Leo Lukas

Perry Rhodan 3098: Letzte Rast bei Mu Sargai


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gravierende Unterschiede.

      Nach realer Lebenszeit war der Liegende um Jahrzehntausende älter. Der Jüngere verfügte zwar – als perfektes Bioplikat – über dessen gesamtes Wissen und all seine Erfahrung. Aber er verstand sich nicht einfach als originalgetreue Nachbildung, sondern mittlerweile als stark optimierte Version.

      Weshalb er seinem Namen eine Vorsilbe hinzugefügt hatte. Seither nannte er sich Opt-Atlan.

      *

      Die dritte Person im mit Medotechnik vollgestellten Raum war Jasmyne da Ariga, schlank und hochgewachsen, mit hüftlangen weißen Haaren und für eine Arkonidin untypischen grünen Augen.

      Auch sie war ein Bioplikat, aber ein ganz besonderes. Bei ihr handelte es sich um einen echten Prototypen, gewissermaßen um die Erstgeborene der Milchstraße.

      Mit heftigen Armbewegungen wischte sie Holofenster zur Seite, die sie mehrlagig umschwirrt hatten wie vom Wind aufgewirbelte Ahornblätter.

      »Zu viele Detailinformationen!«, rief sie ungehalten, an die Medopositronik gewandt, die alle Ergebnisse der zahlreichen Diagnoseapparate verknüpfte. »Fass mir in einfachen Worten zusammen, wie es um Atlan steht!«

      »Er wurde aus der Suspension zurückgeholt und liegt nun in tiefer, sehr spezieller Betäubung«, sagte der Rechner, der mit Opt-TOIO, dem ebenfalls erheblich aufgewerteten zentralen Bordgehirn, verbunden war.

      »Das weiß ich. Aber was ist das Spezielle daran?«

      »Motorik und Sinnesorgane sind lahmgelegt. Jedoch arbeiten einige Areale seines Gehirns mit außergewöhnlich hoher und sprunghafter Intensität.«

      »Warum?«

      »Über die Gründe kann zum aktuellen Zeitpunkt nur spekuliert werden. Das Elektroenzephalogramm zeigt, dass sich Atlans Gehirn in einem nie da gewesenen Zustand befindet. Gamma-Wellen, Delta-, Theta-, Alpha- und Beta-Wellen wechseln sich in einem chaotischen Muster ab.«

      »Und das bedeutet?«

      »Die Deltawellen im Bereich von null Komma vier bis drei Komma null Hertz stehen für Tiefschlaf, Trance, Tiefenhypnose; die Thetawellen von drei bis acht Hertz für Meditation und tiefe Entspannung, Alphawellen zwischen acht und zwölf Hertz für leichte Entspannung, die bis einundzwanzig Hertz anschließenden Betawellen für Aufmerksamkeit und Intelligenzleistung. Die Hirnwellen von einundzwanzig bis achtunddreißig Hertz entsprechen permanenter Alarmbereitschaft. Der Gamma-Bereich zwischen vierzig und achtzig Hertz schließlich verarbeitet die Sinneswahrnehmung.«

      »Was das Durcheinander der verschiedenen Wellenarten bei Atlan bedeutet, will ich wissen!«

      »Mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit liegt bei Atlan da Gonozal ein Zustand des introspektiven Hyperbewusstseins vor, einer einzigartigen, spezifischen Mischung aus Traum, Trance und Hellwachsein.«

      »Woraus resultiert dieser Zustand? Stellt er eine lebensgefährliche Bedrohung dar?«

      »Das«, antwortete die Positronik, »ist zum gegebenen Zeitpunkt leider gänzlich unbekannt.«

      *

      Jasmyne da Ariga war eine Mnemo-Mediatorin. Seit Längerem bemühte sie sich, das Gehirn des ursprünglichen, »alten« Atlan zu erforschen und zu erschließen.

      Dies gestaltete sich aus mehreren Gründen schwierig. Einige Gedächtnisinhalte waren unzugänglich, gleichsam verschüttet; und zwar just solche, die für das Trajekt von entscheidender Bedeutung sein könnten.

      Es handelte sich um jene Inhalte, die von den Kosmokraten gelöscht worden waren: Atlans Erinnerungen daran, was er einst in jenem ominösen Bereich hinter den Materiequellen erlebt hatte.

      Mangels jeglichen Wissens darüber war und blieb ungeklärt, ob Atlan damals –, im Jahr 3601 AZ und 14 NGZ – aus der Namenlosen Zone tatsächlich in die Sphäre der Kosmokraten gelangt war.

