Joachim Ringelnatz

Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band)


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Zu ihm kamen auch die Flößer, wenn sie wegen Sturm die Fahrt unterbrechen mußten. Denn die Düna konnte sehr böse sein. Sie trugen Wasserstiefel und dicke Schafspelze und kauften bei Abramowitsch Kringel. Dann lagerten sie sich am Ufer, zündeten nach herkömmlichem Strandrecht ein Reisigfeuer an und kochten Tee. Die Düna barg schon bei ruhigem Wetter tückische Stromschnellen und Strudel.

      Ich traf den Fischer Mathison, wie er Angeln einzog. »Fische nicht gebissen«, sagte er, »Mond scheint. Fische schlafen, wenn Mond scheint.« Mathison war schon nahe den Fünfzigern, und nun mußte er zehn Werst weit zu Fuß gehen, um von der russischen Polizei eine Prügelstrafe zu empfangen. Weil man ihn kürzlich in Trunkenheit erwischt hatte. Mathison war auch ein geschickter Tischler und baute Kanus.

      Ich hatte eine Sanatoriumsballade verfaßt. Die trug ich mit Erfolg bei einer der engeren Gesellschaften vor, die bald in Ingeborgs Wohnung, bald im Hause des Barons oder im Kontor oder sonstwo improvisiert wurden.

      Es wurde mir zum Sport, jeden Mittag mit einer anderen Krawatte zu erscheinen und dazu eine entsprechende Blume im Knopfloch zu tragen. Auch half ich Ingeborg gern, wenn sie die Blumen für die Mittagstafel wählte und arrangierte. In dem üppigen Garten wuchs alles, was Land und Zeit zu geben vermochten. Obst und Beeren konnte ich pflücken, soviel mir behagte. Manchmal zupfte ich mir ein frisches Salatblatt ab, bestrich es mit Butter und salzte es. Das schmeckte gut.

      Ich fuhr Herrn und Frau Agricola im Segelboot spazieren.

      Auf Anregung Ingeborgs wurde ein Wohltätigkeitsfest für ein achtjähriges, musikalisch begabtes Judenmädchen gegeben. Wir maskierten uns alle. Ingeborg erschien als Sektflasche mit wechselnden Etiketts. Mathison hatte das Kostüm geschickt aus Pappe gefertigt. Der russische Doktor war als Dame verkleidet, das heißt, er hatte alles, was er an Damenkleidern erwischen konnte, unlogisch übereinander angezogen. Nun war er so dick, daß er auf zwei Sesseln sitzen mußte. Jeder hatte sich etwas Kurioses ausgedacht. Der Kaufmann Behrends aus Petersburg brachte einen Toast auf das Haus Nolcken aus. Das jüdische Wunderkind spielte Mendelssohn und »Die Spieluhr«. Die finnischen Masseusen Marta und Hilja führten einen Nationaltanz auf. Es tat sich was. Und die Baronin schenkte dem Judenkind noch extra ein dressiertes Huhn.

      In solch reicher Freiheit und süßem Nichtstun spannen und verstrickten sich natürlich allerlei Liebesfäden. Ich überraschte Wera, als sie auf der Treppe den hinkenden Studenten Werschisloff küßte. Fräulein Kronmann, die mir russischen Unterricht gab, fing an, mit »Ja wosch lublu«. Auch Fräulein Matern zeichnete mich aus. Und am Springbrunnen belauschte ich – –.

      Ich fuhr mit der Baronin in einem zweirädrigen Wagen nach Friedrichstadt. Tipsi jagte vor uns her und biß einen lettischen Bauern ins Bein. Der forderte eine neue Hose. Aber wir verstanden kein Lettisch und rasten weiter. Es gab auf dem Weg ein paar schwierige Passagen. Ich hatte Angst, daß der Wagen umkippte. Ich hatte auch jedesmal Angst, wenn der Jagdwagen auf der Fähre über die Düna gerudert wurde. Die Fähre war nicht viel breiter als der Wagen und hatte nur eine zerbrechliche Barriere. Die Pferde scheuten vor dem Wellenschlag. Es lag die Gefahr nahe, daß sie Wagen und Menschen in die Tiefe rissen. Ich glaube, daß es mir sonst nicht an Courage fehlte. Aber wenn es sich um Pferde handelte, zeigte ich mich immer ängstlich und feig.

      Die Baronin lachte mich aus. Sie selbst war von Jugend auf mit Pferden vertraut. Wenn ein Pferd erkrankte oder wenn eine Kuh kalbte, ging sie selbst in die Ställe und legte mit Hand an.

      Ich schenkte Fräulein Dieckhoff zum Geburtstag ein aus Kletten geformtes »D«, das mein Porträt umrahmte. Ich hatte ja in dem reichen Hause nichts anderes zu schenken als solche kleinen erdachten Scherze, ein bißchen Unterhaltung und Zuvorkommenheit.

      Frau Dora Kurs hatte mir fünf Rubel gesandt, auch erwartete ich ein Honorar vom »März«, der meine Geschichte »Durch das Schlüsselloch eines Lebens« akzeptiert hatte. Meinen Geburtstag feierte ich verschwiegen.

      In irgendwelcher Gesellschaft ging ich mit dem Fischer Irber zum Forellenfang. Das Ergebnis von dreizehn Forellen überreichte ich der Baronin in einer mit Rosen geschmückten Gießkanne und mit einem Vers.

