das Rädchen stehen und streckte beide Hände nach dem Kinde aus. Heidi lief zu ihr, rückte gleich das niedere Stühlchen ganz nahe an sie heran, setzte sich darauf und hatte der Großmutter schon wieder eine große Menge von Dingen zu erzählen und von ihr zu erfragen. Aber auf einmal ertönten so gewaltige Schläge an das Haus, dass die Großmutter vor Schrecken so zusammenfuhr, dass sie fast das Spinnrad umwarf, und zitternd ausrief: "Ach du mein Gott, jetzt kommt's, es fällt alles zusammen!" Aber Heidi hielt sie fest um den Arm und sagte tröstend: "Nein, nein, Großmutter, erschrick du nur nicht, das ist der Großvater mit dem Hammer, jetzt macht er alles fest, dass es dir nicht mehr angst und bang wird."
"Ach, ist auch das möglich! Ist auch so etwas möglich! So hat uns doch der liebe Gott nicht ganz vergessen!", rief die Großmutter aus. "Hast du's gehört, Brigitte, was es ist, hörst du's? Wahrhaftig, es ist ein Hammer! Geh hinaus, Brigitte, und wenn es der Alm-Öhi ist, so sag ihm, er soll doch dann auch einen Augenblick hereinkommen, dass ich ihm auch danken kann."
Die Brigitte ging hinaus. Eben schlug der Alm-Öhi mit großer Gewalt neue Kloben in die Mauer; Brigitte trat an ihn heran und sagte: "Ich wünsche Euch guten Abend, Öhi, und die Mutter auch, und wir haben Euch zu danken, dass Ihr uns einen solchen Dienst tut, und die Mutter möchte Euch noch gern eigens danken drinnen; sicher, es hätte uns das nicht gerad einer getan, wir wollen Euch auch dran denken, denn sicher—"
"Macht's kurz", unterbrach sie der Alte hier; "was Ihr vom Alm-Öhi haltet, weiß ich schon. Geht nur wieder hinein; wo's fehlt, find ich selber."
Brigitte gehorchte sogleich, denn der Öhi hatte eine Art, der man sich nicht leicht widersetzte. Er klopfte und hämmerte um das ganze Häuschen herum, stieg dann das schmale Treppchen hinauf bis unter das Dach, hämmerte weiter und weiter, bis er auch den letzten Nagel eingeschlagen, den er mitgebracht hatte. Unterdessen war auch schon die Dunkelheit hereingebrochen, und kaum war er heruntergestiegen und hatte seinen Schlitten hinter dem Geißenstall hervorgezogen, als auch schon Heidi aus der Tür trat und vom Großvater wie gestern verpackt auf den Arm genommen und der Schlitten nachgezogen wurde, denn allein da drauf sitzend, wäre die ganze Umhüllung vom Heidi abgefallen, und es wäre fast oder ganz erfroren. Das wusste der Großvater wohl und hielt das Kind ganz warm in seinem Arm.
So ging der Winter dahin. In das freudlose Leben der blinden Großmutter war nach langen Jahren eine Freude gefallen und ihre Tage waren nicht mehr lang und dunkel, einer wie der andere, denn nun hatte sie immer etwas in Aussicht, nach dem sie verlangen konnte. Vom frühen Morgen an lauschte sie auch schon auf den trippelnden Schritt, und ging dann die Tür auf und das Kind kam wirklich dahergesprungen, dann rief sie jedes Mal in lauter Freude: "Gottlob! Da kommt's wieder!" Und Heidi setzte sich zu ihr und plauderte und erzählte so lustig von allem, was es wusste, dass es der Großmutter ganz wohl machte und ihr die Stunden dahingingen, sie merkte es nicht, und kein einziges Mal fragte sie mehr so wie früher: "Brigitte, ist der Tag noch nicht um?", sondern jedes Mal, wenn Heidi die Tür hinter sich schloss, sagte sie: "Wie war doch der Nachmittag so kurz; ist es nicht wahr, Brigitte?" Und diese sagte: "Doch sicher, es ist mir, wir haben erst die Teller vom Essen weggestellt." Und die Großmutter sagte wieder: "Wenn mir nur der Herrgott das Kind erhält und dem Alm-Öhi den guten Willen! Sieht es auch gesund aus, Brigitte?" Und jedes Mal erwiderte diese: "Es sieht aus wie ein Erdbeerapfel."
Heidi hatte auch eine große Anhänglichkeit an die alte Großmutter, und wenn es ihm wieder in den Sinn kam, dass ihr gar niemand, auch der Großvater nicht mehr hell machen konnte, überkam es immer wieder eine große Betrübnis; aber die Großmutter sagte ihm immer wieder, dass sie am wenigsten davon leide, wenn es bei ihr sei, und Heidi kam auch an jedem schönen Wintertag heruntergefahren auf seinem Schlitten. Der Großvater hatte, ohne weitere Worte, so fortgefahren, hatte jedes Mal den Hammer und allerlei andere Sachen mit aufgeladen und manchen Nachmittag durch an dem Geißenpeter- Häuschen herumgeklopft. Das hatte aber auch seine gute Wirkung; es krachte und klapperte nicht mehr die ganzen Nächte durch, und die Großmutter sagte, so habe sie manchen Winter lang nicht mehr schlafen können, das wolle sie auch dem Öhi nie vergessen.
