Hermann Stehr

Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen


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um das Leben ihres Kindes kämpfend, ward sie ein Glied des unglücklichen Geschlechtes, das in ihrem Manne unter leisen Zuckungen sich unter die Erde geflüchtet hatte.

      Er war ihr in jener Zeit der Ehe gestorben, wo der Verstand noch ohnmächtig gegen die Bilder ist, die das junge Blut in das bunte Herz schreibt. So nahmen seine Gestalt und die Geschichte seiner Familie übertriebene Dimensionen und Farben an.

      Die stückweisen Erzählungen aus den Truhen seiner Erinnerung klangen in ihr wieder wie rätselhaft große Töne, die ein Luftzug aus gnädigleiser Ferne trägt. Die häßlichen Geräusche des Trümmerfalles blieben ihr verborgen.

      Wie sieches Morgenrot über einem kümmernden Blümchen, wachte ihre Seele über Leonore, ihrem einzigen Kinde.

      Nur an Sonntagen, wenn das Feiertagslicht in müßiger Schöne vor dem stilleren, kleinen Bäckerladen spielte, spann sie Glanfäden in die traumsüchtige Seele des kleinen Mädchens.

      In der Woche, wenn der Fleiß auf klappernden Holzschuhen durch die engen Räume eilte, prägte sich das Kind dann die gehörten Geschichten in tausend verschwiegenen Spielen ein. – Leonore war zu gebrechlich zart, an der gesunden Kost der derben Spiele gleichaltriger Nachbarkinder teilzunehmen. Der Instinkt ihrer Schwäche hielt sie auch davon zurück.

      Die Mutter mußte den Hunger ihrer Erkenntnis nur immer mit den zeitfernen, großen Geschichten füttern, die, vielfältig persönlich verändert, sie von den Erzählungen ihres Mannes behalten hatte.

      So ging Leonoren das engzellige Leben früher Kindheit verloren, die Gesundheit unmittelbarer Wallungen, die Frische selbstthätigen Erlebens.

      Ihr Inneres wurden maßlose, verdämmernde Räume, rätselhafte Schwingungen, geheimnisvolle, unirdische Töne und Farben, ein Vorrat unendlich duftiger Schemen, an den sich nichts anschließen, der nichts klarthätiges gebären konnte.

      Mit einer unverdienten Last, wie wir alle, kam sie zur Welt; mit einer Verscheuchtheit trat sie ins Leben; ihre Klarheit begann mit einer Friedlosigkeit.

      Still dasitzen, mit den langen, schmalen Fingern im Schooß spielen, indessen ihre Augen in Fernen schauten, die hinter allen Gegenständen lagen, das behagte ihr.

      Als die Mutter merkte, was ihre Liebe angerichtet hatte, war es zur Besserung schon zu spät.

      Ihr Wesen, das eine Kristallisation von Splittern darstellte, war schon in den Grundlinien der Regellosigkeit erstarrt.

      Mit Gewalt wurde das Mädchen nun zu allen häuslichen Verrichtungen angehalten. Sie fügte sich auch den Geboten der Mutter, fegte, wusch, stand hinter dem Ladentisch, half beim Backen; aber sie that es mit dem leidenden, geheimen Widerstreben kraftloser Naturen.

      Dieses emsige Leben, mit seinen lauten, rücksichtslosen Geboten; unruhigen, wimmelnden Wünschen; brennenden Fragen; heftigen Entscheidungen ertrug sie wie ein lästiges Klappern. Und je weiter es durch Übung in ihr vordrang und sich mit Härte festsetzte, um so inbrünstiger war das Zurückschnellen in das bunte, weiche, unräumliche Rätsel ihrer innersten Seele.

      Wie in langen Glockentönen hätte sie reden mögen; es war ein weitergreifendes Ausspannen in ihr, wie wehender Wind, gleitende Wellen.

      Wenn ein geheimnisvolles Brausen in den Höhen wach wurde, das die Wolken geräuschlos faltete wie große, steife Gewänder und den Bäumen ein würdig-leises Neigen abnötigte, fühlte sie sich wohl und heimisch.

      Und aus all der Hilflosigkeit ihrer blinden Sehnsucht wuchs ein traumweinender Wunsch nach Macht.

      Der Spott hatte ihr den Stolz an dem adligen Namen zur Freude der Mutter bald geraubt. Die Märchen ihrer Jugend verschwanden unter dem Geräusch mühsamer, oft kümmerlicher Jahre. Nie kam es ihr später in den Sinn, etwas anderes sein zu wollen, als die Tochter der Marsel-Bäckerin.

