Hermann Stehr

Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen


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umhertraben sah, sie war wie beleidigt durch ihn und blickte unverwandt und düster auf ihn hin.

      „Na ja!“ rief er und drehte sich plötzlich unwirsch zu ihr, daß sie zusammenschrak. „Was siehst de mich ‘n gruß an? Uffressen wer ich a nie, nä, nä ä ä ä!“ lachte er lang aus, denn seine Wut war plötzlich in Lustigkeit umgeschlagen.

      Da klopfte es an die Thür.

      „Kloppt’s nie å?“ frug er eilig und gedämpft.

      „Ich glaube ja“, antwortete Leonore niedergedrückt, brachte schnell die Stühle in Ordnung, ergriff eine Handarbeit und ließ sich vor dem Nähtisch am Fenster nieder.

      Es klopfte wieder.

      „Nu, herein immerzu!“ rief der Tuchmacher und räusperte sich.

      „Guten Tag, Herr Griebel! — Sie kennen mich doch: Frank, von der Firma Meyer und Sissel, Frankfurt an der Oder.“

      „Frankfort? Aus Frankfort?“ nahm Griebel das Wort auf und verfiel in seine alte Wut, „scheen, aber ich wer’ mich hitten und wer’ sagen Bande. Ha, då bescheißen Sie mich mit dem Indigo!“

      „Aber, gestatten Sie . . .“

      „Gar nicht gestatten! Wås is dås, gestatten? Ich bin der Tuchmacher Griebel, bei mir heeßts nich gestatten. Da heeßt’s ganz eefach derlauben. Verstanden? Oan ich derlaube Ihn’ nich, mich zweemål zu bescheißen!“

      Dabei begann er wieder zwischen den Stühlen umherzutoben.

      „Aber Joseph!“

      Leonore warf ihm einen zurechtweisenden Blick zu und erhob sich. Ihr Gesicht war vor Scham blaß. „Bitte, setzen Sie sich!“ sprach sie zu dem Fremdling. „Nehmen Sie’s nicht übel, mein Mann hat Verdruß gehabt.“

      Mit einer leichten Handbewegung lud sie den Verdutzten zum Sitzen ein.

      Dieser verbeugte sich dankbar:

      „Ich habe wohl die Ehre, Frau Griebel gegenüberzustehen? — Willy Frank, ein alter Geschäftsfreund Ihres Herrn Gemahls.“

      Sein geschmeidiger, schlanker Leib beschrieb die vollendete Linie einer weltmännischen Verbeugung. Dies brachte ihm das Gefühl der Sicherheit wieder und mit gewinnendem Lächeln legte er den Musterkoffer auf den Tisch, knöpfte den Überzieher auf und machte es sich, schnurrbarthätschelnd, auf einem Stuhl bequem.

      Griebel ging indessen, verlegen sich räuspernd, zwischen seinen Stühlen auf und ab, als bemühe er sich, das Aufstoßen seines Zornes niederzukämpfen. Der Reisende empfand den Friedensdrang der entstandenen Pause und, halb zum Tuchmacher, halb zu seiner Frau gewandt, begann er in leichtem, sicherem Ton:

      „Ach, ich weiß ja, gnädge Frau, Ihr Herr Gemahl meint’s nicht so. Da kenn ich’n schon zu lange. Der kann ganz einfach ohne mich nich sein.“

      „Oach Sie! — då schlegts fufzehn! — Nee åber, ‘s is doch reen, als wenn unser eener a Äffe wär un verstände går nischt.“

      „Aber lieber Joseph!“

      „Aber nu, da sagen Sie doch lieber, was haben Sie denn für Schaden gehabt mit dem Indigo.“

      „Schaden! — Sie denken wohl, ich will wås verdien’ an Ihn. Dås brauch ich nich.“

      „Gott, aber Mann, du hörst doch, der Herr will sich mit dir verständigen.“

      „Ich danke, gnädge Frau! — Natürlich will ich das, Herr Meister! Aber lassen wir das Geschäft einstweilen ganz. Kommen Se und erzählen Se sich den Ärger von der Leber runter. Dann findet sich alles.“

      Er schob ihm einen Stuhl hin, und Griebel setzte sich augenblicklich, weil es ihm offenbar lieb war, dieser peinlichen Szene ein Ende zu machen. Denn er hatte bemerkt, wie die Augen seiner Frau einigemal glühend von ihm zu dem Besucher gewandert waren und fürchtete einen „Ausbruch der Nerven“.

      „Wahrhaftig, was der Ärger thun kann!“ nahm Frank das Gespräch wieder auf, seiner Stimme den Klang herzlicher Teilnahme gebend. „Sie sehn doch sonst frisch und jung aus wie ein Zwanziger.“

      „Na, na!“ schob Griebel in schwacher Abwehr geschmeichelt ein.