      Auf ANNDRIM, der Raumstation im Orbit von Andrabasch, dem einzigen Planeten innerhalb der Synchronie, hatte man ihm erklärt, seine ÜBSEF-Konstante verfüge über einen »septadimensionalen Schatten«. Ein solcher sei bezeichnend für all jene, die sich schon hinter den Materiequellen oder den -senken aufgehalten hätten. Der Vektor deute auf Erstere hin; jedoch sei die Spur einer Manipulation feststellbar.

      Der Pilot eines Atopenraumschiffs, der sogenannte Pensor, hatte die auf ANNDRIM gewonnenen Erkenntnisse bestätigt. Außerdem deutete er an, der Raum hinter den Materiequellen sei jedenfalls grundsätzlich derselbe wie hinter den Materiesenken. Vom Standarduniversum aus gesehen befänden sich die Bereiche aber quasi auf entgegengesetzten Seiten, und der Weg dorthin sei entsprechend verschieden.

      Spielte es also keine besondere Rolle, aus welcher Richtung Atlan gekommen war?

      Nur, wenn man analog dazu glaubte, zwischen Kosmokraten und Chaotarchen bestünde kein großer Unterschied – eine Meinung, die selbstverständlich niemand vertrat, der klaren Verstands und einigermaßen bei Sinnen war.

      Jedenfalls war Atlan im Jahr 204 NGZ mit einem konkreten Auftrag der Kosmokraten zurückgekehrt, woher auch immer. Dass sie ihm einen Teil seines Gedächtnisses geraubt hatten, trug nicht gerade dazu bei, sein Vertrauen in die Hohen Mächte zu stärken.

      Was wiederum Opt-Atlan ihm sehr gut nachfühlen konnte.

      *

      »Uns läuft die Zeit davon«, sagte Jasmyne da Ariga. »Ich kann nicht warten, bis sich das EEG beruhigt hat.«

      »Du willst die Intervention trotz seines ungeklärten, potenziell kritischen Geisteszustands wagen?«

      »Ja. Eventuell wird sie mir dadurch sogar erleichtert.«

      Opt-Atlan erhob keinen weiteren Einwand. Auch er war sich des Zeitdrucks bewusst, unter dem sie standen.

      »SEMT-Haube positionieren!«, befahl Jasmyne da Ariga dem Medoservo.

      Eine Apparatur von der Form eines 30 Zentimeter hohen, aufgeschnittenen Metall-Ellipsoids mit einem eingesetzten, transparenten Visier aus Panzertroplon senkte sich auf Atlans Kopf. Dünne Tentakel fuhren aus der Liege und fixierten das Ei mit einer Feinfühligkeit, zu der menschliche Finger kaum fähig gewesen wären.

      Jasmyne da Ariga setzte ebenfalls eine SEMT-Haube auf. Auch diese Geräte und ihre paramechanischen Schnittstellen waren von den Ingenieuren des Schiffsverbunds optimiert worden.

      Simultane Emotio- und Mnemo-Transmission war eine Weiterentwicklung der SERT-Technik, wie sie unter anderem terranische Emotionauten benutzten. Während diese Mentalimpulse in positronische Steuerbefehle umwandelte, ermöglichte SEMT die Übertragung der Gedanken und Gefühle einer Person auf eine andere.

      Die Erforschung dieser Technologie hatte zumindest offiziell lange Zeit brachgelegen, aus moralischen Gründen: Das gewaltsame Eindringen in die Gedankensphäre eines Individuums galt als fragwürdig.

      1514 NGZ war das Verfahren, das manche auch »technische Telepathie« nannten, trotzdem eingesetzt worden, um Attilar Leccores Erinnerungen an die von ihm wahrgenommene ÜBSEF-Konstante des Atopen Mattan Addaru Dannoer zu visualisieren. Mitte des 16. Jahrhunderts NGZ war die SEMT-Technologie dann bereits so allgemein zugänglich, dass sie sogar für die Partnersuche verwendet wurde. Kontaktwillige Personen nahmen Sinneseindrücke des eigenen Körpers auf, bis hin zu Geruch und Hautbeschaffenheit, und gaben sie frei, um eventuell Interessierten vermitteln zu können, wie sie rochen oder sich anfühlten.

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      Illustration: Dirk Schulz

      Gleichwohl barg das Verfahren nach wie vor Risiken. Die Gefahr bestand, dass empfangene Gedanken und Gefühle des »Senders« jene des »Empfängers« überlagerten, sodass dieser einem erhöhten sensorischen Stress ausgesetzt wurde.

      Dieser Nebeneffekt konnte durch Eingewöhnung überwunden werden. Danach war der Empfänger in der Lage, die fremden Gedanken quasi zu sortieren.

      Dies galt jedoch nur