Herzschlag. — Dann, mit prickelnd feinen Zuckungen einsetzend, begann vor dem unsichtbaren Zuschauer das Spiel von neuem. Es war ein schreitender Tanz, ein stummer Lockruf und wie das Blut schneller, heißer durch ihren Leib rann, ward die Vorstellung eines Belauschenden zwingender, schloß sich der Kontakt zwischen ihr und dem geheimnisvollen Wesen unmittelbarer.
Das erhitzte sie noch mehr, und schon begann sie leise zu summen und setzte während des Ankleidens den Verkehr mit dem Unbekannten fort.
Durch einen Zwischenzustand hindurch sah sie ihn. Er stand weit, dort, wo in uns die Möglichkeit der Dimension beginnt. Seine Gestalt wuchs aus den einfachsten Regungen der Räumlichkeit, aus Linien, die in allem wiederkehren, so einfach, daß sie ihn überall sah, daß er aus allem blickte. Im Flug, auf den Wellen ihrer leichten Bewegungen, glitt sie vor ihm hin.
Durch die Dämmerung war sie ihm näher, die Undeutlichkeit machte ihn körperlicher. In der zunehmenden Helle zog er sich, immer schemenhafter, zurück. Nur hin und wieder glomm sein Bild auf, zuletzt mit dem zuckend verebbenden Spiel einfacher Linien. Ein weicher, schöner Schimmer an den Grenzen ihrer Seele starrte dem Hinschwindenden bange nach. Dann versank auch dieses, wie das tote Licht, das in durchsichtigen, trockenen Halmen wohnt. Ihr war dabei, als ob sie abblühe, einsinke, erkalte. Die Bewegungen ihres Werbens wurden müder, nüchterner, schwerer.
Nun flog der erste scharfe Strahl über den Dachfirst des gegenüberliegenden Hauses in die Stube.
Erschreckt fuhr sie empor und stampfte ärgerlich mit dem Fuße auf:
„Jesses, so eine Albernheit! Gut, daß’s niemand gesehen hat.“
Ein brummender Laut des Behagens erscholl von dem Bette ihres Mannes her und unterbrach ihren Selbstvorwurf, daß sie betroffen herumfuhr.
Aber Griebel wälzte seinen fetten Leib nur auf die andere Seite. Dann begann er wieder seine belegten, gleichmäßigen Atemzüge. Die ausströmende Luft blähte jedesmal seine Lippen ein wenig, daß die geraden Haare des harten Schnurrbartes sich bürstenartig aufrichteten.
Wie sie auf ihn hinsah, stieg ein scharfer Ärger in ihr auf, etwas wie Mißachtung. Und als Gegensatz woben die Maße ihrer feinsten Fähigkeiten ein Antlitz mit anderen Zügen um sein Gesicht, in schemenhafter Weite und nur erreichbar den Augen ihrer verborgensten Süchte. Aber die verhauchenden Linien seiner Umrisse wurden schärfer und das Bild, das noch eben fließend über dem Haupte Griebels geschwebt hatte, sank über dasselbe hin und ward körperlich: ein bleiches Antlitz mit einem feinen, schmalen Munde. Eine klingende Herbheit lag über ihm, die durch die hohe, weiße Stirn eine stille Weihe erhielt. Über den großen, tiefliegenden Augenäpfeln ruhten weiße Lider mit tausenden tiefblauer Äderchen. Ein ruheloses Prickeln und Zittern lief über ihre feine Haut, daß die langen schwarzen Wimpern fortwährend leise bebten.
Plötzlich gähnte der Tuchmacher laut wie ein Posaunenstoß und hieb im Schlaf mit der flachen rechten Hand auf die Decke.
Leonore schrak auf, daß es ihr kalt über den Rücken lief. Das fremde Bild war fort, und Griebels plumpes, gutes Gesicht mit den feisten, langen Bakken, den versteckten Augen und dem öligen Teint lag regelmäßig prustend in den zerwühlten Kissen.
„Da liegt er, hm, er!! . . . und schläft, haha!“ Mit einem Ruck riß sie sich los und glitt, herrisch aufgerichtet, eine bittere Kühle empfindend, an ihm vorüber zur Thür hinaus.
