Else Ury

Else Ury: Die beliebtesten Kinderbücher, Romane, Erzählungen & Märchen (110 Titel in einem Band)


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      »Zunächst müsse wir Tübingens Dichtervater unsere Aufwartung mache.« Egerling, der Führer, bog in die Anlagen, welche die Stadt mit wundervollen alten Platanen und Eichen umgürtete, ab. Da stand er, umbuscht von Syringen und Rotdorn, Ludwig Uhland.

      Stumm schauten sie auf das Steinbild des schwäbischen Balladendichters, dessen Verse ihnen allen durch die Schulzeit hindurch das Geleit gegeben.

      »Johann Ludwig Uhland, geb. am 27. April 1787 zu Tübingen, gest. am 13. Dezember 1862«, entzifferte Marlene gewissenhaft die Inschrift.

      Ilses Interesse galt der künstlerischen Bildhauerarbeit.

      Annemarie aber hatte mehr Freude an den farbenbunten Frühlingsblumen, mit denen die dankbare Vaterstadt noch heute das Denkmal ihres Dichters umkränzt. Sie versuchte durch das abschließende Eisengitter zu langen und sich einen Stengel Goldlack zu brechen. Ritsch – da hatte eine spitze Gitterzacke die voreilige Mädchenhand blutig geritzt.

      »Das ist des Sängers Fluch!« Lachend stand Annemie von ihrem Vorhaben ab.

      Die Studenten umringten sie. Ein jeder zog sein Schnupftuch zum kunstgerechten Verband heraus. Aber die junge Kollegin lachte sie alle aus.

      »Ich bin doch kein Wattepüppchen, im Krieg gab’s andere Wunden. Und zum Probierkarnickel für eure Verbandsstudien geb’ ich mich auch nicht her.« Energisch entwand sich Annemarie der Fürsorge.

      »Nun muß sich alles, alles wende – auch wir!« zitierte Egerling und wandte sich rückwärts.

      Sie traten hinaus auf eine mit Anemonen und Tausendschönchen über und über bestickte Wiese. Da lehnte dicht neben Uhlands Standbild, unbeweglich wie dieses, der Schäfer auf seinem Stab. Derselbe, der den drei Studentinnen bei ihrem Einzug in Tübingen den ersten Willkomm geboten. Inmitten der melancholisch blökenden Schafe und der in übermütigen Sätzen ihn umspringenden Böcklein, von dem Spitz halb wohlwollend, halb mißtrauisch im Auge behalten.

      »Das ischt der Vater Tobias, die bekannteschte Persönlichkeit Tübinges. Er pfuscht halt den größte medizinische Professore ins Handwerk. Wahre Wunderkure erzählt man sich dahier vom Tobias. Von weit und breit komme die reiche Bauern und hole den Schäfer, wenn eins, Mensch oder Vieh, krank ischt.« So berichtete der aus der Umgegend stammende Egerling.

      »Wann’s wollt, könnt’s Kolleg beim Tobias belegen«, scherzte Neumann.

      »Ja, vielleicht im Strümpfestricken!« Annemarie wies übermütig auf den blauen Strumpf, den der Schäfer jetzt vorzog.

      »Dazu seid’s zu dumm, Blaustrumpf seid’s selber, Neschthäkche«, neckte Krabbe.

      »Na, erlauben Sie gefälligst.« Annemaries Ehre war verletzt. »Ich hab’ mehr als einen feldgrauen Strumpf während der Kriegszeit gestrickt.«

      »Wer’sch glaubt, Fräulein Blaustrumpf!«

      »Beweisen werd’ ich’s!« Mit der ihr eigenen Unverfrorenheit trat Annemarie auf den alten Schäfer zu.

      »Grüß Gott, Vater Tobias, darf ich Euch ein bißchen beim Strumpfstricken helfen?«

      »Was wollt’s?« Mit seinen tiefliegenden Augen musterte der Alte das kecke junge Ding. Das stand stumm vor ihm. Alle Keckheit schwand Annemarie vor diesem Ehrfurcht heischenden Blick des alten Mannes.

      Milder schaute der Alte auf das blühende junge Ding. Er hatte in seinem langen Leben manchen lustigen Studentenstreich mit angeschaut und lächelte als Philosoph über die Kinderei der Jungen.

      »Wann’sch beliebt.« Er reichte dem jungen Mädchen das grobe blaue Strickzeug.

      Nicht triumphierend, sondern ängstlich wie dereinst als kleines Nesthäkchen nahm es Annemarie zwischen die feinen Finger. Behutsam begann sie, zwischen Anemonen und Tausendschönchen Platz nehmend, Masche um Masche abzustricken.

