kroch er darauf, stellte fest, dass es abwärts ging, obwohl er sich sonst auf einer Ebene vom Schiff zum Steg bewegt hatte.
Nach gut drei Metern Unsicherheit packten seine Hände die Reling des Schiffes. Er sprang an Bord und stürzte sofort zur Seite, rollte, bis ihn die Schiffswand schlug.
Er versuchte zu Atem zu kommen.
Dann wurde ihm seine Situation bewusst.
„Palla-Dung“, schrie er seine Verzweiflung hinaus.
Er saß in der Falle.
Das Schiff lag im Trocknen auf Schlagseite.
Er sprang über die Reling und landete im Schlamm, dem einstigen Meeresboden. In einigen verbliebenen Pfützen brodelte Wasser. Er umrundete den Schiffsrumpf.
Wie weit hatte sich das Meer zurückgezogen?
Ein Tsunami. Dieser Gedanke schreckte ihn auf. Doch er schob ihn gleich wieder beiseite.
Es gab keine tektonischen Verwerfungen auf Rannuiemmi. Keine Platten, die Erdbeben oder Seebeben auslösen konnten. Das fehlende Wasser musste einen anderen Grund haben.
Schritt für Schritt entfernte Macon sich vom Schiff.
Je weiter er kam, umso klarer wurde die Sicht, bis er endlich das Meer sah. Gut zwanzig Meter lagen zwischen Wasser und Steg. Sollte das Meer nicht freiwillig zurückkehren, nutzte ihm das Schiff nichts. Höchstens als Unterschlupf. Doch retten konnte er sich damit nicht.
Im Schlickboden des freigelegten Meeresuntergrunds bewegte sich etwas.
Macon, der gelernt hatte, dass es im Ozean Ranniuemmis nur Algen, aber keine Fische oder Krebse gab, starrte verwundert auf die sich windende Masse. Sie erinnerte ihn an Darstellungen von Schlangennestern. Unterarmdicke Tentakel, die sich umeinander wanden. Plötzlich stoppte die Bewegung.
Macon wich sicherheitshalber zurück und beschloss, in einer Kabine des Schiffs Schutz zu suchen. Dort hatte er auch zu Beginn seiner Schicht die Armilla für den LR-Kontakt deponiert. Er würde mit der Zentrale reden müssen. Vielleicht gab es doch noch einen Ausweg.
Nach wenigen Schritten im schwergängigen Schlamm verdichtete sich der Nebel und Macon roch wieder den süßlich schwefeligen Duft.
Er erreichte das Schiff und wuchtete sich über die Reling an Bord. Die Schieflage war ärgerlich, aber man konnte sich daran gewöhnen.
In der Ferne zischte es laut und penetrant. Es erinnerte an das Pfeifen eines Überdruckventils einer Gaseinheit.
Macon fummelte das Sicherheitsschloss zur Kabine auf. Warum hatte er es überhaupt benutzt? Vorschriften.
Dabei war er der einzige Mensch auf dem Kontinent Nicäa. Wer also hätte einbrechen können?
Seine Finger glitten, feucht vom Schweiß, immer wieder vom Zahlenschloss ab.
Endlich klickte es. Die gespeicherte Kombination gab den Mechanismus frei. Macon schob die Tür auf.
Hinter sich hörte er ein schabendes Geräusch.
Er wandte sich um, glaubte, einen sich bewegenden Schatten erkennen zu können.
„Ist da wer?“, fragte er und war sich der Unsinnigkeit seines Rufes doch sofort bewusst.
Da!
Auf dem Boden!
Macon lehnte sich an den Rahmen der Tür und versuchte seinen Blick zu fokussieren.
Zuerst dachte er an ein Tau. Allerdings bewegte es sich eigenständig, wie ein Ast im Wind. Hin und her. Aber die Richtung schien eindeutig, auf ihn zu.
Macon kletterte in die Kajüte, schob die Tür zu, doch sie ließ sich nicht ganz schließen. Vielleicht hatte sie in der Feuchtigkeit gelitten oder es lag an der Schlagseite des Schiffes.
