hinein von seiner einseitigen Zärtlichkeit erschüttert, die ihre gesteigerte, hilflose Empfindsamkeit wie einen Vorwurf traf. Still und groß quollen Tränen durch ihre Wimpern und rollten die Wangen hinab. Dann streckte sie ihm ihre Hand hin und sagte bittend: »Andreas, sei nicht böse auf unser Kind, ich kann nicht dafür.« Da schmolz sein unbeständiges, schrankenloses Herz ganz in Weichheit. Ohne Rücksicht auf die Hebamme kniete er neben das Bett, küßte seiner Frau immer wieder die blutleeren Lippen, versicherte sie seiner Freude und war bemüht, durch Liebkosungen ihren Verdacht zu zerstreuen. Er ließ sich auch das Kind reichen und drückte einen zaghaften Kuß auf die Stirn des unwirklich kleinen, rotfleckigen Wesens. Doch als er droben in der Stube, wo man ihm das Lager aufgeschlagen hatte, allein war, brachte er es nicht über sich, Licht anzuzünden, sich zu entkleiden und ins Bett zu legen. Er rückte sich einen Stuhl ans Fenster und starrte unverwandt in die Finsternis, ohne doch in dem Wirbel seiner widerstreitenden Seele einen Untergrund zu finden. Tief am Morgen fand ihn die Magd, die ihn wecken sollte, am Fensterbrett zusammengesunken in festem Schlaf.
Viertes Kapitel
Dabei blieb es denn auch monatelang, es mag sein, vielleicht bis gegen das Jahr hin. Andreas bewegte sich, Hand in Hand, in zärtlicher Liebe mit seiner Frau durch die Tage und trug, ohne es zu verleugnen, aber auch ohne es hervorzukehren, geheim jene Friedlosigkeit in sich, die jede enttäuschende Erfüllung unserer Seele als Erbteil zurückläßt, auch wenn wir sie überwunden haben. Er war zu klug, zu wenig in seiner Tiefe von der dumpfen Enge des bäuerlichen Wesens befangen, als daß er für immer die gekränkte Eitelkeit, die Vaterschaft eines Mädchens und nicht die eines Knaben erhalten zu haben, als den Grund der Beklommenheit und Unruhe eindeutig in sich geduldet hätte. Und doch kam er zu seinem Kinde, dem nach dem Willen der Mutter der Name Helene gegeben worden war, in kein anderes Verhältnis als das erzwungener, unbeholfener Spielerei, belangloser Zärtlichkeit und oberflächlicher Liebkosungen. Er befand sich wohl in der Lage eines Menschen, der in den Stürmen eines wilden, langen Winters sich nach der vollen Erlösung seiner gebundenen Kräfte sehnt und dann durch einen dürftigen Frühling um die besten Hoffnungen betrogen wird. Seine Tollheit, die ihn abermals in der Ehe überfallen hatte, fühlte er immer deutlicher nur als die Ungeduld eines Mannes, der an eine Mauer schlägt, daß sie ein breites Tor zu unbegreiflichen Seligkeiten auftue. Nun hatte es sich erschlossen und nichts als dies zarte, blonde Kind war ihm geschenkt worden, das in einer Welt schwebte, in die zu dringen es sich nicht der Mühe lohnte. Vielleicht litt er neben dieser Maßlosigkeit seines Wesens nur an der Unfähigkeit zum stillen, glückväterlichen Gefühle. Aber es ist ja vergeblich, eine Menschenseele bis auf den letzten Tropfen ausschöpfen zu wollen. Genug, das Vertrauen in die Berechtigung seiner bisherigen Lebensführung wurde so erschüttert, daß ihn auch seine Ausschweifungen langweilten, daß sein Übermut zur leeren Gewohnheit und seine bunten Spaße zur Grimasse wurden. So trieb er sich mißmutig, verdunkelt durch die Gassen seines alten Lebens; nein, auch einsam, ganz einsam; als Gefährten nur ein hohes, unbegreifliches Verlangen.
