Hermann Stehr

Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen


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. . . . . . ..“

      Die Erzählung wurde unterbrochen.

      „Marsel Mutter, Sie selle bale hem komma! ‘s is Zeit zum Einteegen leßt der Werkfihrer sän.“ rief die polternde Stimme Annas zur Thür herein.

      „Jesses jå, då vermährt ma‘ sich richtig, ‘s is schon achte, in der neunten Stunde. Gude Nacht! Bleibt hibsch friedlich beisammen, un du, Lordl, wer‘ nich mehr krank.“

      Sie küßte ihre Tochter auf die Stirn und drohte ihr ernst mit dem Finger.

      Regungslos, die Ellenbogen auf den Tisch gestützt, saß diese da. Die Liebkosungen ihrer Mutter riefen nur ein zerstreutes Lächeln auf ihrem Gesicht wach und sie achtete nicht darauf, daß ihr Mann die Scheidende bis auf den Flur begleitete, wo sie miteinander tuschelten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

      Plötzlich sprang sie auf und riß nach Luft, indem sie den Arm in die Höh warf . . . . . . .

      Der Schritt ihres Mannes, der immer lauter im Flur hörbar wurde, drückte sie wieder auf den Stuhl, und ein Widerwille verzerrte ihr Gesicht, wie er Ausgehungerte vor der Mahlzeit befällt. Mit glanzlosem Gesicht sehen sie hin: es ist ja schon zu spät . . . oh, wäre alles Augenblicke früher gekommen, da ihr Hunger noch die Kraft des Verlangens hatte; aber jetzt! —

      Ihr Mann trat ein, eine Flasche Wein im Arm, zwei Gläser in der Hand, ein vorkostendes Schmunzeln die ganze Gestalt.

      „Håst du nich Hunger, Lorla?“

      Ohne ihn anzusehen, schüttelte sie schwer mit dem Haupte.

      „Ich auch nich. — Komm, heute wer’n mr eene Dickwampige leer machen. — Is nich wie ein Festtag?“

      Sie verharrte in stummer Abgeschiedenheit.

      Er schenkte ein, und die Duftperlen des Weines ließen sich singend in den Gläsern nieder.

      „Prost!“

      Griebel stößt gegen das Glas, das er seiner Frau hingestellt hat.

      „Trink! — Horch, wie’s klingt, helle, wie wenn eens lacht.“

      Es mußte zur Versöhnung kommen; das stand bei ihm fest. „Reen’n Tisch mach ich voll’ds alleene,“ hatte er auf dem Flur nicht ohne einen Anflug von Prahlerei gesprochen.

      „Nu, ‘s is kee Gift!“ nahm er darum wieder das Wort. „Sieh‘ch mich. Auf ee’n Zug. — Wupp, weg wårsch! — Verleicht stöß’st du mit ‘m zweeten ån. — Prost, Lorla! Sei kee Frosch! Wein erfreut des Menschen Herz. Is nich aso? —“

      Abermals leerte er hastig sein Glas und schenkte sich wieder ein. Denn nun sollte es „vom Flecke gehn“. „Is nich aso?“ wiederholte er, nach einem Anknüpfungspunkte suchend. Er fand nichts und polterte blind drauf los:

      „Jesses nee, ich bin ein . . .? — Wås is denn då? Braucht de Welt zu wissen, wås mr hå‘n? —

      Bin ich nich ein guder Kerl, hä?

      Herr Gott, doch a! Is ein Wort ein Ballen Tuch? —

      Ich nehm å: ich bring eim Rathause wås zur Språche. Es påßt mr wås nich — ich beschwer mich — ich bin Stadtverordneter — ich kånns — ich hengs å de große Glocke . . . . . Gut! — Es sei de Wåsserleitung, aber‘s Trottear auf der kleen‘ Ringseite, de Pflåsterung, irgend wås . . . gut! — ich hå mein guden Grund un såg ålles håårkleen, zum Greifen genau såg ich ålles. — Nach, gehts durch, gut; gehts nich durch . . . . . . . ‘wurmt een‘ wohl, freilich. — aber mir deswegen ei den Keller betten? Nä! —

      Is nich ålls aso auf der Welt, wås de de Menschen wollen?“

      Mit großer Entschiedenheit und Ueberzeugungskraft redete er das, in Absätzen, die sich wichtig aus langen Pausen arbeiteten.

