Else Ury

Else Ury: Die beliebtesten Kinderbücher, Romane, Erzählungen & Märchen (110 Titel in einem Band)


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Polen gaben sich die zwei, die für »ewig schuß« sein wollten, den Versöhnungskuß. Die Rüge von Fräulein Konrad, die in Anbetracht der sich drängenden Arbeit sehr mild ausfiel, trugen sie dann getreulich gemeinsam.

      Das wäre ja auch schrecklich gewesen, wenn ein so schönes Werk, wie ihre eifrige Hilfsbereitschaft für die Verwundeten, die beiden Freundinnen entzweit hätte!

      4. Kapitel

       Für unsere Vaterlandsverteidiger

       Inhaltsverzeichnis

      »Viele Hände machen der Arbeit bald ein Ende«, auch in dem Mädchenlyzeum bewahrheitete sich dieses Sprichwort. Schon nach knapp drei Tagen war die Hauptarbeit getan, Aula und Turnhalle vollgestopft mit allem, was sich sonst auf sämtliche Schulräume verteilt hatte. Eine mächtige Küche wurde angebaut, Badeeinrichtungen geschaffen und fünfhundert Betten aufgestellt.

      Die Werktätigkeit der Schülerinnen aber begann jetzt erst eigentlich. Jede erhielt einen gedruckten Aufruf:

      »An die Schülerinnen des Schubertschen Mädchenlyzeums zu Berlin.

      In diesen schweren Tagen soll auch euch Gelegenheit gegeben werden, euch zum Wohle des Vaterlandes zu betätigen.

      Das Lehrerkollegium hat beschlossen, zwei Hilfsabteilungen im Dienste des Roten Kreuzes zu gründen:

      1. Eine Strick-und Nähabteilung (Vorsitzende Fräulein Hering). In dieser sollen wollene Strümpfe, Handschuhe, Bettwäsche usw. für unsere Truppen angefertigt werden. Die Arbeiten werden unter Leitung der Lehrerinnen eingerichtet, und dann so weit als möglich zu Hause vollendet. Zur Unterweisung stellt Herr Direktor Schubert vorläufig seine Dienstwohnung zur Verfügung.

      Versammlung der hierzu bereiten Schülerinnen Montag, den 10. August, nachmittags 4 Uhr, auf dem Schulhofe.

      2. Eine Verpflegungsabteilung wird eingerichtet. (Vorsitzende Fräulein Neubert.)

      Durchziehenden Truppen sollen Erfrischungen gereicht werden.

      Diese vaterländische Betätigung im Dienste des Roten Kreuzes erfordert viel Geld. Es ergeht daher an alle Schülerinnen der Aufruf. Geldbeiträge zu spenden, dieselben durch ihre Vertrauensschülerinnen zu sammeln und an den Direktor abzuliefern.

      Opfert dem Vaterlande!«

      Doktors Nesthäkchen erhielt von Margot diesen Aufruf zugesandt, trotzdem es selbst eine der von der Klasse erwählten Vertrauensschülerinnen, die für die Versendung der Zettel Sorge zu tragen hatten, war. Aber sie war doch nicht schlechter als die andern – wenn die ihren Aufruf mit der Post bekamen, wollte Annemarie ihn auch so haben. Darum sandten die törichten kleinen Mädel sich gegenseitig ihre Zettel zu.

      In tiefem Nachdenken saß Annemarie vor dem ihren, trotzdem der Inhalt ihr bereits genügend bekannt war. Es war wirklich eine schwierige Überlegung. Sollte sie sich zur Handarbeits-oder zur Verpflegungsabteilung melden? Oder am Ende zu allen beiden?

      Für Handarbeiten hatte der Wildfang eigentlich herzlich wenig übrig. Nesthäkchen quälte sich immer noch mit ihrem ersten Pulswärmer zu Hause herum. »Verpflegung«, das klang doch viel schöner. Dabei dachte man gleich an leckere Schinken und lange Würste – und am Ende durfte sie selbst am Bahnhof Butterbrote und Kaffee an die durchkommenden Truppen verteilen wie Bruder Hans. Klaus, mit dem sie die Sache besprach, riet ihr, aus seinem ewig hungrigen Gymnasiastenmagen heraus, zur Verpflegungsstation. Aber der wußte doch nicht, wie gern sie Fräulein Hering hatte, welche die Näh-und Stricknachmittage leitete. Während Fräulein Neubert, die der Verpflegungsabteilung vorstand, als streng in der ganzen Schule bekannt war.

      Großmama, die klügste von allen, mußte den Ausschlag geben.

      »Großmuttchen, wozu soll ich mich melden? Stricken muß ich doch eigentlich schon bei dir genug. Margot geht ja zu den Stricknachmittagen und meine andern Freundinnen auch. Aber ich denke mir die Verpflegung viel feiner, das macht bestimmt mehr Spaß!« Nesthäkchen sah die alte Dame erwartungsvoll an.

