Hermann Stehr

Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen


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Schlofe reißa. Oan wenn ach, dat åber hiebsch staate: psch, psch Gustla! — Asu, dåß a recht langsam ufwacht. A kån jå amål vr Erschrecknis de Krämpfe krieja,“ verwies es ihr die Amme.

      Das war das Wuchten heißer Stöße, wie wenn ein Sturm einsetzt.

      Dann lag die alte Fremdheit, die tote Schicht wieder Tage lang zwischen ihr und dem Knaben. Umsonst langte er von dem Arm der Amme mit lallenden Lauten nach ihr. Sie ging achtlos vorüber, kaum daß sie ihm ein zerstreutes, leeres Lächeln zuwarf und sein Weinen rührte nicht an ihr Gemüt.

      Auch mitten im Taumel ihrer Glut erlag sie dieser eisigen Ausschaltung.

      Die Bewegungen des Knaben, die eben noch von einem Schimmer umgeben waren, wurden ihr zuwieder; der Duft süßer Kindheit verschwand, und sie roch die süßsaure Dumpfheit, die um kleine eben liegt. Die selige Musik der Kinderstimme, die nur das Herz hört, war wie versunken, und sie vernahm unausstehlich schneidende Laute.

      Dann warf sie den Knaben hin und eilte hinaus, um stundenlang in einer Starre dazusitzen, die am Ende in eine gespannte Stumpfheit überging. Sie vermied jede Gesellschaft und ging verstört umher, bis endlich ein sanftes Weinen sie von den Klammern dieses seelischen Krampfes erlöste.

      In ruhigen Minuten klarer Bewußtheit machte sie den festen Vorsatz, diesen heißen Überfällen ihrer „Laune“ durch stetige Sanftmut entgegenzuwirken. Aber was galten die Fälle, in denen dieser Selbstzwang ihr gelang, gegen jene häufigen Ausbrüche, die sie nötigten, ihr Kind in peinvoller Bedrängnis von sich zu stoßen!

      „Warum schmeißt du nu Gustlan wieder hin wie ee‘n Wechselbålg?“ verwies es ihr die Mutter, die Joseph auf „die neue Krankheit“ Leonores aufmerksam gemacht hatte, und die gekommen war, ihr wieder „a Kop zurechtezusetza“.

      Leonore hatte sich an das Fenster geflüchtet und starrte blicklos hinaus. Sie beantwortete die Frage ihrer Mutter nicht, denn die Erschöpfung der Ernüchterung machte sie wie regungslos.

      Aber die Mutter ruhte nicht, mit Fragen an der Thür dieses rätselhaften Zustandes zu rühren. Lange war es umsonst. Endlich drehte sich Leonore um und sah sie tief an, mit bitterem Blick. Dann klemmte sie die Hände zwischen die Knie und bewegte ihren Oberkörper pendelnd hin und her.

      „Hm, hm,“ setzte zitternd ihre Stimme ein, „wås sol ich erscht reden? s is eben wieder wås, wås ihr nie verstieht.“

      „Liebes Lordl, sieh‘ch ich bin deine Mutter un es thut mr leed, wenn du dei Kend aso behandelst. Ich kann mersch denka, es thut dr wieh eim Herze, selber, denn wås fr eene Mutter . . . . flenn nie, Lordl, . . . sä‘ mrsch lieber, verleicht kån ich dr helfen.“

      Leonore schüttelte traurig das Haupt.

      Nach einer wägend hinschauenden Weile erzählte sie es doch mit jenem verhauchenden Tonfall, wie man ein traurig-unverständliches Märchen sagt:

      „. . . es håt um dås Kind wås, dås is scheener wie Blumen, wie‘s Licht, wie dr Vogel singt . . . irgend wås. Dås kemmt und geht oder versinkt eis Kind und blüht wieder raus . . . kein Hauch . . . nein ein zweetes . . . Jesses, wie sol ich blos sä’n . . . wenns Nacht is — — ja, sieh‘ch, jetze hab ichs — wenns Nacht is und der Mond scheint. Du gehst . . . am Mühlgraben hin und siehst iber die Wiese. ‘s Gras is schwarz wie ein Teich, und s Wasser thut wie ein Mensch, der stirbt. Då gehst de schneller und siehst dich um. Oh, dort drieben, mitten auf dr Wiese, steht plotze ein Engel im weißen Kleede und winkt dr mit seinen Armen und seine glänznichen Fliegel wehn. Du kannst dr nich helfen, gehst nieber drauf zu, die Herze hopst fr Freede und kannsts gar nich drwarten. Aber wie de näher kemmst verschwimmt das Scheene immer mehr. Nu bist de endlich da und streckst die Hand aus . . . da greifst de in ein‘ Dörnerstrauch, dei Hand blut’t — es raschelt um dich, und alles is häßlich und leer, daß dr angst und bange wird. — Sieh’ch aso geht mersch met Gustlan. Und wenn dås Scheene wie Mondschein wegfliegt von ‘m , då is statt ei’m Engel a Strauch . . . .“

      Ihre Erzählung verlor sich ruckend in eine aufgeregte Versonnenheit. Sie erhob sich und sah vor sich nieder. Dann strich sie sich mit der rechten Hand die Haare an der linken Schläfe zurück. Mit geschlossenen Augen stand sie zurückgebogen da.

