warum?“
Damit stand sie auf und ging durch den schmalen Raum von der Thür bis zu den Mehlballen an der gegenüberliegenden Wand, ein paar mal.
Die Mutter aber lachte überlegen und schwieg eine Weile.
„Bist du ihm nie gutt?“ frug sie dann.
Leonore stand still und sah sinnend zu Boden.
„Gutt? . . . gutt? . . . .“ und langsam zog sie ihre mageren Schultern in die Höhe: „Ja!“ zweifelnd, unwissend.
Das Abendläuten wachte sanft auf mit dem hohen Singen der kleinen Glocke und dehnte sich dann zu langsamen, feierlichen Atemzügen mit dem vollen Brausen schwerer Glocken.
Beide horchten auf mit gefalteten Händen. Endlich verschwand das Geläut mit einem schwachen Zittern in der Luft.
„Ich dächt’, der Mensch mißt auch Glocka hå’n ein sich,“ begann Leonore wieder.
„Wozu dn dås?“
„Åch, ich weeß eigentlich sälber nie warum; åber ‘s is mr halt aso . . . . . . . nischt thutt leita ein mr . . . .. un warum gråde mich?““
„Dås is halt aso eim Leben. — Håt dei Våter nie mich auch geheirat‘t?“
„Ja, du und dr Våter!“
„Nu, wie is dr denn Mädl?“
„Wenn denn?“
„Wenn er kommt.“
„Da kommt er eben.“
„Und wenn er geht?“
„Auch aso.“
„Nischt weiter? — Nischt? — Auch nischt vo Freede, dåß er gieht?“
„Warum sellde ich mich denn freen? – . . . nä . . . . nischt . . . es mag tomm sein: åber deswejen sagte ich eben vrhin, eim Menscha kennde ‚s doch auch Glocka hå’n“?“
„Nach, komm, Mädl; ich dächt, es thutt schon leita ein dir un . . .“ Die Ladenklingel rührte sich. Ein Käufer trat ein, und die Mutter mußte abbrechen.
Leonore ging durch die andere Thür hinaus.
* * *
Aber die Mutter irrte sich doch. Es waren in dem Mädchen eben wieder einmal jene rätselhaften Schwingungen wach geworden, die aus einer inneren Ferne herbeiwandelten und das Verlangen nach Düften mitbrachten, auf welche ein robustes Leben verzichten muß. Aber alles das hatte nichts zu thun mit dem Verhältnis zu Griebel, ja nicht einmal mit i h r e m Leben. Sie entstanden aus dem Wiederschein ihr selbst verborgener Ideenverbindungen und gingen dann störend durch ihr sichtbares Dasein, welches sie marionettenhaft lebte, ohne jeden Unterton.
Wenn sie sich erhoben, dann schrumpfte ihr alles zusammen, was sie kannte und durchgemacht hatte. Und eine Enge, ein Unfrieden erfüllten sie. Es kam ihr vor, als hänge sie in der Luft. Wie auf weichendem Grunde ging sie, verscheucht, zaghaft, ohne Zweck.
In solchen Stimmungen pflegte sie in die Kirche zu gehen. Das heilte sie wieder zur Ruhe.
Die hohen, dämmernden Bogen; das bunte, ungestört-feierliche Licht; dieser ganze unirdische, fremde Duft, der aus allem floß; diese Maßlosigkeit, nach der alles ausgriff: gab ihr den Glauben an sich zurück, das Gefühl einer großen Macht.
Dann that ihr das Leben nicht mehr weh. Denn ihr Inneres hatte äußeren Halt gewonnen. Nicht durch eine klare Formulierung ihres katholischen Bekenntnisses, sondern dadurch, daß ein breiter, schweigender Strom aus einer inneren Unräumlichkeit ungehemmt in eine äußere sich ergoß.
Zwischen diesen beiden verschimmernden Weiten ging sie mit ängstlicher Neugier und Scheu den unbegreiflichen Pfad ihres Lebens.