      Aber mit geheimem Weinen, mit Beklemmung und dem beengenden Gefühl der Fremdheit und Verlassenheit ertrug sie den Zwiespalt ihrer Natur.

      So disharmonisch war auch ihr Leib; zart. Aber es war nicht die abgerundete Zierlichkeit eines Vogels. Denn sobald sie ging, breitete das Spiel ihrer langen Arme eine steife Würde über die spitze Beweglichkeit ihrer Glieder, die an das Komische streifte.

      Ein herber Zauber lag auf ihrem Körper, dem alle weibliche Fülle fehlte. Ihr reiches Haar hatte die Farbe der müden Novembersonne.

      Eines ihrer weichblauen, singenden Augen lag halbverdeckt von einem kraftlosen Lide und stand oft starr, indeß das andere sich still bewegte, als klinge durch seine Regungen ein geheimnisvolles Lied herauf aus den maßlosen, verdämmernden Räumen ihrer Seele.

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      III.

       Inhaltsverzeichnis

      Joseph Griebel war ohne jede Ferne. Sein genügsames Hoffen hatte stets fertige Verhältnisse vorgefunden. Noch nie in seinem Leben war er zu tiefen, fiebernden Atemzügen gekommen. Er hatte seine Jahre genossen wie ein immer gleichmäßig gebackenes Brot.

      Die Gesetze seiner Väter waren die Gesetze seines Willens.

      Er unterschied sich von ihnen wie ein jüngerer von einem älteren Balken. Behauen, zugerichtet, ausgetrocknet, haltbar, mit allen hergebrachten Kanten und Schnörkeln versehen, nur von hellerer, empfindsamerer Farbe, lag er an seinem Platze.

      Der Tod seines Vaters hatte ihn dahingetragen mit hastigem, stürzendem Griff und ein paar erschütternden Schlägen seines Hammers.

      Da war ein Stöhnen und Knirschen durch das feste Gefüge seines Wesens gegangen, und von den Hammerschlägen des Todes war ein langer, tiefer Ton in dem Holze seiner Seele erwacht. Durch alle Zellen seiner Vergangenheit pflanzte er sich fort und als er bis an den dünnen Markfaden seiner Jugend gelangt war, mit einem immer leiseren, aber innigeren Vibrieren, ward ein letztes Hauchen von Sehnsucht daraus. Der dünne Faden lebendigen Markes begann noch einmal mitzuschwingen mit dem wärmeren Pulsen schon müder Säfte.

      Leise Bilder glommen durch einen weißen, zarten Schleier zu ihm her mit verblaßten, reinen Farben. Eine Flut leichter Töne lag in dem Duft, der von ihnen ausging.

      Da sein Wesen noch von keinem Fehltritt mißtrauisch, von keiner Enttäuschung zweifelnd, von keiner seelischen Verwicklung verknorrt worden war, erhob er sich in seiner plumpstrotzenden Gesundheit und überließ sich rückhaltlos dem weichen, schönen Taumel. Unter dem Einfluß dieses letzten, frühlingswarmen Sonnenblickes nahm der würdige, fertige Balken noch einmal die Formen eines Menschen an.

      Sein ganzes biedere, nützliche, nüchterne Leben kam ihm wie eine große, leblose Lücke vor. Nur das Zarte, Fremde, Leise hatte Gewicht für ihn. So mußte er Leonore finden.

      Wie eine Frühlingsblume, die ein gnädiger November der kraftlosen Erde abgeschmeichelt hat, fand er sie.

      Und er trug sie sich mit bebender Hand heim in die große, leblose Lücke seines Lebens. Das ernste Haus auf der Walkergasse nahm sie auf mit dem frohesten Dröhnen seiner vielkammerigen, weiten Brust.

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      IV.

       Inhaltsverzeichnis

      Das Leben traf Leonore immer ganz ratlos. Sie schlug wohl mit den Flügeln ihres Wollens; aber das Schicksal kam dann und führte sie ganz wo anders hin, wie einen Vogel, den ein Wetter verschlägt. Dann pochte ihr das Herz in angstvoller Neugier, während sie den Wind des Geschickes in den Segeln ihres Wesens fühlte.

      „Heiråta, Mutter?“ frug sie und schüttelte langsam den Kopf, denn sie begriff nichts.

      Ein milder Abend lag in dem Bäckerladen, und die gelben Regale, die bis an die Decke reichten, glommen stumpf durch das lichte Dunkeln.

      Die