Hermann Stehr

Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen


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mäßigen Kleiderschrankes halb geöffnet, so daß Marie, die hintrat, sie zu schließen, mit einer leichten Beugung des Oberkörpers das winzige Eckchen mit den zwei hochgeschichteten Betten unter lukenartigen Fenstern überschauen konnte. Aber indem sie hineinsah, ward ihr Gesicht nicht von der süßen Zärtlichkeit verschönt, die sonst jede Frau überkommt, welche unbeachtet ihr Schlafzimmer mustert; mit einem hastigen Ruck schloß sie die Tür des dürftigen, lichtarmen Winkels. Der Klumpen hatte diese enge Kabine der Ruhe eingeräumt, als sei Schlaf ein lästiges Übel, das man unfreundlich behandeln muß, damit es sich nicht einniste.

      Darauf ging sie in der Wohnstube umher und wischte mit der blauen Schürze über jedes Stück, mehr um es zu berühren als den Staub zu entfernen, behutsam, wichtig und stolz. Alles, was umherstand, hatte sie mit eignem Gelde gekauft, und oben in der Sommerstube, »der Bühne«, wie der Landbewohner der Grafschaft sagt, standen gar ein Tisch und Stühle mit geschweiften Beinen, ein Glasschrank und ein Kleiderspind mit gedrehten Aufsätzen.

      Freilich steckten in der Ausstattung die ganzen achthundert Wart, die ihr als Erbteil von dem Zusammenbruch des väterlichen Wohlstandes geblieben waren. Aber mit Wohlbehagen hatte sie alles hergegeben, um ihrem Manne deutlich vor Augen zu führen, daß es ihr ein leichtes gewesen wäre, noch einen andern als ihn zu bekommen.

      Mit Genugtuung dachte sie des hochgeladenen, bunt bebänderten Brautfuders mit dem Butterfaß auf der Spitze, das die Pferde des Freirichters behutsam den holprigen Weg hergeführt hatten.

      An alles andere, was weiter zurücklag, durfte sie sich nicht erinnern, sonst geriet in Fluß, was sie fernhin in sich gebettet und dem sie geboten hatte, zu schlafen auf Nimmerwiedersehn.

      Der Holzdeckel des Ofentopfes klappte.

      Sie fuhr auf und fand, erstaunt, sich an dem Tische sitzend.

      Eilig lief sie zum Brunnen, holte Wasser und füllte den Ofentopf bis oben hin.

      Während sie es tat, erscholl dumpfes Brummen vom Stalle herüber.

      »Haha, de Hirsche weeß besser, wenn's Mittag is«, sagte sie mit einem Blick auf die Uhr, die drei Viertel auf zwölf zeigte, »wart och, Unmuß, alter, ich komm schon.«

      Behende nahm sie die Rüben vom offenen Herd und bereitete das Futter.

      Dann verließ sie die Stube, um »im Stall zu machen«.

      Um ein Uhr war sie damit fertig. Die Milch stand ausgegossen im Keller, die Raufen waren mit frischem Heu gefüllt, aus dem Stall tönte das taktmäßige leise Klirren der Ketten, das der Bauersfrau die Gewißheit gibt, daß die Rinder daliegen und wiederkäuen.

      Marie setzte sich nieder und aß das Mittagbrot: Schalkartoffeln, Kaffee und Butterbrot. Das Aufwaschen und andere häusliche Verrichtungen füllten den Nachmittag aus.

      Sie hatte eben das Licht angezündet, als ihr Mann in die Stube trat.

      »Guten Amd, Marie!« Er warf Beil, Stricke und Säge in die Ecke. Dann entledigte er sich der Jacke und schlug sie aus, daß die Tropfen in der Stube umhersprühten.

      »'s regnet wohl?« fragte Marie.

      »Geh och naus, da wirste's sehn. Ich bin bale durch. Das weecht ordntlich ei!« antwortete er unter behaglichem Ächzen, hob sich auf die Zehen und hing die Arbeitsjacke an die Ofenstange. Dann setzte er sich an den Tisch und stützte den Kopf in die Hand.

      »Was machen de Kühe, fressen se gut; git'n de Schecke de Milch besser?« fragte er und richtete das Gesicht nach Marie hin, die am Ofen beschäftigt war, stand schwerfällig auf, zündete sich eine Laterne an und ging in den Stall.

      Nach langer Zeit kam er wieder und sagte strahlend: »Mögen se teuer sein; aber se siehn da, glatt wie de Schnecken, munter um de Hörner, wie Fische berührsam. Un de Schweinla, wie Wiesala flink sein se!« Es klang innig.

      Helle Freude schimmerte noch in seiner Stimme, als er nach dem Essen sprach: »Das Buschgehn is wohl nich scheen, das kannst mir glauben.«

      »Warum bleist de nich daheeme? Du hast's ja nich gar aso nötig«, erwiderte sein Weib.