      Plötzlich hielt sie im Schreck mit einer jähen Erkenntnis im Kosen ihres Leibes inne.

      „. . . ja wahrhaftig . . . als wenn ich mei Kind gar nich gerne hätt, nich kißte, rausnehm, hielt‘ . . . das andre, wås um ihn is . . . das andre . . . verleicht . . . aber sä mr blos einer, wo kommt das andre her?“

      Schlaff ließ sie den Arm sinken und starrte seiner fallenden Linie nach.

      „Sahst de mein’ Arm sinken?“ sprach sie nach Augenblicken und schaute mit großen Augen auf ihre Mutter.

      „Ach, nu freilich. — Då is doch auch weiter nischt drbei.“

      „Nich? — Gell ock nein! ma wird noch rein verwirrt, und da war mirsch, wie ich meinen Arm sah‘ch niederfallen, als sellde das de Antwort sein of meine Frage.“ — —

      7

       Inhaltsverzeichnis

      Das Menschenleben hat Tage wie die Zeit, außerhalb der es wächst, ein Weltwunder.

      Auch die Tage des Menschenlebens steigen aus Nächten über die visionäre Brücke der Dämmerung. In jenen Frühstunden der Seele, da sie mit den Ahnungen ihres Schicksals spielt wie die Erde mit steigendem Höhenrauch oder niedergehendem Gewölk, lugen die tiefsten Lieder der Ewigkeit durch den Spalt der Sinne aus dem Unendlichen herein — — —

      Das Morgengrauen . . .

      In jener Frühe, die Leonore aus der Ungeduld des Wartens von ihrem Lager trieb, waren die Gesetze, die das Weib ewig regieren, in ihr Fleisch geworden.

      Vor dem unsichtbaren Erfüller ihrer Sehnsucht hatte sie werbend getanzt. Die weichen Linien ihrer Bewegungen, das ganze süßverschwiegene Konzert ihrer Leiblichkeit hatte sie in den Vorhof der Liebe eingeführt. Und dann sang ihr Traum in verzückten Wallungen diese selbe Musik mit weichen Geisterlippen in das Geräusch ihres Tages und ihrer bebend-fragenden Sehnsucht, in der sie zitternd blühte, ein Wunder in einem Wunder.

       * * *

      Immer mehr schloß sich ihr Zustand zur Forderung zusammen in jener inbrünstigen Regellosigkeit, die schwachen Naturen eigen ist.

      Bewußt zog ihre unbefriedigte Seele den Inhalt ihrer ganzen Vergangenheit auf einen Stoß. Leise, übersichtslos, in langsamer Unerbittlichkeit erblindeten alle Augen ihrer namenlosen Hoffnungen. Nur ein Auge blieb offen. Seine Sehkraft erschöpfte sie ganz, daß außer ihr nichts mehr lebte.

      Der helle Schellenton eines vorübergleitenden Schlittens löste in ihr den Hunger nach einem jähen Rausch los, den sie vorgenoß, als wenn eine rasende Bogenlinie durch sie hinfahre, deren Bewegung über ihren Leib und ihre Gedanken einen heißen Taumel brachte.

      Dann begann sie flutende, nie gehörte Melodien meistens auf „la“ zu singen. In herzpochendem Jubel sang sie, mit ausgebreiteten Armen, in wogendem Schritt auf- und abwandelnd. Es war, als werfe sie durch dieses sonderbare Lied Anker aus.

      Aus diesen Unendlichkeitsflügen stürzte sie jäh, wie mit gebrochener Schwinge, in das Klappern des Alltags. Und wenn sie, nach Verstehen ringend, in den bekannten Räumen umherschaute, schossen eigentümliche Thränen in ihr Auge, solche, die wie kochendes Gift ihre Lider ätzend angriffen und brennend die Wangen hinabliefen.

      „Wås flerrst‘n, Lorla?“ frug dann wohl Griebel.

      „Hm!“ und sie sah ihn schneidend an, „hm und das fragst d u noch, d u ? — Ach, du mein lieber Gott.“

      Und sie warf sich neben den Stuhl, auf dem sie gesessen hatte, in die Knie und schlug ihre gefalteten Hände wie betäubt auf den Sitz. Denn die schöne Kraft ihres Leibes war noch voller