Es kommt ein Besuch und dann noch einer, der mehr Folgen hat
Schnell war der Winter und noch schneller der fröhliche Sommer darauf vergangen, und ein neuer Winter neigte sich schon wieder dem Ende zu. Heidi war glücklich und froh wie die Vöglein des Himmels und freute sich jeden Tag mehr auf die herannahenden Frühlingstage, da der warme Föhn durch die Tannen brausen und den Schnee wegfegen würde und dann die helle Sonne die blauen und gelben Blümlein hervorlocken und die Tage der Weide kommen würden, die für Heidi das Schönste mit sich brachten, was es auf Erden geben konnte. Heidi stand nun in seinem achten Jahre; es hatte vom Großvater allerlei Kunstgriffe erlernt: Mit den Geißen wusste es so gut umzugehen als nur einer, und Schwänli und Bärli liefen ihm nach wie treue Hündlein und meckerten gleich laut vor Freude, wenn sie nur seine Stimme hörten. In diesem Winter hatte Peter schon zweimal vom Schullehrer im Dörfli den Bericht gebracht, der Alm-Öhi solle das Kind, das bei ihm sei, nun in die Schule schicken, es habe schon mehr als das Alter und hätte schon im letzten Winter kommen sollen. Der Öhi hatte beide Male dem Schullehrer sagen lassen, wenn er etwas mit ihm wolle, so sei er daheim, das Kind schicke er nicht in die Schule. Diesen Bericht hatte der Peter richtig überbracht.
Als die Märzsonne den Schnee an den Abhängen geschmolzen hatte und überall die weißen Schneeglöckchen hervorguckten im Tal und auf der Alm die Tannen ihre Schneelast abgeschüttelt hatten und die Äste wieder lustig wehten, da rannte Heidi vor Wonne immer hin und her von der Haustür zum Geißenstall und von da unter die Tannen und dann wieder hinein zum Großvater, um ihm zu berichten, wie viel größer das Stück grüner Boden unter den Bäumen wieder geworden sei, und gleich nachher kam es wieder nachzusehen, denn es konnte nicht erwarten, dass alles wieder grün wurde und der ganze schöne Sommer mit Grün und Blumen wieder auf die Alm gezogen kam.
Als Heidi so am sonnigen Märzmorgen hin und her rannte und jetzt wohl zum zehnten Mal über die Türschwelle sprang, wäre es vor Schrecken fast rückwärts wieder hineingefallen, denn auf einmal stand es vor einem schwarzen alten Herrn, der es ganz ernsthaft anblickte. Als er aber seinen Schrecken sah, sagte er freundlich: "Du musst nicht erschrecken vor mir, die Kinder sind mir lieb. Gib mir die Hand! Du wirst das Heidi sein; wo ist der Großvater?"
"Er sitzt am Tisch und schnitzt runde Löffel von Holz", erklärte Heidi und machte nun die Tür wieder auf.
Es war der alte Herr Pfarrer aus dem Dörfli, der den Öhi vor Jahren gut gekannt hatte, als er noch unten wohnte und sein Nachbar war. Er trat in die Hütte ein, ging auf den Alten zu, der sich über sein Schnitzwerk hinbeugte, und sagte: "Guten Morgen, Nachbar."
Verwundert schaute dieser in die Höhe, stand dann auf und entgegnete: "Guten Morgen dem Herrn Pfarrer." Dann stellte er seinen Stuhl vor den Herrn hin und fuhr fort: "Wenn der Herr Pfarrer einen Holzsitz nicht scheut, hier ist einer."
Der Herr Pfarrer setzte sich. "Ich habe Euch lange nicht gesehen, Nachbar", sagte er dann.
"Ich den Herrn Pfarrer auch nicht", war die Antwort.
"Ich komme heut, um etwas mit Euch zu besprechen", fing der Herr Pfarrer wieder an; "ich denke, Ihr könnt schon wissen, was meine Angelegenheit ist, worüber ich mich mit Euch verständigen und hören will, was Ihr im Sinne habt."
Der Herr Pfarrer schwieg und schaute auf Heidi, das an der Tür stand und die neue Erscheinung aufmerksam betrachtete.
"Heidi, geh zu den Geißen", sagte der Großvater. "Kannst ein wenig Salz mitnehmen und bei ihnen bleiben, bis ich auch komme."
Heidi verschwand sofort.
"Das Kind hätte schon vor dem Jahr und noch sicherer diesen Winter die Schule besuchen sollen", sagte nun der Herr Pfarrer; "der Lehrer hat Euch mahnen lassen, Ihr habt keine Antwort darauf gegeben; was habt Ihr mit dem Kind im Sinn, Nachbar?"
"Ich habe im Sinn, es nicht in die Schule zu schicken", war die Antwort.
Verwundert schaute