Hermann Stehr

Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen


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Riesengewalt, die in wahnsinnig fiebernder Inbrunst die Thür mit der Füllung eindrückt, die Wand einhaut, alles, alles niedertritt — alles — um jubelnd zu ihr zu gelangen, die bebend an der Thür lehnt und mit kalten Fingern das Schloß umklammert.

      Der Instinkt des Weibes ist in ihr erwacht, und sie lechzt nach einer unterjochenden Kraft, die auf unbegreifliche Weise ihre Erfüllung und Ergänzung ausmachen mußte.

      Aber er geht . . . . langsam . . . . ohne Fluch . . . . ohne Stampfen, ohne alles, was ihr ein Hoffen ermöglicht. Er geht mit den gewohnten, gleichmäßigen Lauten der Ruhe . . . Himmel! . . . . nein! . . . . er lacht gar??! . . .

      Blind, ohne Bild, ohne Gedanke, stößt es in ihr auf und betäubt sie. Jeder Ausruf stirbt in ihr, und sie versinkt in das in seiner Dumpfheit so starke Schmerzgefühl des Weibes, das seine erste Enttäuschung erlebt.

       * * *

      VII.

       Inhaltsverzeichnis

      Aber sie ist kein robustes Weib, eine zarte Frühlingsblume, die ein gnädiger November der kraftlosen Erde abschmeichelte . . .

      Sie kann sich zu keiner Wildheit aufringen im kecken Aufspringen eines entschiedenen Affektes. Die Splitter ihrer empörten Seele klingen noch zu keinem klaren, fordernden Ton zusammen. Es braust um sie, in ihr mit den schrillen Geräuschen eines verstimmten Instrumentes: Das Schlottern schlaffer, nie berührter Saiten schlürft taumelnd in das singende Vibrieren überfeinerter Stimmungen. Diese ganze, stille Welt der schönen Ebenen, leisen Städte, wunschlosen Menschen mit einem Himmel, der mit seinen wandelnden Farben wunderbare Weisen singt, ist unter der plumpen Hand ihres Mannes zerrissen, entweiht auseinandergestoben.

      Sie hat die Empfindung, aus allem hinausgeworfen zu sein, vertrieben . . . .: „. . . .wie ein Pusch ohne Ende . . . .. wie ein Meer . . . . ein Meer, . . . aach! — . . . Du? . . . Du? — — — wenn ich . . . ! — was denn? — — — haha! — in aller Welt frag ich, was denn? — Gott im gebenedeiten Himmel, was — denn?“ —

      Es wirft sie weiter in pfadlose brodelnde Weiten aus dumpfen, quälenden Engen.

      Dazwischen saugt das Bewußtsein einer schönen Stille an ihr mit dem Stottern eines verlorenen Glückes.

      Lange dauert dieses irre Leiden, lange. —

      Dann bemächtigt sich ihrer eine innere Stumpfheit, während die äußeren Sinne in einen Zustand mimosenhafter Reizbarkeit geraten. Im unteren Stockwerk schreiten die Menschen auf und nieder. Thüren gehen. Man schließt sie knallend; dann prellt ein Zucken durch das weite Haus. Man schlägt sie wuchtig zu; dann erschrickt die große Ruhe mit einem kollernden Stöhnen, um mit zähem Brummen ärgerlich einzuschlafen, wenn eines der großen Hausthore schwingend hin- und wiedergeht in verrosteten Angeln. Darauf ist es ganz, ganz lautlos, und Leonore fühlt die Stille um sich niederfließen mit einem seltsam feinen Rieseln.

      Nur die Uhr wacht außer ihr. Und das Rinnen der tauben Zeit setzt ihr Werk in Bewegung, daß die Pendelschläge nicht rasten können mit dem eintönigen Zählen.

      Alles das wird sie gewahr, als wenn zufällige Berührungen den Saum ihres Kleides träfen.

      Das Licht kommt schon schräg durch die beiden Fenster der alten Stube. In dem Tanz der Lichtstäubchen pulst nicht das steigende Quirlen morgendlicher Frische. Das müd-bebende Kreisen sich beruhigenden Wassers dreht in dem immer satteren Bronceton des nahenden Abends. Die langen Fäden des zerschlissenen, großblumigen Sofabezuges scheinen sich in dem Abendlichte lautlos durcheinander zu winden wie träge Würmer. In den Staubhäufchen auf den wurmstichigen Möbeln beginnt es auch prickelnd lebendig zu werden.