      Aber auf Leonore machte das alles nicht den geringsten Eindruck. Sie hatte den Kopf auf die linke Hand gestützt und starrte zur Decke empor.

      Griebel schenkte sich zum drittenmal ein und trank aus.

      „Wås håts dort droben, Lorla? Ach, ein Spinnwebennest! — Ihr Weiber hå‘t doch bloß auf ‘m Putzen und Schaben de Gedanken åll sei Leb’s Tage.“

      Er mußte sie zum Reden bringen. Das übrige würde sich schon finden. Er würde dann mit seinem „hellen Koppe“ schon alles bearbeiten, daß eine Lust sein sollte.

      „Hmmm!“

      Endlich stieß Leonore einen erwägenden Laut aus.

      Dann wandte sie sich ganz mit steifem Oberkörper leise zu ihm:

      „Willst du die Geschichte nicht weiter hören, die die Mutter erzählt hat?“

      „Natürlich die Geschichte, freilich. Sieh‘ch, dås meen ich ja ebenste!“

      Diese Worte brachten ein schneidendes, selbstquälerisches Lächeln auf ihr Gesicht. Resigniert kehrte sie sich ab, indem sie antwortete:

      „. . . . Du? . . . du! . . .“

      Aber sie redete das nicht in inbrünstigem Drohen wie früher. Welk, kalt, als stoße sie Erztropfen aus, die, nun Asche, einst glühend ihre Zunge versengten.

      Nach langem Schauen ins Wesenlose setzte es doch gegen ihren Willen ein, wie man fröstelnd den Traum seines verlorenen Lebens erzählen mag — — — — — „. . . . der Ritter trank sein Weib mit den Augen. . . . Dann kniete er vor dem Kaiser nieder: ,Nimm mein Schwert, meine Ehre — deine Gunst — mein Söhnlein, alles, — alles!! — nur . . . laß mir . . . mein . . . Weib —’“

      Ein langer, geheimnisvoller Laut, als stöhne ihre Seele ohne Inanspruchnahme leiblicher Organe, schloß sich an diese Worte.

      Jetzt war der Moment der Entscheidung da, nach dem sie mit der zitternden Wirrheit ihrer friedlosen Ehe gerungen hatte.

      Halb im Sturz, halb im Aufsprung hing sie an der Kante des Stuhles.

      Griebel dachte, die Geschichte sei noch lange nicht aus und wartete bequem auf den Schluß. Da er ausblieb, wollte er zur Befestigung des erreichten Vorteiles selbst eine Geschichte erzählen:

      „Hör ‘och: Mei‘ Våter ging amål . . .“

      „Jetze is alle! Jetzt muß ich fort . . . verleicht . . . zu ihm . . . wer weiß . . . jetz muß ich . . . jetz . . . jetz . . .“

      Ein tödlicher Streich hatte ihr die Besinnung geraubt. Entsetzt war sie emporgeschnellt. Nun, irr umhergreifend, raste sie durch die Stube.

      Griebel begriff nicht, wie sie zu der „Tommheit“ komme:

      „Låß doch dås Gegrassel, setz dich her, ich drzehl dr.“

      Auf diese Worte kam eine Starrheit über sie. An der Portière zur Schlafstubenthür drehte sie sich um und sah Griebel mit wundem Staunen von der Seite an. — Der saß in Verlegenheit da, brodelte in verhaltenem Atem seine guten Lehren und nippte am Weine. — Nach kurzem Kampf mit sich näherte sich Leonore langsam dem Tisch.

      Als sie nun so schwer erschien, fuhr Griebel zurück vor ihrem leichenblassen Gesichte mit den großen, verzweifelten Augen.

      „Griebel, Joseph, ich geh, denn ich sterbe sonst“, sagte sie erschöpft.

      In seiner Ratlosigkeit klammerte er sich ausschließlich an ihre Worte, wie, um sich taub zu machen gegen allerhand Befürchtungen, die ihn belästigten gleich einem Mückenschwarm.

      „Du sterben; aso gesund un stark.“

      „Eben deswegen. Gesunde sterben; Kranke machen bloß die Augen zu.“

      „Ich geh!“ versicherte sie nach einer Weile, eine zitternde Erregung zur Ruhe bringend, da Griebel schweigend dasaß.

      „Und ‘s Kind, Gustla?“ erholte