Er stürzte sich auf seinen Schrank, riss ihn auf und nahm die Armilla heraus, schnallte sie sich um das Handgelenk und betätigte den Einschaltknopf.
Das Gerät suchte nach der Verbindung zum LR-Netz und verkündete nach wenigen Sekunden: „Kein Netz vorhanden!“
So sehr die Entwickler des Sprachgenerators auch an einer möglichst optimierten angenehmen Stimmlage gearbeitet hatten. Diese drei Worte hätten Macon nicht härter treffen können.
Seine letzte Chance auf Rettung war dahin.
Er schluchzte.
Dann hörte er wieder das schabende Geräusch.
Er schaute auf.
Durch den Spalt in der Tür zwängte sich eine Art armdicker Wurm. „Es gibt keine Tiere auf Rannuiemmi außer den Pallantauriern“, flüsterte Macon, der gleichzeitig fasziniert wie angewidert dem Eindringling zusah. Kein erkennbarer Kopf. Und die Bewegungen erinnerten eher an die eines Regenwurms.
Das Ziel der Kreatur hockte am Ende der Kajüte und suchte hektisch nach irgendetwas, mit dem es sich verteidigen konnte.
Er musste das Geschehen der Zentrale melden, doch die Armilla erleichterte ihn nicht mit der Meldung, dass es doch wieder ein Netz gäbe.
Der Wurm schien kein Ende zu nehmen. Immer mehr des Körpers zwängte sich in die Kabine, pulsierte auf Macon zu.
Es blieb ihm kein Ausweg. Er trat mit seinem rechten Fuß zu.
Die Kreatur wich blitzschnell aus und wickelte sich dann plötzlich um Macons Knöchel.
Er spürte ein Zerren.
Macon schrie in Panik. Er schnappte nach Luft, roch wieder diesen süßlichen Duft, dann stach ihn etwas in den Oberschenkel. Er sah mit Entsetzen, dass sich der Wurm um sein komplettes Bein gewickelt hatte.
Nun traten die stechenden Schmerzen am ganzen Bein auf. Tausende Nadeln, die gleichzeitig in ihn drangen.
Macon schloss mit seinem Leben ab.
Eine Hitzewelle überrollte seinen Körper.
Schließlich begann er zu schweben. Es war so leicht, so kühl, so anheimelnd.
Sabi saß neben ihm. Am Kai des Hafens von Mount Elias. Ranu schickte sich an, im Meer zu versinken.
Eine angenehme Brise wehte vom Wasser zu ihnen herüber.
„Ist es nicht schön?“, fragte Sabi.
„Ja“, entgegnete Macon.
„Es ist unsere neue Heimat.“
„Ja.“
„Hier werden wir unsere Kinder großziehen.“
Kinder? Er wollte Kinder mit Sabi haben.
„Machst du ein Foto von mir, Liebster?“, hörte Macon Sabi fragen, während die Welt sich um ihn herum auflöste und er seinen letzten Atemzug tat.
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Über die Jugend Genba Sumahamis ist nicht viel bekannt. Folgende Dateien können jedoch gesichert ihrer Studienzeit zugeordnet werden:
Auszug aus – Hausaufgabe im Fach Lebendige Geschichte –
„Über das Leben auf ruralen Kolonien“
Von Genba Sumahami, 1. Trimester im Jahr 2811
Die romantisierenden Vorstellungen von Raumfahrt und der hochtechnisierten Lebensweise der Menschheit im Menschenraum sind auf den Welten der frühen Kolonisierungswelle weit verbreitet.
Was es bedeutet, eine neue Heimat zu besiedeln, ist den meisten Menschen nicht bewusst. Die mediale Aufbereitung in Holo-Vids-Soaps und Spielfilmen ist auch nicht gerade dazu angetan, ein realistisches Bild zu malen.
Rund viertausend Milliarden Mäuler müssen ernährt werden, und so wundert es nicht, dass zwei Drittel der Heimatwelten landwirtschaftlich geprägt waren.