      „Nicht, gnädige Frau?“

      Leonore lachte nur fein, ohne aufzusehen.

      „Auf Ehre!“ rief Frank sehr stark, dies als Bejahung hinnehmend. „Wie ein Zwanziger! Und nu trat ich rein und erschreck. Zwanzig Jahr sahn Se älter aus, geradezu blödsinnig alt. Hörn Se, sehn Se sich übrigens vor, daß Se nich mal der Schlag trifft.“

      „Sie haben recht!“ antwortet Griebel nach einer Weile gedrückt und unsicher. „Åber wås will ma denn machen? Då werd’ ichs Ihn’ erzählen. Dernåch kenn Se sehn, obs nich reen zum Benzinsaufen is, wie der Tuchmacher gerne sprecht.“

      Und Griebel erzählte in seiner weitschweifigen Art den Fall, flocht die Lebensgeschichte des „Tuchscheer’ Knelle“ ein, gab eine ausführliche Beschreibung seiner Werkstatt, kam auf seine Stadtverordnetenwahl zu sprechen, kurz, vergaloppierte sich. Dabei hatte er fortwährend das Gefühl, der Reisende mache sich über ihn lustig. Im Bestreben, sich Achtung zu erzwingen, ward seine Erzählung immer verworrener, seine Gesten wilder und leidenschaftlicher. Aber Frank trug das Gesicht eines andächtigen Zuhörers, ohne verhindern zu können, daß ein Lächeln an seinen Mundwinkeln leise, mokante Linien zog. Im Übrigen eiferte er ihn durch Zwischenrufe an: „Doller Kerl das!“ — „Einfach lausig!“ — „Ich bewundere Ihre Langmut!“ Leonore ward es immer peinlicher. Sie winkte ihrem Manne verstohlen, abzubrechen. Es nutzte nichts; er erzählte ohne Unterlaß, der Zuhörer kam unwillkürlich in eine immer heiterere Stimmung. War das ein Mann! Wie er leise seine geschmeidigen Glieder streckte, zierlich die langen, schmalen Füße übereinanderschlug; wie seine weiße, feine Hand mit den langen Nägeln die Cigarre zum Munde führte; wie seine scharfen, schwarzen Augen den Rauchwölkchen nachsahen; diese steile, weiße Stirn, in die eine schwarze Locke hing! Dadurch erhielt das Gesicht, über welchem eine klingende Herbheit lag, eine stille Weihe. Einen ganz eigenen Reiz bot es ihr, wenn er, wie im ersten Lauschen, die feingeäderten Lider über die großen, tiefliegenden Augen sinken ließ. Dann lief ein ruheloses Prickeln über die feine Haut der Lider, daß die langen, schwarzen Wimpern fortwährend leise davon bebten. Und dieses wohlklingende Organ, ein Tenor, hinter dem die Stille mit einem wollüstigen Rieseln sich schloß . . . .. im Fluge sah, hörte, fühlte sie alles.

      „Nicht wahr, gnädige Frau?“ wandte sich Frank plötzlich an sie, um ihre Beteiligung am Gespräch herbeizuführen.

      Leise fuhr sie auf, senkte den Blick aber sofort wieder und saß bebend da.

      „Ja — ja — ge—wiß“, sagte sie endlich und schlug dann ihr verträumtes Augenpaar glühend zu ihm auf.

      „Ich habe Sie in Ihrer Arbeit gestört. Bitte, verzeihn Sie mir deshalb.“

      „O durchaus nicht!” erwiderte sie unter stürmischem Atemwogen. Endlich fand sie den Mut zu ihrer blind ausbrechenden Leidenschaft.

      „Ich habe Sie einst irgendwo gesehen, lange. Sie sind mir so bekannt wie ein Bruder, der so sein müßte, wenn ich einen hätte.“

      „Sehr schmeichelhaft, sehr schmeichelhaft!“ redete Frank, durch diesen unerwarteten Ausbruch aus seiner Routine gebracht.

      „Nu, da kånn ma amål sehn Hä, dåß se mir meine Frau nie etwan åbspenstig machen!“ rief Griebel, gezwungen lachend, und zog den Reisenden heftig am Ärmel herum.

      Dieser hatte sich schnell gefaßt und nahm das abgebrochene Gespräch wieder auf:

      „Also total verdorben, Herr Griebel, was, war’s nich so?“

      „Ganz un går,“ erwiderte dieser aufatmend. Leonore aber sah unverwandt auf die Männer mit regungslosen, glänzenden Augen.

      Plötzlich begann sie willenlos zu reden, leise, tastend, betäubt:

      „Nicht