn Willkomm bei den Königen? Hart ist das Ohr der Könige und nur aufgetan der Honigrede, ihre Hüften umgürtet mit Hochmut und ihre Füße umnestelt mit Schmeichlern. Sie meinen, die Hochmütigen, man könne Feuer fassen, ohne sich zu brennen, und ins Schwert greifen, ohne sich zu schneiden. Wer aber den Frieden stört, dem wird er verstöret werden, und wer Wind in die Welt gesäet, wird Sturm ernten in seiner Seele.

      ZEDEKIA:

       Jeremia, zum Rat habe ich dich gerufen, nicht zur Schmähung! Aus deiner Tiefe habe ich dich geholt, und keiner weiß es von ihnen, daß aus dem Brunnen, darein sie dich versenkten, Ratschluß ich hebe. Darum sprich zu mir wahrhaft und rate, ehe daß du schmähest. Willst du mir zu Willen sein?

      JEREMIAS:

       Gott einzig bin ich zu Willen.

      ZEDEKIA:

       So höre, was keiner weiß, denn meine Räte. Ein Bote kam von Nabukadnezar, daß wir wendeten den Krieg von unseren Völkern.

      JEREMIAS (jauchzend):

       Gelobt sei Gott! Tu auf ihm die Tore, tu auf der Demut dein Herz!

      ZEDEKIA:

       Nicht juble zu früh! Hart ist, was er fordert von uns, und seine Hoffart ohne Maß.

      JEREMIAS:

       Hoffärtig warst du wider ihn, so nimm nun Hoffart von ihm. Zwinge dein Herz, doch rette die Stadt!

      ZEDEKIA:

       Meine Ehre hat er gefordert.

      JEREMIAS:

       Gib sie hin für die Stadt!

      ZEDEKIA:

       Ist nicht Ehre mein Amt und der Stolz meine Krone?

      JEREMIAS:

       Was dein ist, wirf weg! Besser als Ehre ist Friede, besser Leiden denn Sterben.

      ZEDEKIA:

       In ein Joch will er mich beugen!

      JEREMIAS:

       Selig zu leiden einer für alle, zu leiden für das lebendige Leben. Beuge den Nacken, errette die Stadt!

      ZEDEKIA:

       Schmach wäre es für all die Könige, deren Erbe ich bin, Unflat am Kleid meiner Ahnen.

      JEREMIAS:

       Nicht derer denke, die waren, denn Staub sind sie und Wurmfraß. Denke der Stadt, gedenke der Lebendigen!

      ZEDEKIA:

       Doch nicht mich nur will er erniedrigen, auch unsern Gott.

      JEREMIAS:

       Gott lächelt seiner Verächter! Tu auf ihm die Tore, tu auf der Demut dein Herz!

      ZEDEKIA:

       Das Heiligste will er betreten, dem keiner genaht!

      JEREMIAS:

       Gott wird es wehren, so es sein Wille ist, nicht du. Tu auf die Tore, tu auf der Demut dein Herz!

      ZEDEKIA (ergrimmt):

       Starrsinn ist deine Weisheit und Trotz dein Ratschluß. Mit tauben Ohren hörst du mir zu, und Kieselstein ist deine Antwort.

      JEREMIAS:

       Soll ich die Hände klappen zu deiner Verblendung und jauchzen zu deinem Wort? Rat scheinst du zu fragen und buhlst doch nur Beifall. Doch eher dorre meine Zunge und zerfalle mein Gebein, als daß ich deine Torheit lobe und nicht schreie wider deine Verblendung.

      ZEDEKIA:

       Was wirfst du dich hart über mich? Noch weißt du meinen Willen nicht.

      JEREMIAS:

       Ich kenne deinen Sinn. Nur dein Wort buhlt um mich, doch dein Wille bockt wider mich! Willst du meiner spotten und spielen mit Gottes Wort? Nicht riefst du mich, daß ich die Wage sei deines Entschlusses. Längst ist die Botschaft gehärtet in deiner Seele und gesiegelt deine Meinung. Nicht mich belügst du, nur dich selber, König von Israel.

      ZEDEKIA:

       Jeremias!

      JEREMIAS:

       Ja, ich, Jeremias, sage dir, dem Könige: Unwahr handelst du an mir, und Ausflucht sind deine Worte. Denn nicht frei ist dein Wille mehr, und du willst nicht, daß ich ihn wende.

      ZEDEKIA (unsicher):

       Wie kannst du es wissen?

      JEREMIAS:

       Deine Lippe verrät es, wie ein Schuldiger schreckst du vor meinem Zorn. Versuchen wolltest du mich, daß ich dir zuspräche und ablüde die Schuld deinen Schultern, aber, wehe dem, der Menschen versucht, denn Gott versucht er in ihnen.

      ZEDEKIA (zögert betroffen. Dann leise):

       Viel ist dir zu wissen gegeben, Jeremias! Wahr, allzu wahr ist dein Wort. Nicht ist mein Wille mehr frei. Schon ist die Botschaft bei dem Boten.

      JEREMIAS:

       Nimm sie ihm ab! Errette die Stadt!

      ZEDEKIA:

       Schon ist er gegangen.

      JEREMIAS:

       Zurück! Ruf ihn zurück!

      ZEDEKIA:

       Zu spät! Zu spät bist du gekommen.

      JEREMIAS:

       Eile ihm nach! Laß ihm nachsetzen mit Rossen und Läufern.

      ZEDEKIA:

       Es ist zu spät. Schon hält sie des Königs Hand!

      JEREMIAS (bricht zusammen, verhüllt sein Gesicht, mit einem dumpfen Schrei die Hände reckend): Dann wehe, wehe Jerusalem! Jerusalem! Jerusalem! Wehe! Wehe!

      ZEDEKIA (erschreckt ihm nahe tretend):

       Was ist dir, Jeremias?

      JEREMIAS (hört ihn nicht. Ein Schluchzen geht durch seinen Körper. Allmählich richtet er sich ganz empor. Seine Augen starren in die Ferne mit ekstatischem Blick, sein ganzer Leib ist durchschüttelt von mächtiger Bewegung. Er spricht abwesend wie im Gebet, die Hände aufhebend, überwältigt von innern Gesichten):

      Oh wehe, wie bist du vom Himmel gefallen,

       Jerusalem, prächtiger Morgenstern,

       Und gedachtest doch über die Welten zu steigen!

       Über die Wolken wolltest du fahren,

       Doch wehe, du bist gesunken, du Schöner,