Ja einsam, denn die Liebe ist ein zu unpersönliches, ein Allgefühl, als daß es über die Stürme der Umarmungen hinaus bis in die Sanddünen unseres alltäglichen Lebens die Seele der Welteinsamkeit entreißen könnte. Kaum brennt das Feuer unseres Auges wieder schwächer, so ist das Wesen, dem unsere Liebe gilt, schon wieder in die Fremdheit seines eigenen Lebens entrückt, uns unerreichbar. Und wenn Andreas seine Frau immer draußen gesehen hatte, gleichsam über die letzten Berge seiner Welt wandernd, jetzt, seitdem sie mit dem Kinde auf dem Arm durch jene stillen Verklärungen ging, war sie ihm ferner als sonst. Da halfen die ungeteilten Gemeinsamkeiten ihrer Arbeit und Sorge nichts, alle Zärtlichkeiten waren vergebens. Wenn er seine Arme öffnete und sie freigab, entglitt sie ihm nach den Gesetzen eines unergründlichen Zaubers. Hörte er, über den Hof schreitend, Johanna mit der Kleinen kosend reden, so klang ihm die Stimme wie aus einem anderen Leben. Sah er an Abenden von der Bank aus, wo er ruhend saß, sie, das Kind im Arm wiegend, vor sich durch die Stube gehen, so hätte er die Hand heben mögen, um weiße Schleier aus der Luft zu streichen, durch die sie gleicherweise verhüllt und verschönt wurde. Dabei bemerkte er, daß sein Weib oft bis ins Schmerzen von ihrem Mutterglück erfaßt wurde. Dann mußte sie das Gesicht des Mädchens, das sie bohrend, nein beschwörend lange betrachtet hatte, endlich mit der Hand bedecken und aufschluchzend hinausgehen, als übersteige es Menschenkraft, so viel Lieblichkeit lange zu betrachten. Ja, manchmal schien es ihm gar, sein Weib entzöge ihm sein Kind. Dann schlich er sich zur Wiege, wenn Johanna das Melken im Stall beaufsichtigte oder sonstwie beschäftigt war, schickte das Kindermädchen unter einem Vorwand auch hinaus und versenkte sich in den Anblick des Kindes, um wenigstens etwas von den Wundern zu ergründen, die seine Frau so bis in die Seele ergriffen. Aber das kleine Wesen lag still und weiß in den Kissen, die Wänglein rötlich überhaucht, die Stirn von seidenen Löckchen umspielt und richtete mit einem seligen Horchen im Gesicht ihre Augen regungslos und weit offen über sich. Kaum ein Zucken ging über ihre Lider, wenn er an die Wiege trat oder sich rührte. Nichts von der Leidenschaft eines Blickes zuckte in dem Blau ihrer Sterne, über denen ein bernsteingelber Schimmer, wie der Widerschein unsichtbarer, goldblühender Büsche lag. Tief, klar und einsam waren diese Augen, bis auf den letzten Grund hell wie das Wasser ruhiger Teiche in der Heide, die nichts sind als Spiegel des Lichtes. Sobald er aber zu dem Kinde sprach, schrak es von dem Klang seiner Stimme, wie unter einem Schmerz, zusammen, schlug mit den Händchen, als wehre es ihn ab, und begann zu schreien. Dann schlich er davon und war bei seiner einsamen Arbeit bemüht, sich diese seltenen, seltsamen Augen seines Kindes vorzustellen, aber es gelang ihm nichts anderes, als zu einem Gefühl ferner, rätselhafter Ergriffenheit zu kommen.
An einem Abend trat er in den Hausflur und hörte Johannas Stimme wieder zu dem Kinde reden. Geräuschlos drückte er die Tür auf und trat in die Stube, die leer war, und das letzte Licht des Tages lag schräg und grau darin. Seine Frau stand versunken über die Wiege gebeugt. Sie fuhr immer nahe über dem Gesicht Lenchens mit der Hand durch die Luft, als necke sie das Kind mit dem Hauch der Bewegung, und rief jedesmal seinen Namen, aber nicht kosend, nicht in seliger Hingenommenheit, nein mit einer dringend schmerzvoll-ratlosen Stimme, wie man jemand lockt, der auf unerreichbar fernen Hügeln wandert. Und ein graues Umklammern, ja sogar etwas wie Furcht kamen über Andreas, daß er beklommen fragte: »Was machst du denn, Johanna?« Da schrak sein Weib herum, und er sah, daß ihr Gesicht von Tränen überströmt war. Aber sie faßte sich schnell, fuhr mit der Schürze über die Augen und antwortete hoch aufatmend, wie aus der Verschollenheit ihres Glückes auftauchend: »Ach, Andreas, ich spiel' mit dem Kinde. Es ist zu schön, zu schön!« Dann ergriff sie seine Hand und zog ihn aus der Stube zum Hofe hinaus. Dort stand sie und sprach von dem Himmel, den abendlichen Hügeln, die um sie lagen, von Hemsterhus und ihrer Heimat. Sie redete schnell, überstürzt und frierend, und er fühlte, wie sie am ganzen Leibe bebte.
Irgend etwas Geheimes, das ihn und das Kind betraf, bedrängte ihre Seele. Aber Andreas hätte sich in den Jahren der Gemeinschaft mit seinem Weibe schon so viel von der linden Art ihres Wesens erworben, daß er nach einigem vergeblichen Drängen, den Grund ihrer großen Erregung zu erfahren, abließ, den rechten Arm um ihre Schultern schlang und sie auf dem Umweg hinter den Scheuern durch den Blumengarten in die Stube zurückführte. Johanna dankte ihm für die ritterliche Zurückhaltung durch stilles, warmes Anschmiegen, und ihre Worte bekamen wieder den ruhigen Unterton. Doch an der Tür, hinter der das Kind lag, löste sie sich aus seinem Umfangen in einer Weise, die ihn bat, nicht mit einzutreten. So, als ob sie vertröstend zu ihm spräche: Laß gut sein, drückte sie ihm die Hand und glitt in die Stube, und der Sintlinger trat zurück und streifte lange in den Ställen, durch Schuppen und über Dachböden umher. Sein Denken tappte währenddessen leidenschaftlich in dem Halbdunkel, das auch um sein Inneres lag, und strengte sich an, die Geheimnisse zu begreifen, durch die Frauen von der Mutterschaft verwandelt werden. Und doch mußte er immer wieder stehenbleiben, aus diesen allgemeinen Erwägungen wie von erdichteten Ausflüchten zu sich zurückspringen und fragen: »Warum nimmt sie mich nicht mit zu ihrem Kinde? Warum?« Zuletzt sagte er das auf dem Schüttboden zu sich. Er stand neben dem großen Kornhaufen und rührte sinnend mit der Spitze seiner Stiefel darin. Dann ging er, hob die Fenster der Dachluken und band sie fest, damit der Wind über die Körner