      Der Abendschatten gleitet von der Decke immer weiter nieder an der gegenüberliegenden Wand. Langsam kriecht das kraftlose, blödere Leuchten an der Diele hin, auf das eine Fenster zu und gleitet an einem Tischchen in die Höh. Man sieht nur die zwei vorderen Beine, das andere Paar verbirgt der Schatten. Die vorderen Beine zittern. Es ist, als fürchte sich der Tisch vor der Nacht, die an ihm emporkriecht, und er bemühte sich in Angst, die Beine heraufzuziehen und in Sicherheit zu bringen. Aber es gelingt ihm nicht, und er schneidet mit seiner verschnörkelten Platte eine Grimasse des Schreckens. — Zugleich wird ein feiner, klagender Ton laut, ein leise, leises Wimmern, wie ganz kleine Kinder zu weinen beginnen. — Leonore klopft das Herz. Sie sieht starr auf den Tisch. Dann schließt sie voll Grauen die Augen.

      Aber das Weinen wird stärker, setzt aus und beginnt immer wieder nach kleinen Pausen mit schrillen Schreien. Dann wird ein Schall laut wie vom harten Umfallen eines Körpers.

      „Jetz is der Tisch vor Angst umgestürzt“, fährt es ihr durch die Seele.

      Nach einer Weile öffnet sie zaghaft die Augen.

      Es ist schon ganz dunkel. Der Tisch steht regungslos wie immer an seinem Flecke und man merkt es seiner stumpfsinnigen Gegenständlichkeit nicht an, daß eben ein zitterndes Leben in ihm gewohnt hat.

      Erleichtert atmet Leonore auf.

      Aber da! — — — Das weint ja noch, heiser zum Erbarmen und weit, weit, wie aus einer anderen Gasse.

      Eine Weile lauscht sie noch.

      „Das is woll gar Gustla?“ und darauf: „Wie weit das is, a so weit daß es kaum zu mir kommen kann.“ –

      – „Und ich bin doch seine Mutter!“

      Wahrhaftig und sie kann sie nicht fassen, diese unmöglich erscheinende Wirklichkeit. Es fehlt etwas zwischen ihr und dem Kinde. Ein Raum steht zwischen beiden, durch den kein Gefühl hindurch gelangen kann, eine tote Schicht.

      „Das macht das Leben, das mit dem Kinde vergangen is, das Leben, wo ich noch arbeiten konnte.“

      Nun war das Weinen heiser, ganz schwach.

      Sie erhob sich: „Das nutzt aber doch alls nischt, seine Mutter bin ich halt doch,“ und verließ das Zimmer.

      Während sie immer schneller hinunterging, kam ihr ein Bild: Sie saß als ganz kleines Mädchen allein vor dem Hause und spielte. Plötzlich ward ihr angst und sie fing an bitterlich zu weinen. Wie da ihre Mutter herbeigesprungen kam, sie aufhob und herzte und küßte in unendlicher Liebe.

      Und s i e ging gemessen dahin, während ihr Kind erbärmlich schrie. Was für eine Mutter war sie? Die Erkenntnis ihres Unrechtes überfiel sie mit würgender Hitze. Sie begann fliehend zu laufen, hastig stieß sie die Thür zur Kinderstube auf.

      „Therese!“

      Niemand war in dem dunklen Zimmer, in dem das Kind noch immer kraftlos schrie.

      Mit hastigem Griff riß es Leonore im Steckbett aus der Wiege und schaukelte es auf dem Arme:

      „Schlaf, Gustla, schlaf, schlaf, sss, sss, sss . . .“

      Und während ihr Thränen über die Wangen liefen, bedeckte sie sein ruckendes Gesichtchen mit zitternden, eiligen Küssen. Ach, aber ihre Lippen küßten nur, ihre verlangende Seele berührte nicht das junge, süße Leben. Deswegen ward ihr Weinen zum Schluchzen.

      „Schlaf! Allerliebstes Gustla, allerliebstes . . .“

      Nun schrie sie die Wörter der Liebe aus ihrer starren Angst verlangend hinaus. Fiebernd begann sie zu laufen.

      Aber der Bann ihrer kalten Ohnmacht wich nicht.

      Erschöpft sank sie auf einen Stuhl, an den sie in der Finsternis gestoßen hatte. Die Arme zitterten ihr. Stumme Thränen liefen über ihr Gesicht, und immerfort bewegte sie eilig aber lautlos die Lippen:

      „Mein Kind — mein Kind — mein Kind . . .“ in bebender Ratlosigkeit und Trauer.

      Endlich stürzte die Amme mit polterndem Schritt herein:

      „Nä, wer is‘n då schnell Kindermädla?

      Ach