Arno Endler

Apokalypse Pallantau


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die Elite, bestehend aus der Verwaltung, Händlern, Raumfahrern und Technikern. Weiter draußen lebten die Menschen sehr einfach, verfügten manchmal nicht einmal über die simpelsten technischen Hilfsmittel. Ein Siedlerleben, wie es auch aus den uralten historischen Aufzeichnungen auf Ursprung bekannt wurde.

      Rannuiemmi, der 5. von 12 Planeten im Aspix-System, stellt keine Ausnahme dar. Die 212. Heimat des Menschenraums verfügt über keinen Mond, umkreist in 625 Standardtagen die Sonne Ranu. In 23 Standardstunden rotiert er um die eigene Achse. Seine Schwerkraft und Größe entsprechen nahezu der des Ursprungs.

      Er wurde 2625 entdeckt und zehn Jahre später zur Besiedlung freigegeben, da ein Terraforming nicht notwendig war.

      2642 begann die erste Welle der Besiedlung auf dem Hauptkontinent Pallantau. Die zweite, unbesiedelte Landmasse wurde Nicäa genannt.

      Rannuiemmi ist zu 84 Prozent von Meeren bedeckt und verfügt über einen Raumport auf dem Mount-Elias-Plateau.

      Im Jahr 2700 ergab die Volkszählung eine Einwohnerzahl von 22.367, die meisten von ihnen waren einfache Farmer.

      Auszug aus – Hausarbeit im Fach Sozialphilosophie –

      „Über die Parentes“

      Von Genba Sumahami, 2.Trimester im Jahr 2812

      Es gibt wohl nur wenige Eingeweihte außerhalb des Kreises der Parentes, die mit Sicherheit beurteilen konnten und können, ob die Parentes noch Menschen oder darüber hinaus evolutioniert sind.

      Nur vereinzelte Informationen halten einem Faktencheck stand.

      Wer sind die Entscheidungsträger oder, wenn man es so sagen will, die Herrscher im Menschenraum?

      Es sind die Parentes.

      Wo residieren die Parentes und ihre Familien?

      Auf Ursprung, dem Planeten, dem die Menschheit entstammte.

      Alle Fragen, die sich die durchschnittlichen Menschen sonst stellen, bleiben unbeantwortet. Oder man spekuliert, fantasiert oder mystifiziert.

      Niemand weiß mit Bestimmtheit, in welchen Erscheinungsformen Parentes auftreten können. Die Anzahl der unterschiedlichen Phänotypen tendiert gen unendlich.

      Natürlich treffen die Primusse der Kolonien mit Parentes zusammen. Doch sie berichten nicht allzu viel, was die Herrscher angeht. Aus dem wenigen, was den Weg in Aufzeichnungen gefunden hat, schließe ich, dass die Parentes wirksam verhindern, dass die Primusse mehr erzählen. Es scheint beinahe so, als wenn ein Schleier über jene seltenen Begegnungen gedeckt, das Gedächtnis eines Primus getrübt oder seine Wahrnehmung eingeschränkt würde.

      Parentes reisen zumeist in ihren eigenen Privatraumern und erlauben nur in Ausnahmefällen, dass man sie persönlich kontaktiert.

      Untereinander jedoch pflegen sie einen regen Gedankenaustausch.

      Dabei spielt die räumliche Entfernung zwischen ihnen oder der zeitliche Ablauf des Gesprächs keine Rolle.

      Die Parentes leben für den Diskurs, lieben Dialog, Diskussion und Kommunikation unter ihresgleichen.

      In dem ausgehöhlten Mond des URSPRUNGS speichern Milliarden von Datenspeichern alle Konversationen der Parentes, damit sie theoretisch jederzeit für die Nachwelt abrufbar bleiben.

      Jedermann ist es erlaubt, diese Aufzeichnungen anzufordern. Niemandem wurde bislang eine Anfrage verweigert.

      So darf sich jeder sein eigenes Bild von den Parentes machen.

      – Über einen Aspekt moderater Langeweile –

      Die Individual-Cams liefern zwei Drei-D-Hologramme, die nebeneinander abgespielt werden.

      Zu sehen ist auf der rechten Seite ein Tal, umgeben von schroffen Felsformationen, in dem ein Gebirgsbach einen kleinen See speist. Der Standort des Beobachters liegt deutlich erhöht auf einem Plateau, dahinter eine Fensterfront, die sich wie die Absperrung eines Höhleneingangs in den Fels zu graben scheint. Was sich hinter der Fensterfront befindet, verbleibt im Dunkeln, da die Scheiben getönt sind und die Sonneneinstrahlung zusätzlich spiegelt.

