Hermann Stehr

Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen


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      In der Küche hörte er jemand, laut sprechend, gegen die Thür kommen.

      „. . . . ja, wenn auch; åber Sie hätten se sehen sollen, wie wilde . . .“

      Es war Annas schreiend harte Stimme.

      Jeden Augenblick konnte die Neugier eines der Mädchen, trotz der Wachsamkeit der Mutter, heraustreiben, und dann fand man ihn wie einen „Schubiak“ vor der Thür stehen.

      „Donner . . . , verf . . . , Himmelschock . . ., Lorla! Ich renn die Thüre nei, wenn de nie glei’ ufmachst!“ keuchte er erregt in den Ritz der Thür und preßte sich gegen sie, daß die Füllung knisterte, an welcher seine Achsel drückte, denn der nämliche Schritt wie vorhin näherte sich der Küchenthür.

      Sonst wars ganz still. Nur wie leise siedendes Rauschen ging es durch die Bodenkammer.

      Dann verstummte auch das.

      Endlich kam ein schleppender Schritt von innen gegen die Thür des Wohnzimmers und hielt vor derselben an.

      Die Uhr holte zum Schlage aus.

      „Wenn die Uhr schlägt, besinnt se sich und macht nich auf,“ zwingend erfaßte ihn dieser absonderliche Gedanke, daß er lautlos hinzusprang und den Perpendikel aufhielt.

      Dann langte er nach dem kleinen Flurlämpchen auf dem Brodschrank.

      Jetzt war der Riegel leise zurückgefahren.

      „Ob Gustla noch labt“ mit klopfendem Herzen, langsam, daß das offene Flämmchen im Zuge nicht umkomme, trat er ein und schloß sofort die Thür hinter sich wieder.

      Er stieß schon bei den ersten Schritten mit dem Knie an einen Stuhl, so daß das Lämpchen ins Schwanken kam und zu erlöschen drohte.

      „Ma‘ wird sich noch a Hals brechen,“ sagte er hastig, weil er nichts anderes zu reden wußte.

      „Wo bist‘n hä, ma‘ kånn jå nie amål Gudn Abnd sågn!“

      Er that noch einen Schritt vorwärts und stieß wieder gegen einen Stuhl, den er nur dadurch vor dem Umfallen rettete, daß er dessen sich neigende Lehne schnell ergriff.

      Noch immer sah er sein Weib nicht. Die schwehlende Flamme des Lämpchens, das er emporhielt, nahe an die rechte Seite seines Gesichts, blendete seine suchenden Augen, die über einen blöden Lichtkreis hinaus nichts zu unterscheiden vermochten. Darum stellte er es vorsichtig auf den Tisch. Nun beruhigte sich das Flämmchen und sein rötlicher Flor floß bis an die Wände des Zimmers.

      Jetzt unterschied er alles genau. Alles war im Kampfe verwühlt. Die Stühle standen umher, als seien sie in Verzweiflung mit ihren steifen Beinen unbeholfen durcheinander gelaufen. Die Decke des Tisches hing schief, daß ein Zipfel die Diele berührte. Silbermünzen lagen über die Platten hingestreut. Einige waren zur Erde gefallen, als seien sie in Ekel hingeworfen. Am anderen Ende des Tisches stand das kleine Etui, und der Ring mit dem rotlächelnden Steine lag daneben.

      Kleidungsstücke hingen über alle Stuhllehnen, vom An- und Aushängen zerwunden. Die Sofadecke in einen wirren Ballen zerknüllt, die Gardinen von krampfenden Fingern zumteil von den Stangen gezerrt.

      Leonore lehnte starr an der Wand neben dem Schrank. Als habe sie gewußt, daß Griebel, da er alles überflogen hatte, fragend seinen Blick auf sie lenken würde, fing sie diesen mit regungslosem, weitem Auge auf. Ein unsäglich schmerzliches Lächeln erfüllte dabei ihr Gesicht.

      „Jesus Maria, Lorla!“

      Plötzlich löste sich der Krampf, der sie an die Wand gelehnt hatte. Eine Schlaffheit verwandelte den stierherben Ausdruck ihres Gesichtes, und Griebel sah, wie sie in sich zusammensank. Mühsam rang sie in die Höh, aber kein Halt mehr.

      Schnell schob er ihr einen Stuhl hin, und sie fiel darauf, müde und schwer. Ihr Haupt neigte sich vornüber und stützte die blassen Hände auf die zitternden Kniee.