Allmählich kam der Schwung des Werbetanzes wieder über sie und brachte ihr die tiefinnerliche Sättigung eines Gebetes. Stark gemacht ging sie einher, wie nach einer rätselhaften Rechtsprechung ihres Daseins.
* * *
3
In der Küche dehnt sich die Magd, halbangezogen, herum. Als Leonore rasch hereintritt, fährt sie auf und starrt eine Weile verwundert nach ihr hin. Dann verfällt sie gleichgiltig in ihren alten Trödel.
„Wann denkst de denn, daß mr frihsticken, was?“ fragt Leonore gereizt.
„Sie?“
„Warum ich?“
„Nu . . . åch Maria, haha!“
Und sie dreht sich höhnisch lachend gegen die Wand.
„Ich verbitte mir das, verstehst de, Anna! — Und nu de Hände gerihrt und a wing dalli. Der Herr wird gleich aufstehn.“
Sie verließ die Küche und sah, ob ihr Mann schon auf sei.
Er stand am Waschtisch und wandte seinen großen Kopf mit den verwirrten Haaren herum. Als die Thür aufging, hörte er auf zu sprudeln.
„Na, auch aus den Federn, Langschläfer?“
Damit verschwand sie wieder.
„Lorla! — Du, Lorla! — Of een’n Schlag . . .“
Er lief zur Thür und rief ihren Namen noch einmal den Flur hin; umsonst.
„Was is nu dås wieder?“ und er hörte im Abtrocknen seines Gesichtes auf.
„Då kriecht se raus, ei dr Nacht noch, wirtschaft’t im Hause rum, gieht wie ein Gevattala –de Thirn wummsa blos aso — un gestern da schrier se noch wie ma sie ågrif — hmhm! —“
Nachdenklich schüttelte er mit dem Kopfe und schlug das feuchte Handtuch einmal über die Lehne eines Stuhles.
„— — ob dås auch de Nerven sein — denn då scheint mirs wahrhaftig; ma weeß nich, ob ees gesund åber krank is — — na, s werd sich jå zeiga — ich hå s jå zum aushala —“
„Früh—stük—ken!“ singt ihre Stimme von draußen herein.
„Nun da, da habn mirse schon wieder!“
Flink ist er fertig. Vor dem Hinausgehen bleibt er nach seiner Gewohnheit an der Thür noch einmal stehen, tritt einige Mal eilig mit den Stiefeln und schiebt sich dabei die Hosen mit den Händen noch mehr hinunter. Dann richtet er sich langsam, mit ersichtlicher Anstrengung auf:
„H a a c h — Nu da, da!“
Als er in das Wohnzimmer tritt, findet er den Tisch schon gedeckt. Alles ist sauber und blank. Eine still-lachende Behaglichkeit schimmert über allem.
Seine Frau steht neben dem gedeckten Tisch und schiebt eben mit der Linken den Kinderwagen leise hin, während sie mit der Rechten das Messer neben einer Tasse zurechtlegt.
„Ach, scheen gudn Morjen!“
Leonore nickt nur, und in ihr Gesicht steigt eine leise Röte. Den Kuß hat sich Joseph schon lange abgewöhnt. „Dås Gelutsche påßt sich fr tomma Jonga.“
Aber seltsam, sein Weib verlangt heute danach. Und wie sie beiseite tritt, damit er nach dem schlafenden Jungen sehen kann, muß sie daran denken, daß man zu Hause sich morgens immer mit einem Kusse begrüßt habe, „und das war bloß ihre Mutter“. Als er sich wieder aufrichtet, sieht sie ihn darum unwillkürlich fragend an.
Er versteht sie aber nicht und beginnt mit gutem Lächeln:
„Na, Lorla . . .“
„. . . wie geht drsch n? — haha!“ vollendet sie deswegen höhnisch.
„Nu, ha . . .“
„. . . bis och niet biese!“ ebenso.
Verdutzt sieht er sie an.
„Die is noch krank,“ denkt er und begiebt sich an seinen Platz.
Sie setzt sich ihm gegenüber, reicht ihm Zucker, Milch und Semmel und spricht dabei:
„Sieh’ch, ich kann dich schon ganz gut auswendig.“ Dabei lacht sie klingend, wobei ihre feinen Nasenwände zittern.
„Håst’n