      »Herzchen, weißt du wirklich nicht, wozu ich dir raten werde?« Großmama lächelte ihr liebes Lächeln.

      Annemarie kniff ein Auge ein, das tat sie öfters, wenn sie etwas Schalkhaftes dachte.

      »Natürlich weiß ich es, alte Damen sind doch immer für Stricken und Nähen. Klaus ist nun wieder mehr fürs Essen. Und du hast doch gesagt, es ist ganz gleich, wie man seinem Vaterlande nützt, Großmuttchen, wenn man nur überhaupt etwas tut.«

      Großmama wies mit dem Finger schweigend auf eine Zeile des Aufrufs.

      »Opfert dem Vaterlande«, las Nesthäkchen.

      »Jawohl, das will ich ja auch gern tun, Großmuttchen. Ich werde an Vater schreiben, ob ich mein Sparkassenbuch geben darf. Und – und vielleicht hast du graue Wolle oder Leinewand übrig, die dürfen wir auch mitbringen, und Hanne wird mir gewiß eine Wurst schenken.«

      Stolz sah die Kleine die Großmama an – mehr konnte sie doch nicht opfern.

      Aber Großmama schüttelte den Kopf.

      »Nein, Kind, mit Geld und Waren allein ist es nicht getan. Opfern heißt, etwas hingeben, was einem schwer wird. Unsere Zeit und unsere Arbeit sollen wir dem Vaterlande opfern. Nicht, was dir Spaß macht, sollst du tun, sondern das, was am nutzbringendsten für unsere Krieger ist. Nun, Herzchen, wozu wirst du dich melden?«

      »Das muß ich mir erst noch überlegen, Großmuttchen.« Annemarie zog die Stirn in Falten und dachte angestrengt nach. »Essen ist doch eigentlich mindestens so notwendig wie Kleidung für unsere Feldgrauen. Aber weißt du, Großmuttchen, ich werde mich für beide Abteilungen melden.«

      »Das hat keinen Wert, Annemiechen. Lieber eine Sache ganz tun, als mehrere Dinge nur halb.«

      Annemarie wurde ihrer Überlegung enthoben. Denn Margot, die herüberkam, um gemeinsam mit der Freundin eine Liste für die Sammlung aufzusetzen, teilte ihr mit, daß zu der Verpflegungsabteilung überhaupt nur die großen Schülerinnen der ersten und zweiten Klasse zugelassen wurden.

      So fand sich auch Annemarie Braun mit mehreren hundert anderen Schülerinnen am nächsten Tage im Schulhof zur Liebesarbeit ein.

      Die Mädchen wurden in zwanzig Gruppen geteilt, die abwechselnd an verschiedenen Tagen der Woche zusammenkamen. Mehrere Lehrer und Lehrerinnen stellten ihre Wohnung für die Strick-und Nähnachmittage zur Verfügung.

      Wie froh war Annemarie, daß sie sich daran beteiligt hatte, denn die Stricktage gehörten bald zu den schönsten in der Woche.

      Die kecken Berliner Spatzen, die den Garten des Herrn Direktors als ihr Privateigentum betrachteten, konnten sich jetzt nicht genug verwundern. Da tauchten täglich in den sonnigen Augusttagen zwischen Bäumen und Buschwerk blonde und dunkle Mädchenköpfe auf, wohl an hundert Stück, alle eifrig über die Arbeit geneigt.

      Was wurde dort nicht alles von den fleißigen Mädchenhänden fabriziert. Vor allem graue Strümpfe, denn »barfuß können unsere Soldaten nicht bis Paris und Petersburg marschieren!« scherzte Fräulein Hering. Mit solchen Worten spornte sie die Kinder immer wieder zu neuem Eifer an.

      Eigentlich war das aber gar nicht nötig. Denn jedes hatte den Ehrgeiz, möglichst viel für die Vaterlandsverteidiger zu schaffen. Ein edler Wettbewerb begann zwischen den Schülerinnen, wer wohl am schnellsten mit seiner Arbeit fertig wurde. Eine schielte auf den Strumpf der anderen, ob die auch bloß noch nicht weiter war mit Abnehmen, als sie selbst. Die Stricknadeln klapperten unaufhörlich, und die Mundwerke der kleinen Fräulein klapperten fast noch unaufhörlicher – auch hierbei gab es einen edlen Wettstreit.

      Es war merkwürdig, mit welcher Freude Doktors Nesthäkchen, das dem Stricken von jeher nicht sehr hold gewesen, hier an ihrem langen Strumpf schaffte. Es schaffte wirklich – Großmama traute manchmal ihren Augen nicht, wie Annemaries Strumpf an dem Stricknachmittage wuchs. Ja, mit den lustigen Altersgenossinnen um die Wette arbeiten,