      Eine Weile stand er stumm neben ihr.

      „Wo håst‘n Gustlan?“ fragte er dann unnatürlich dumpf.

      Erst nickte sie starr gegen den Boden hin, und als sie ihr Gesicht zu ihm emporhob, trug es den starren Zug von vorhin.

      „Ich dacht mir’s wohl.“ Leise, aber mit bebender Bitterkeit. „Geh, Vater — mh! — geh, er liegt in meinem Bette!“

      Als sie ihn dann in überquellendem Glück den Knaben immer von neuem küssen sah, schlichen die letzten Thränen, die ihr noch geblieben waren, in die bleichen Falten des unsäglich schmerzlichen Lächelns langsam, siedend nieder.

      „Lorla! — Lorla!“ rief Griebel mit zuckender Kehle und zeigte ihr wiegend das Kind, als müsse er sie auf einen unvermuteten Fund aufmerksam machen, von dessen Kostbarkeit sie keine Ahnung habe.

      „Ich muß den Jungen der Mutter zeigen!“ und er strebte an ihr vorüber, der Thür zu.

      „W o willst du hin?“

      Kerzengerade, entschlossen, drohend vertrat sie ihm den Weg.

      „Der Mutter? Meiner Mutter?“ frug sie noch einmal und sah ihn hart an.

      „Nu, warum denn nich?“

      „Is an mir nich genug, sol die noch . . .?“

      Dann verfiel sie in Sinnen.

      „Gut“, fuhr sie entschlossen auf, „geh und sag meiner Mutter, de Lordl läßt sie noch einmal schön grüßen.“

      Damit trat sie zur Seite und begann entschlossen, sich anzukleiden.

      Indessen ging die Küchenthür, und man hörte die Stimme der alten Marseln.

      Leonore zuckte zusammen, riß das halb angezogene Jakett wieder herunter und räumte jagend alles in die Schlafstube.

      Griebel begriff.

      „Jå, jå, die Mutter darf nischt wissen,“ sagte er und half ihr das Zimmer ordnen.

      Als die Marseln darauf vorsichtig eintrat, war nur wenig von dem vorherigen Zustande zu merken. Nur der Ring lag noch auf dem Tische, und einige Silbermünzen waren auf dem Fußboden vergessen worden.

      Griebel schob im Heraustreten aus dem Schlafzimmer mit der Rechten die Portière auf die Seite und sah, wie Leonore, eben mit dem Anleuchten der Tischlampe fertig, sich herzlich an die Mutter wandte.

      „Es ist scheen, Mutter, daß de doch noch kommst. Gun Abnd!“

      Und sie küßte sie mit einer Leidenschaft auf die Stirn, die so heiß aussah, weil ihre Bewegungen nichts von der Härte verloren hatten und sich mühsam aus einem steinernen Zwange losrangen. „Komm, setz dich!“ fuhr sie ungewöhnlich laut fort und nötigte die Mutter auf einen Stuhl, während sie selbst an der anderen Seite des Tisches Platz nahm. Im Niedersetzen schob sie die Lampe von sich weg, so daß das Gesicht der beiden Frauen in dem leichten Schatten des rosa Lampenschirmes war.

      Darnach begann sie zu sprechen.

      „Ja, es war ein fürchterlicher — fürchterlicher —ach — Koppschmerz. — Ich — e — hab dich wohl gehört kloppen, dich und de Mädel. — Aber — e — ach Gott, was weeß man? . . . richtig! — Geflennt habt ihr auch, als ob ich schon tot wär — tot . . . . . . . tot! – Sieh’ch! . . . . . . . warum? . . . es is jetze noch nich vorbei . . . . es macht einen rein irre. — — —

      Warum hab ich bloß das Geld von der Amme geborgt? — Zwanzig Mark . . . . als wenn ich hätt’ gewollt verreisen . . . . gelt ja, Joseph! — Balde hätt’ ich meinem lieben Herrn Gemahl . . . Gemahl!! — nich aufgemacht. De Kleider lagen noch alle iber die Stühle . . . . Da liegt noch Geld . . .“

      Das sagte sie zuckend; es sollte unschuldig tändelnd klingen. Sie blickte auf ihre Finger und knackte mit den Nägeln. Von Zeit zu Zeit, wenn sie sich unbeobachtet glaubte, stahl sich ihr Auge zehrend zu ihrer Mutter hin. Davon ward ihre Rede immer vibrierender.

      Eine Pause folgte, während