      Knips – machte der photographische Apparat, den der Student Krabbe ihr galant trug. »Die erschte Aufnahme ›Fräulein Blaustrumpf‹ ischt hoffentlich gelunge.«

      »Solche Gemeinheit!« Jäh sprang Annemarie auf, trat dem sachgemäß zuschauenden Schäferhund auf seine linke Vorderpfote, daß er winselnd zurückwich, und schleuderte das Strickzeug weit von sich.

      »Aber Annemarie!« begütigte Marlene, hob das unschuldige Strickzeug auf, zog die herausgegangenen Nadeln wieder hinein und reichte es mit einer Entschuldigung dem alten Schäfer. Der nickte: »Schon guet – schon guet.« Dann stand er wieder unbeweglich, als sei er aus Stein gehauen wie sein durch das Buschwerk herübergrüßender Nachbar Uhland.

      Krabbe pirschte sich an die Seite der wütend ausschreitenden Annemarie.

      »Schauen’s doch nit so arg garschtig drein, Neschthäkche«, bat er zerknirscht.

      »Ach was«, bullerte Annemarie los, »Unverschämtheiten kann ich nicht leiden. Dann ist’s von vornherein aus mit unserer Freundschaft. Wie kommen Sie dazu, meinen Apparat, den ich erst kürzlich von meiner Großmama zum Geburtstag bekommen habe, einzuweihen? Das erste Bild, das ich aus meiner Studentenzeit nach Haus schicken wollte, sollte mit Zerevis und Bierseidel sein. Und jetzt sitz’ ich mit einem Strickstrumpf da und noch dazu unter Schafen. Die Biester sind doch sicher auch mit auf das Bild gekommen.«

      »Ganz g’wiß«, bestätigte Krabbe, »aber die Herren Eltern werden’s schon herauskenne.«

      Da mußte Annemarie lachen. Ihr Zorn war verflogen.

      »Frechdachs!« sagte sie nur noch, als wäre er Klaus.

      »Also guet ischt’s, nun wisse mer gleich, wie mer zwei zueinand’ stehe, Neschthäkche. Oder wollen’s mich noch gar fordern?«

      »Freilich, auf Pistolenduell!« scherzte Annemarie. Das Kriegsbeil war wieder begraben. Als Sühne forderte Annemarie nur, daß ihr Krabbe das Photographieren beibringen müsse. Das versprach dieser gern.

      Neckaraufwärts, am weidenumbuschten Ufer entlang, den Frühlingsbergen entgegen. Wie der leibhaftige Frühling zog die junge Schar, Studenten-und Volkslieder zur Laute singend, noch unbeschwert von den Sorgen des Lebens, durch die grünenden Saaten.

      Die drei Großstadtmädel kamen sich wie verzaubert vor. Und ein Jahr, ein ganzes Jahr sollte diese goldene Freiheit, diese überquellende Jugendlust währen.

      Im Wirtsgärtle »Zu den Eichen« ward Rast gemacht. Die Kathi brachte Moscht herbei. Mit Todesverachtung tranken ihn die Norddeutschen und schnitten dazu Grimassen, als hätten sie jetzt schon Leibschmerzen.

      Egerling klopfte ans Glas. »Kinderle«, begann er, »i möcht euch halt einen Vorschlag mache. Mer tun so guet zueinand’ stimme, daß mer einen Schwäbische Wanderbund gründe wolle. Seid’s damit einverstande?«

      »Ja – famos!« Von allen Seiten johlte man ihm Beifall.

      »Aber Bedingung ischt: Kameradschaft auf du und du. Sonst ischt ka Gemütlichkeit nit dabei. Einverstande?«

      Alle erklärten sich in ihrer lustigen Wanderstimmung auch damit einverstanden. Nur Marlene Ulrich machte Einwendungen: »Ich mag den burschikosen Ton nicht.«

      »Pensionstunte!« schalt Annemarie.

      »So a liabs Mädle wird doch ka Spielverderber nit sein. Noch dazu, wenn’s denselbe Name trägt wie unser berühmter Herzog. Also sei ka Widerwurze nit, schlag’ ein, Ulrich.«

      Und Ulrich schlug lachend ein.

      Singend hielten sie in Tübingen wieder ihren Einzug.

      »Nach Hause, nach Hause, nach Hause gehn mer nit«, sang Egerling, und die andern fielen ein.

      Wieder zupfte Marlene die mit lauter Stimme im Chor schmetternde Freundin. »Annemie, wir sind in der Stadt. Was sollen die Leute denken?«

      »Daß fidele Studenten ihren Einzug halten.« Annemarie ließ sich nicht stören.

      »Eine Gottessünd’ wär’s, an solch einem herrlichen Frühlingsabend auf seine