Könnt ihr nicht lesen, was über der Klingel steht: 'Für solche, die den Turm besteigen wollen'?"
Der Junge wies mit dem Zeigefinger auf Heidi und sagte kein Wort. Heidi antwortete: "Eben auf den Turm wollt ich."
"Was hast du droben zu tun?", fragte der Türmer; "hat dich jemand geschickt?"
"Nein", entgegnete Heidi, "ich möchte nur hinaufgehen, dass ich hinuntersehen kann."
"Macht, dass ihr heimkommt, und probiert den Spaß nicht wieder, oder ihr kommt nicht gut weg zum zweiten Mal!" Damit kehrte sich der Türmer um und wollte die Tür zumachen.
Aber Heidi hielt ihn ein wenig am Rockschoß und sagte bittend: "Nur ein einziges Mal!"
Er sah sich um, und Heidis Augen schauten so flehentlich zu ihm auf, dass es ihn ganz umstimmte; er nahm das Kind bei der Hand und sagte freundlich: "Wenn dir so viel daran gelegen ist, so komm mit mir!"
Der Junge setzte sich auf die steinernen Stufen vor der Tür nieder und zeigte, dass er nicht mitwollte.
Heidi stieg an der Hand des Türmers viele, viele Treppen hinauf; dann wurden diese immer schmäler, und endlich ging es noch ein ganz enges Treppchen hinauf, und nun waren sie oben. Der Türmer hob Heidi vom Boden auf und hielt es an das offene Fenster.
"Da, jetzt guck hinunter", sagte er.
Heidi sah auf ein Meer von Dächern, Türmen und Schornsteinen nieder; es zog bald seinen Kopf zurück und sagte niedergeschlagen: "Es ist gar nicht, wie ich gemeint habe."
"Siehst du wohl? Was versteht so ein Kleines von Aussicht! So, komm nun wieder herunter und läute nie mehr an einem Turm!"
Der Türmer stellte Heidi wieder auf den Boden und stieg ihm voran die schmalen Stufen hinab. Wo diese breiter wurden, kam links die Tür, die in des Türmers Stübchen führte, und nebenan ging der Boden bis unter das schräge Dach hin. Dort hinten stand ein großer Korb und davor saß eine dicke graue Katze und knurrte, denn in dem Korb wohnte ihre Familie und sie wollte jeden Vorübergehenden davor warnen, sich in ihre Familienangelegenheiten zu mischen. Heidi stand still und schaute verwundert hinüber, eine so mächtige Katze hatte es noch nie gesehen; in dem alten Turm wohnten aber ganze Herden von Mäusen, so holte sich die Katze ohne Mühe jeden Tag ein halbes Dutzend Mäusebraten. Der Türmer sah Heidis Bewunderung und sagte: "Komm, sie tut dir nichts, wenn ich dabei bin; du kannst die Jungen ansehen."
Heidi trat an den Korb heran und brach in ein großes Entzücken aus.
"Oh, die netten Tierlein! Die schönen Kätzchen!", rief es ein Mal ums andere und sprang hin und her um den Korb herum, um auch recht alle komischen Gebärden und Sprünge zu sehen, welche die sieben oder acht jungen Kätzchen vollführten, die in dem Korb rastlos übereinanderhin krabbelten, sprangen, fielen.
"Willst du eins haben?", fragte der Türmer, der Heidis Freudensprüngen vergnügt zuschaute.
"Selbst für mich? Für immer?", fragte Heidi gespannt und konnte das große Glück fast nicht glauben.
"Ja, gewiss, du kannst auch noch mehr haben, du kannst sie alle zusammen haben, wenn du Platz hast", sagte der Mann, dem es gerade recht war, seine kleinen Katzen loszuwerden, ohne dass er ihnen ein Leid antun musste.
Heidi war im höchsten Glück. In dem großen Hause hatten ja die Kätzchen so viel Platz, und wie musste Klara erstaunt und erfreut sein, wenn die niedlichen Tierchen ankamen!
"Aber wie kann ich sie mitnehmen?", fragte nun Heidi und wollte schnell einige fangen mit seinen Händen, aber die dicke Katze sprang ihm auf den Arm und fauchte es so grimmig an, dass es sehr erschrocken zurückfuhr.
"Ich will sie dir bringen, sag nur, wohin", sagte der Türmer, der die alte Katze nun streichelte, um sie wieder gut zu machen, denn sie war seine Freundin und hatte schon viele Jahre mit ihm auf dem Turm gelebt.
"Zum Herrn Sesemann in dem großen Haus, wo an der Haustür ein goldener Hundskopf ist mit einem dicken Ring im Maul", erklärte Heidi.
