Hermann Stehr

Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen


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leibhåftge Tod?!“

      „Ach Gott . . . . ach Gott . . . . gar nichts mehr, gar, rein gar nichts . . . . nichts! — . . . mehr!“ murmelte sie tonlos und rannte zur Thür hinaus.

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      VIII.

       Inhaltsverzeichnis

      Nun lag Leonore wieder tagelang im Bett. Sie fühlte sich auch körperlich wie zerschraubt.

      Zuerst lastete eine undurchdringliche Dumpfheit auf ihr. Mit Ausnahme der Mahlzeiten, die sie hastig und gierig zu sich nahm, lag sie mit geschlossenen Augen da. Man ließ deswegen die Vorhänge nieder. Da verlangte sie ängstlich nach Licht.

      Der Arzt befühlte ihren Puls und übte die ganze Skala von Betasten, Klopfen und gewöhnlichen Fragen durch, stellte sich dann, die Hände auf dem Rücken verschlungen, einen Schritt vor ihrem Bett in betrachtender Pose breitbeinig auf, ruckte nach einer Weile einmal mit. den Achseln und stieß dabei einen wegwerfenden Laut durch seine ehrbar große Nase. Dann schnurrte er eintönig:

      „Na, da bleiben Sie noch ein paar Tage hibsch eim Bette stecken, essen tüchtig und stehn dann so pee a pee auf. — ‘s is weiter nichts. — Guten Morgen, Frau Griebel!“

      Er reichte ihr mit seinem derben Lächeln die Hand und schritt hurtig durch die Thür, die Joseph Griebel ihm geöffnet hatte.

      „Wer’n Se denn nischt verschreiben, a Pülverle, Pillen, Einreibung åber wås?“ frug er, als sie auf dem Flur draußen einige Schritte nebeneinander hingegangen waren.

      „Ach was, Griebel, verschreiben, hehehe! —Quarkspitzen und verschreiben! — Da, wenn Sie durchaus Geld los wer’n wollen, gebn Se mir zehn Mark, das hilft auch aso viel.“

      „Jessas, machen Se mir Angst! aso weit is?“

      „Ja, ja, soweit is ebens . . . . Sie . . . . hehehe! . . . ich hätte bald was gesagt . . . Ihre Frau hat ebens Nerven, sonst weiter nischt. — Was will ma’ da machen? Das muß sich von selber wieder einrenken.“

      Dann reichte er dem Tuchmacher die Hand, nickte nur zum Abschiede und ging mit seinen gewohnten, flüchtigen Schritten.

      Mit einem eckigen Ruck unterbrach er, an der Treppe angekommen, seine Eile und kehrte zu Griebel zurück: „Was ich bald vergessen hätte,“ begann er gedämpft, als er nun wieder ganz nahe vor dem Tuchmacher stand, „s ganze, was Sie machen kennden, schonen Se Ihre Frau fir längere Zeit.“

      Dann verließ er ihn wieder, ohne auf Antwort zu warten.

      Griebel blieb lange auf dem dämmrigen Flur stehen, ohne sich zu rühren und starrte mit großen ausdruckslosen Augen hinter dem Doktor her.

      „. . . . nu, ha! Das versteht sich vo’ selber, das braucht er nicht erscht zu sagn. — Ja! — — Nerven! — Nerven! — — Das gefällt mr går nich,“ und er schüttelte in Kummer mißbilligend den Kopf.

      Ja, wann es Rückenleiden, Kopfrose, Gicht oder sonst was gewesen wäre, auch Infaulenza, „wenns går eben nich anders geht,“ eine bekannte Krankheit, bei der man weiß, woran man ist, aber Nerven, an die sich selbst so ein kluger Doktor nicht heranmacht! — Da war auch ein Staatsanwalt mitten in der Sitzung aufgesprungen und hatte sich mir nichts, dir nichts zum Fenster hinausgestürzt, ein Mann in den besten Jahren — hmhm! — auch wegen Nerven, hatte es in der Zeitung gestanden — — — —

      Ganz behutsam schlich er in das Krankenzimmer zurück und setzte sich an ihr Bett.

      „Nu hä, Lorla, wie is dir denn?“ frug er mit zaghafter Stimme, nachdem er angestrengt nachgedacht hatte.

      Aber die Kranke lag mit geschlossenen Augen da und rührte sich nicht.