      »Aber 's bringt eem doch 'n Behmen Geld nebenbei, Un was wollte ich eigentlich hier, wie mich auf Bänken und Stuhlen rumstetschen! Zwölf Mark de Woche bringt's doch, wenn ma sich au schinden muß. – Zur Saatzeit hört's sowieso auf, da hat's of'm Felde zu tun, daß ee's nie weeß, wo ee'm der Kopp steht. Wie stand denn dr Hafer beim Freirichter fate?«

      Marie dachte an die drohenden Worte ihres früheren Brotherrn, an seine Streitsucht, und im Bestreben, die Möglichkeit eines Mißverhältnisses zwischen ihm und ihrem Manne vorbauend zu bekämpfen, antwortete sie eifrig: »Gut wie ein Filz im Anfange und wie's scheenste Korn zur Ernte. Überhaupt, verdirb dir's mit dem nich. Das is ein Bauer, wie er im Buche steht.«

      Da sprang der Lahme auf und holperte durch die Stube. Dann blieb er stehen und lachte höhnisch auf sie nieder: »'s halt ein Mann, wie eben jeder is.«

      »Nu nee!«

      »Kee Haar anders wie ich un alle, 's geht halt vorne rein und hinten raus, das is. War er mir denn een Sack vll lassen?« fragte er nach langem Schweigen.

      »Du mußt halt a mal zufragen«, erwiderte Marie ein wenig gereizt. Nachdem sie eine halbe Stunde stumm nebeneinander gesessen hatten, nickte der Lahme mit dem Kopfe, und sie gingen schlafen.

      Am andern Morgen, vor Tagesanbruch, stolperte er schon wieder über die Schwelle, den grobleinenen Brotsack an der Seite, das Arbeitsgerät über der Schulter, den Knotenstock in der Hand.

      Der gleiche Kreislauf der Tage hatte begonnen; arbeiten, arbeiten, arbeiten. Davon denken; mit allen Kräften ihm dienen; darüber sprechen; aus der Stube in den Stall; von dem Brunnen ins Haus; auf dem Boden schaffen; fegen und klopfen; nie sitzen, nie rasten, noch Stäubchen jagen, um Kleinigkeiten sich sorgen; nie über die Mauer sehn: ein enger, eiliger, öder Tanz, daß die Träume verschwanden, die Seele versank, das Herz betäubt wurde, die Augen nur sahen, was sie sahen, die Ohren am Laute der Dinge stumpf wurden. Die Sonne ging auf: ihr schien sie nicht; der Tag erlosch und war vergessen.

      Es war geschehen, wonach sie verlangt hatte.

      Sie war eingeschlafen im Taumel der Mühe.

      Und während sie ruhte, war die Erde aufgewacht, aufgewacht zu dem jahrtausend jungen Traume, dem Frühling. Mit lauem, leisem Regen hatte sie sich die schmutzigen Schneeschrunden aus dem Gesichte gewaschen; in heimlichen Mondnächten die letzten Schleier abgestreift; ihre Brüste mit verjüngendem Tau benetzt, bis eines Morgens ihre Schöne ganz erfüllt war. Da stieß sie Lerchenwirbel von dampfenden Ackerschollen zum Himmel; rüttelte aus jungem Baumgrün glückbestürzte Gesänge und führte ihre Töchterchen, die kleinen Wellen, zu Tal. Die trippelten über die Steine mit hochaufgeschürzten Schaumröckchen und sangen ihr ewiges Wanderlied dazu, so innig, so verhalten aus tiefer Brust, daß Schneeglöckchen aufwachten und Primeln und Märzenbecher den eilenden Wassern nachsahen mit süßen Gesichtern.

      In der Sonne aber schwammen die ersten Schmetterlinge, daß die Luft noch stiller wurde von ihren bunten Flügeln.

      Der Lahme und Marie standen eines Abends in mildem Winde vor dem Hause und ließen die Augen über ihre Felder schweifen, um sich über deren Bestellung zu bereden. Es war ein langer, schmaler Streifen, zweihundert Mannesschritte breit und tausend lang, etwa zwanzig Morgen groß, leicht geneigt wie alle Felder Steindorfs, die auf dem Abhänge liegen, der sich nach Südosten in die kleine Ebne senkt, an deren Anfang die zerstreuten Häuser Petzdorfs sich angesiedelt haben.

      Die untere Lang- und die nördliche Schmalseite des gedehnten Vierecks waren von dem Walde des Freirichters begrenzt, die anderen Seiten wurden von einem Wall unregelmäßig übereinandergeworfener Rodesteine, einer Mauer, eingefaßt; durch eine Luke mündete der Zufuhrweg. An der Mauer der westlichen Langseite standen die Wirtschaftsgebäude so, daß der Ankömmling sie zur linken Hand hatte, und wenn er neugierig war, konnte er vor seinem Eintritt durch die Tür bequem zwischen Mauer und Hinterwand des Hauses an die kleinen Fenster der Schlafkammer schleichen, um verstohlen hineinzusehen.

      Die