Es hätte nicht einmal so viel gebraucht für den Türmer, der schon seit langen Jahren auf dem Turm saß und jedes Haus weithin kannte, und dazu war der Sebastian noch ein alter Bekannter von ihm.
"Ich weiß schon", bemerkte er; "aber wem muss ich die Dinger bringen, bei wem muss ich nachfragen, du gehörst doch nicht Herrn Sesemann?"
"Nein, aber die Klara, sie hat eine so große Freude, wenn die Kätzchen kommen!"
Der Türmer wollte nun weitergehen, aber Heidi konnte sich von dem unterhaltenden Schauspiel fast nicht trennen.
"Wenn ich nur schon eins oder zwei mitnehmen könnte! Eins für mich und eins für Klara, kann ich nicht?"
"So wart ein wenig", sagte der Türmer, trug dann die alte Katze behutsam in sein Stübchen hinein und stellte sie an das Essschüsselchen hin, schloss die Tür vor ihr zu und kam zurück: "So, nun nimm zwei!"
Heidis Augen leuchteten vor Wonne. Es las ein weißes und dann ein gelb und weiß gestreiftes aus und steckte eins in die rechte und eins in die linke Tasche. Nun ging's die Treppe hinunter.
Der Junge saß noch auf den Stufen draußen, und als nun der Türmer hinter Heidi die Tür zugeschlossen hatte, sagte das Kind: "Welchen Weg müssen wir nun zu Herrn Sesemanns Haus?"
"Weiß nicht", war die Antwort.
Heidi fing nun an zu beschreiben, was es wusste, die Haustür und die Fenster und die Treppen, aber der Junge schüttelte zu allem den Kopf, es war ihm alles unbekannt.
"Siehst du", fuhr dann Heidi im Beschreiben fort, "aus einem Fenster sieht man ein großes, großes, graues Haus und das Dach geht so"—Heidi zeichnete hier mit dem Zeigefinger große Zacken in die Luft hinaus.
Jetzt sprang der Junge auf, er mochte ähnliche Merkmale haben, seine Wege zu finden. Er lief nun in einem Zug drauflos und Heidi hinter ihm drein, und in kurzer Zeit standen sie richtig vor der Haustür mit dem großen Messing-Tierkopf. Heidi zog die Glocke. Bald erschien Sebastian, und wie er Heidi erblickte, rief er drängend: "Schnell! Schnell!"
Heidi sprang eilig herein, und Sebastian schlug die Tür zu; den Jungen, der verblüfft draußen stand, hatte er gar nicht bemerkt.
"Schnell, Mamsellchen", drängte Sebastian weiter, "gleich ins Esszimmer hinein, sie sitzen schon am Tisch. Fräulein Rottenmeier sieht aus wie eine geladene Kanone; was stellt aber auch die kleine Mamsell an, so fortzulaufen?"
Heidi war ins Zimmer getreten. Fräulein Rottenmeier blickte nicht auf; Klara sagte auch nichts, es war eine etwas unheimliche Stille. Sebastian rückte Heidi den Sessel zurecht. Jetzt, wie es auf seinem Stuhl saß, begann Fräulein Rottenmeier mit strengem Gesicht und einem ganz feierlich-ernsten Ton: "Adelheid, ich werde nachher mit dir sprechen, jetzt nur so viel: Du hast dich sehr ungezogen, wirklich strafbar benommen, dass du das Haus verlässt, ohne zu fragen, ohne dass jemand ein Wort davon wusste, und herumstreichst bis zum späten Abend; es ist eine völlig beispiellose Aufführung."
"Miau", tönte es wie als Antwort zurück.
Aber jetzt stieg der Zorn der Dame. "Wie, Adelheid", rief sie in immer höheren Tönen, "du unterstehst dich noch, nach aller Ungezogenheit einen schlechten Spaß zu machen? Hüte dich wohl, sag ich dir!"
"Ich mache", fing Heidi an—"Miau! Miau!"
Sebastian warf fast seine Schüssel auf den Tisch und stürzte hinaus.
"Es ist genug", wollte Fräulein Rottenmeier rufen; aber vor Aufregung tönte ihre Stimme gar nicht mehr. "Steh auf und verlass das Zimmer."
Heidi stand erschrocken von seinem Sessel auf und wollte noch einmal erklären: "Ich mache gewiss"—"Miau! Miau! Miau!"
"Aber Heidi", sagte jetzt Klara, "wenn du doch siehst, dass du Fräulein Rottenmeier so böse machst, warum machst du immer wieder 'miau'?"
"Ich mache nicht, die