      Die Apfelbäume klopften mit schweren Früchten ans Fenster. Ich lag lang ausgestreckt, den Blick zum Himmel, im Boot, ließ mich dünaabwärts treiben.

      Auf dem Müffelberg hatten wir zwischen bunten Lampions einen bayrischen Abend. Bier und Radi. Ingeborgs Einfluß war oft zu erkennen: Biegemann trank mit Maß. Manchmal auch wieder Maß für Maß.

      Und tausend Blumen dufteten. Nachts quakten die Frösche, stellten Lord und Tipsi einen Igel, nagte in meiner Zimmerdecke eine Maus.

      Als ich mit Fräulein Matern spazieren ging, stürzte sie in einen Steinbruch und schlug sich ein Loch in die Schläfe. Sie nahm das aber tapferer hin, als ich wünschte. Wir ließen uns photographieren, wie ich vor ihrem Fenster ihr die Cour schnitt und der dazukommende Vater mich mit einem Stock bedrohte. Es ging heiter zu in Halswigshof.

      Als ich nachts auf leisen Sohlen zum Boot ging, erschrak ich sehr. Denn plötzlich sprangen hinter einem dunklen Gebüsch zwei Kerle vor und hoch durch die Luft. Russische Flößer turnten am Rundlauf.

      Ich ließ mich im Luftbad vom Doktor massieren. Ein Picknick in großem Stil wurde veranstaltet. Beim Pilzesuchen sprach ich mich endlich einmal mit Gretchen Saalfels aus. Das war ein niedliches, eigensinniges, aber auch eigenartiges Mädchen, ein wenig wie ein Äffchen. Sie trug sich lustig-liederlich, immer hing eins ihrer Schuhbänder lose herab. Ich nannte sie »Das possierlichappetitliche Schnupperschnäuzchen«. Aber der hübsche Mund, nach dem ich sie so nannte, war jetzt nach dem Picknick gerade über und über mit Heidelbeerkuchen verschmiert. Wir lachten zusammen. Ich machte mir einen Bart aus grauem Moos. Wir lachten zusammen. Wir flüsterten zusammen.

      Nebel lag über der Düna. Ein Segel glitt gespenstisch vorbei, knarrte leise durch den stillen Abend.

      Um Mitternacht weckte ich Seebach. »Biegemann, machst du mit? Eine Bootspartie gegen den Strom bis Friedrichstadt?« Aber Seebach wollte weiterschlafen. So zog ich allein los. Mein Proviant bestand aus einer Flasche Wodka, Limonade, Schokolade, Bonbons und Zigaretten.

      Wallende Nebel rückten die Ufer bald näher, bald ferner. Plötzlich ein Zuruf, erschreckend nah. Ein Ruder knarrte. Auf einem Floß brannte ein offenes Feuer, glitt rasch vorbei. Am großen Stein am rechten Ufer unterbrach ich die Fahrt. Ich zog das Boot ein Stück ans Land, wickelte mich in einen Regenmantel und zündete eine Pfeife an. Eine neugierige Elster besuchte mich, ich erwachte, als es schon dämmerte. Mich fröstelte. Ich stärkte mich mit Wodka und ruderte mich heiß gegen die starke Strömung. Dunkelviolett floß die Düna dahin und leise rauschend. Aber dieses leise Rauschen hörte jäh auf, und während einer unheimlichen Stille wurde mein Boot in rasendem Tempo seitwärts zurückgerissen und gegen einen Steinblock gedrückt. Ich war in einer der Stromschnellen. Nochmals versuchte ich mit höchster Kraft vorwärtszurudern. Aber ein Ruder zerbrach dabei. Es blieb nichts übrig, als das Boot am Ufer watend an der Stromschnelle vorbeizuziehen. Ich fand ein anderes Boot am Strand und stahl mir daraus einen Riemen. Dann ruderte ich weiter, mit solcher Anstrengung, daß ich dabei die ganze Schnapsflasche austrank, ohne betrunken zu werden. Ich umfuhr die Insel, die ich mir so oft als ein Geschenk vom Gouverneur erträumt hatte. Das Boot rauschte durch blühendes Schilf. Wieder mußte ich Stromschnellen durchkämpfen. Die Sonne ging auf. Raben pickten am Ufer. Ich sang und fühlte mich sehr froh ob meiner sportlichen Leistung. Kurz vor Friedrichstadt badete ich und zog meinen eleganten weißen Anzug an. Ich landete zwischen Ruderbooten und badenden Menschen, brachte mein Boot in Ordnung und meldete vom Gasthof aus meine Ankunft nach Halswigshof. Herrlich war die Rückfahrt. Ich ließ das Boot treiben, saß nahezu nackt in der heißen Sonne und trieb schnell und glatt durch die Stromschnellen.

      Was war das für ein faules, schönes Leben. Jeden Tag gab's neue Unternehmungen, neue Gesellschaften. Zur Abwechslung beizutragen, war meine einzige Aufgabe. Ich errichtete im Park ein Raritätenkabinett, und ich malte ein Gemälde mit Fliegenleim, das erst durch Fliegenleichen zur Geltung kam. Vier polnische reisende Musikanten meldeten sich, wohnten vier Tage auf dem Gut und unterhielten uns während der Mahlzeiten von der Veranda her mit Musik. Immer hatte irgend jemand Geburtstag. Man kam aus den Festlichkeiten nicht heraus.

      Ich