      Am Himmel treiben vereinzelt bauschige Wolken, die an den Rändern von Böen zerfranst werden. Der Wind jagt die Wolken schnell über den Tageshimmel. Eine Sonne ist nicht zu sehen, aber es ist sehr hell, die Luft klar, die Sicht außerordentlich gut.

      Der Beobachter tritt an den Rand des Plateaus, bleibt vor einer fünfzig Zentimeter hohen Brüstung stehen.

      Man sieht, dass sich direkt dahinter ein mehrere hundert Meter tiefer Abriss im Berg anschließt. Die Tonaufnahme lässt erahnen, dass es auch hier stürmt, so laut klingt das Sausen und Pfeifen.

      Der Beobachter schwankt nicht im Wind. Sein Körper ist nicht zu sehen.

      Das linke Hologramm bietet deutlich weniger Einzelheiten in der Videodatei.

      Hier steht der Beobachter auf einem freien Feld. Die Pflanzen, die an dieser Stelle einmal wuchsen, sind abgeerntet. Einige Reste der Stängel vermodern im Matsch.

      Der schlammige Boden ist voller Pfützen. Die Sichtweite beträgt nur rund zehn Meter, dann verschwindet alles im Grau des Bindfadenregens.

      Auch in dieser Video-Aufzeichnung ist der Körper des Beobachters nicht sichtbar.

      Der Diskurs beginnt mit Worten aus dem Regenhologramm.

      „Ich grüße dich, Freund. Wie ich sehe, liebst du noch immer die Einsamkeit.“ Der Beobachter des Regenhologramms sieht natürlich die Bilder der anderen Übertragung.

      „Soporo. Freund. Gleichfalls grüße ich dich. Augenscheinlich genießt du es nach wie vor, dem Regen standzuhalten. Wann wirst du dein Domizil wieder aufsuchen?“

      „Ach, Anodyneon. Du weißt, wie sehr ich in den Tag lebe. Es ist das Hier und Jetzt, was wichtig ist. Jeden Regentropfen möchte ich zählen, ihn streicheln, denn er ist einzigartig auf der Welt.“

      „Man könnte gleichwohl sagen: Du liebst es, nass zu werden. Unter Umständen sogar, dass du zu gleichgültig bist, um dir einen Schutz vor dem Niederschlag zu suchen.“

      Das Hologramm im Regen erzittert, als dieser Beobachter während des Lachens zuckt.

      „Du bist mein innigster Freund und mein vehementester Kritiker, Anodyneon. Was würde ich mich ohne deine scharfe Zunge langweilen.“

      „Ist dem so?“

      „Aber natürlich. Wie sehr vermisse ich unsere gemeinsame Zeit auf dem Einhundertsiebzehnten. Wie wir erkundeten, stritten, Entscheidungen trafen und die Schicksale von vielen beeinflussten. Wohin sind die Jahre gegangen?“

      „Du zeigst einen ausgeprägten Hang zur Sentimentalität, Soporo. Könnte es vielleicht sein, dass die Stunde nahe ist, dein Leben zu ändern?“

      „Erneut?“

      „Es ist Dekaden her, dass du zum Ursprung zurückkehrtest. Wie lange verharrst du da aktuell im Regen?“

      „Ich weiß es nicht, Anodyneon. Ich vergaß, die Zeit zu stoppen, verlor mich in meinen Gedanken und Wonnen.“

      „Das sieht dir ähnlich. Dennoch möchte ich darauf hinweisen, dass wir nicht nur für die eigenen Genüsse geboren wurden. Ich schlage ein Treffen vor, liebster Soporo. Wir beide. Du wählst den Ort.“

      „Gibt es außer der Sorge um meinen emotionalen Zustand noch weitere Gründe für deinen Vorschlag?“

      „In der Tat.“

      „Du siehst mich erstaunt.“

      „Ich bitte dich.“

      „Einverstanden, Anodyneon. Sobald der Regen endet. Die fallenden Regentropfen komponieren eine ganz eigene, nicht wiederholbare Symphonie. Ein exquisiter Genuss. Ich möchte diese Darbietung nicht missen.“

      „Es ist die Langeweile, an der du dich ergötzt, nicht wahr?“

      „Möglicherweise.“