      „Steckt dirs ‘n eim Rücken? — oder liegt dirs ‘n of dr Brust? — Zeig a mål, håst‘n heeße Hände?“ — Und er langte sich vorsichtig eine der weißen Hände her, die schlaff auf dem Deckbett lagen.

      Wie er sie so weich eine Weile hielt, spürte er ein leises Zittern in derselben. Das wurde stärker und machte das Fleisch der Hand welk und kalt. Behutsam legte er dieselbe wieder zurück und ließ nun den Atem, den es ihm verhalten hatte, ruckend gehen.

      Er fühlte eine eigene Betretenheit sich seiner bemächtigen, und es drängte ihn, etwas zu sprechen. Er mußte es thun, auf jeden Fall. — Richtig! — Da lag das rote Schächtelchen noch, das er ihr gleich am Morgen nach dem verwünschten Tage gegeben hatte.

      „Hast dr‘n dås Rengla ågesehn? — Gefällt dir‘s nich? — ‘s is doch scheen . . . . ‘s kost acht Thåler . . . . Sieh ‘ch wenn de nie nuf liefst . . . . ach wås . . . ich . . . . nach då! . . . Lorla!“ und er hielt ihr die geöffnete Schachtel hin.

      Leonore schlug die Augen auf und sah den roten Stein an.

      Dann stieß sie ein kurzes, seltsam hartes Lachen aus. Sonst nichts.

      „Aber Lorla, bist’n noch biese? — Siehst de, das macht dich ebens krank. — Ma‘ muß då an wås andersch denken.“

      Während er so redete strich er weich und kosend über ihre Stirn.

      Unter diesen leise gleitenden Berührungen seiner Hand ward ihr Gesicht rot bis in die Haare hinauf, und ihr Atem ging immer kürzer und heißer.

      Plötzlich riß sie mit hartem Ruck seine kosende Hand weg.

      „Böse? — Nein — was du dir einbildst? — Ich bin gar nich böse.“

      Dabei zuckte sie ihre Augen in glänzender Schärfe und schneidend auf ihn.

      Ganz ratlos gemacht ging Griebel hinaus.

      Als er fort war, wich die lastende Dumpfheit auf einige Augenblicke von ihr.

      Ihr war häßlich zumute. Sie fühlte unter Lechzen eine Sättigung, einen Drang zum Kampf, so daß sie in ihrem Bett auf die Knie sprang, die Arme steif aufstützte und mit blitzenden Augen dem Schall seiner fortwandelnden Schritte nachlauschte.

      Aber allmählich versank dieser fiebernde Zusammenschluß ihrer Persönlichkeit wieder in dem Chaos ihres Innern.

       * * *

      Durch uns alle geht ein Bruch von Anbeginn. In Unruhe ringen wir um den klaren Besitz der Welt, die uns erfüllt.

      In Leonore aber war ein Fieber ausgebrochen, ein Krampf.

      Das müde, süße, sanfttönende Paradies ihrer Seele, jene Welt, die teils aus dem Reflex vergessener Kindermärchen, teils aus den siechen Bildern bestand, die sie von dem Leben in sich aufgenommen hatte, war wie verschwunden. Sie fühlte in sich noch den Punkt des Heiligtums; aber es öffnete sich nichts mehr zu endlosen Weiten in ihr, in der tiefsten Stille nicht, ja selbst im Wanken vor dem Schlafe nicht mehr. Und doch hatte sie das sichere Gefühl seines Besitzes. Aber es stand ein Schatten vor dem Eingang zu ihm.

      Dieser Schatten löste sich in jenen Momenten des fiebernd-hinschwingenden Zusammenschlusses ihrer Person in ein Kraftgefühl auf, das sie noch nie in ihrem Leben gefühlt hatte.

      Es vollzog sich in ihr eine Neubildung; sie wurde Weib. Als ein Kind, mit schlafenden Instinkten, hatte sie geboren. Unter den Schmerzen der Schwangerschaft war sie gereift. Die gutplumpe Rauheit ihres Mannes hatte sie in dem Zustande höchster Traumverzückung getroffen und sie weniger verwundert, als die Geburt der Natur ihres Geschlechts überstürzt gefördert.

      Nun bildete sich in ihrem Leibe ein neuer Leib stetig zielender Stimmungen, gleicher Forderungen, fester Gesetze. Alles dieses war so ausschließlich der Ausfluß eines organischen Prozesses, daß ihr Bewußtein umsonst damit rang. Sie litt anfangs darunter wie unter einer unangenehmen Veränderung der Temperatur.

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