An seinen Seiten standen wie Häuser: Stände, Tugenden, Laster, Lebensalter, Träume, Hoffen, Liebe, Ehre, Lehren. Die Menschen gingen ein und aus in diesen Häusern, redeten eine Sprache, deren tiefsten Sinn sie nicht verstand; lachten und ärgerten sich, waren glücklich und verkümmerten.
Sie kannte nichts genau, als nur die Mutterliebe. Dann stieg ein lauter Ton von fester Erde aus ihr und flutete in sie zurück. Das war die einzige Herrschaft in ihr, obwohl auch sie nur einen kleinen Teil ihres unentdeckten Wesens umfaßte. Aber diesem Gebot neigten sich auch alle verhüllt wirkenden Mächte ihrer Seele.
Und da die Mutter es wollte, ließ Leonore sich von Joseph Griebels bebender Hand in das Haus der Ehe tragen. Ein Zittern schüttelte während dessen ihren Leib und ihr Herz.
Davon wuchs das Beben der Männerhand.
Da spürte Leonore, daß ihr eine Macht über den Mann innewohne.
Sie genoß diese vorübergleitende Empfindung wie eine unerklärliche Wollust.
————
V.
Das große Haus hatte am Hochzeitstage gejauchzt mit den Geigen der Musikanten, mit dem hüpfenden Lachen der jungen Mädchen, mit den tiefen, breiten Lauten aus froher Männerbrust.
Dann war in tiefer Nacht, ohne erkennbaren Grund, eine unfreundliche Müdigkeit über das Gebäude gekommen.
Die nüchternen Gäste fühlten sie, erhoben sich eilig von ihren Plätzen und wünschten dem Brautpaare eine gute Nacht, wobei die Männer laut lachten und von den Weibern deshalb auf den Rücken geschlagen wurden. Die jungen Mädchen aber stahlen sich mit roten Wangen hinweg. Um zwei Uhr schwankten die letzten Trunkenen, der Sicherheit halber zu einem großen Trupp verknotet, aus dem Hausthor auf die Straße und begannen sofort zu singen:
„Morgenrot, Morgenrot,
Leuchtest mir zum frühen Tod.“
Das Haus ächzte eine Weile mit den verrosteten Angeln seiner Thore ärgerlich dazu, dann sank es im Morgengrauen lauschend über das junge Paar.
* * *
Die Marsel-Bäckerin hatte ihrer Tochter durchaus eine Aussteuer geben wollen. Aber auf Griebels Bitten war es dann unterblieben.
„Ich håb vor ålls vul. Wo sellde ich ‘s ‘n hinstella? Iberål hot’s multum viel genung. Hiel drsch. Wås amål ibrich bleit, is uns doch nie verlorn.“
So hatte Leonore nichts, was ihr die Eingewöhnung leicht machte. Kein leises Lied tönte durch bekannte Geräte aus ihrer Vergangenheit herüber und verband so ihr neues mit dem alten Leben. Als habe sie eine Kluft übersprungen, kam sie sich vor. Ganz zaghaft und unsicher war sie in der Fülle und Wohlhabenheit, deren Herrin sie nun sein sollte. — Dazu hatte sie ihr früheres Leben nie mit dem Ernst und der Aufmerksamkeit gelebt, die von innen kommen. Alle Jahre ihrer Bewußtheit waren gleichsam nur mit Gesten angefüllt. Keine Verpflichtung für die Zukunft lag in ihnen, als nur der Zwang der Gravitation äußerer Bewegungen. Und diese hatten in ihrem kleinen, engen Mutterhause den Schein einer gewissen Innerlichkeit angenommen. Nun aber war es, als gehe ihrer Gelenkigkeit der Atem aus.
Ganz ratlos saß sie da.
Es war den dritten Morgen beim Frühkaffee.
Ihr Mann frug sie:
„Nu, Lorla, best ‘n gestern drieba gewast ei a Stuba?“
„Nein.“
„I — — ja nun — — warum dn nie, he?“
„Ich mag nich, ich . . . . e . . . getrau mich nich. Es is als ob ich mich fürchte.“
„Warum sprichst ‘n ‚fürchte’? Warum denn nie ferchte? — Du best doch nie ei dr Kerche un ach nie ei dr Schule.“
„Dås