Er hatte weniger mit Sport als mit Bildung und Kultur zu tun, zwei Themen, die nach und nach zu einem Teil von Bondys DNA werden“, erklärt die sozialistische Bürgermeisterin.
„Da ist zum Beispiel die Maîtrise de Radio France, der Kinderchor von Radio France. 1946 in Paris gegründet, war er nach den Unruhen von 2005 eine der wenigen Institutionen, die sich mit der Frage befassten, was man für die Banlieues tun könnte. Vor elf Jahren beschloss man, hier in Bondy ein zweites Hauptquartier einzurichten, mit dem Ziel, Kindern aus dem Norden die Chance zu geben, Musik zu entdecken, mehr über sie zu erfahren und auf hohem Niveau zu musizieren. Im gleichen Jahr, 2005, wurde außerdem der Bondy Blog ins Leben gerufen, der über die Geschichte der Diversität in Frankreich erzählt, und seit 2009 haben wir hier eine Zweigstelle der École Supérieure de Journalisme de Lille, wo Kinder, deren Eltern es sich nicht leisten können, sie auf renommierte Universitäten zu schicken, das journalistische Handwerk erlernen. Wir richteten die ,Cafés philos‘ ein und die Université Populaire Averroès, an der sich 1.900 Menschen angemeldet haben. Wer hätte je gedacht, dass es in einer Arbeiterstadt wie Bondy so viele Leute gibt, die sich für Kurse interessieren, die sich mit mathematischen Problemen, Kunstgeschichte, Musik im Laufe der Jahrhunderte und Astronomie beschäftigen? Dass 1.900 Menschen an die Uni gehen, nicht um einen Abschluss zu machen, sondern aus Freude am Lernen, ist wirklich wunderbar.“
Aber das ist noch nicht alles: „Es gibt noch etwas, das uns sehr stolz macht, nämlich unsere Erfolgsquote beim Baccalauréat: 87 Prozent in einer Stadt, von der man, bezogen auf sozio-professionelle Kategorien nationaler Bildung, nicht erwarten würde, 73 Prozent zu übertreffen. Dazu kommt, dass noch vor zehn bis fünfzehn Jahren Schüler aus Bondy, die das Bac schafften, sich bestenfalls für ein BTS [berufsorientiertes Kurzstudium] entschieden. Sie beschränkten sich selbst, glaubten, kein längeres Studium aufnehmen zu können. Dank der ehrenamtlichen Arbeit von Lehrern und Förderprogrammen an Instituten wie Sciences Po und der Université Pierre-et-Marie-Curie, wissen sie heute, dass auch sie Erfolg haben können, dass man es auch in der Banlieue packen kann wie überall sonst, wie an den besten Hochschulen von Paris.“
Und Kylian Mbappé ist der lebende Beweis für diesen Erfolg? „Kylian ist der Stolz der ganzen Stadt. Wir sind unheimlich stolz darauf, der Metropolregion Grand Paris und dem ganzen Land einen so wunderbar begabten jungen Mann gegeben zu haben, der sogar in Menschen wie mir, die eher auf Rugby stehen, die Leidenschaft für den Fußball geweckt hat! Er ist ein Junge, der Bondy nicht vergessen hat. Er ist ein Botschafter für die Region und der lebende Beweis, dass dies tatsächlich die Stadt ist, in der alles möglich ist.“
„Er bildet die Speerspitze“, sagt Oswald Binazon, der Zeugwart des Stadions. „Aber wir haben so viele Sportler, die es im Handball, Rugby, Fechten, Judo und Fußball ganz nach oben geschafft haben. Wir haben außerdem Mannschaften wie die Basketballer der AS Bondy, die 1998 den Titel in der National 1 holten, oder auch die Handballerinnen, die in die Division 1 aufgestiegen sind. Bondy ist eine sportverrückte Stadt. Der frühere Bürgermeister Claude Fuzier gründete die Association Sportive de Bondy im Jahr 1978, heute umfasst sie 26 Sportarten und zählt 3.700 Mitglieder. Die AS Bondy geht an die Schulen, um junge Menschen für den Sport zu begeistern. Es gibt Handball- und Basketballfelder auf den Spielplätzen. Wir haben eine Tennisanlage, zwei Schwimmbecken, fünf Sporthallen und fünf Multisportanlagen in der Stadt, darunter diejenige, die von Nike im Jardin Pasteur eröffnet wurde. Wo sich das Herz des Sports in Bondy befindet? Hier, im Sportkomplex Léo-Lagrange.“
Kapitel 3
Oulala, Oulala
Um sechs Uhr abends sind keine Pfannkuchen mehr übrig. Wie jeden Mittwoch, dem Trainingstag, und jeden Samstag, dem Spieltag, hat Karima über hundert davon gemacht. Jetzt ist von ihnen keine Spur mehr zu sehen. Die kleinen Kicker, hungrig und gierig, müssen untröstlich ohne dampfenden Teller und Nutella-Schnurrbart auf die Plätze des Stade Léo-Lagrange zurücktrotten. Sie können höchstens noch etwas zu trinken oder ein paar Süßigkeiten kaufen. Aber das ist nicht das Gleiche. Neben der Snackbar steht Athmane Airouche und schlürft lächelnd einen Kaffee, den Karima zubereitet hat. Daran zumindest herrscht kein Mangel. Er begrüßt die Jungs, die Hallo sagen und ihm die Hand geben, bevor sie in die Umkleidekabine gehen. Dann zieht er los, um die Arbeit der U11-Trainer zu begutachten.
Airouche ist seit Juni 2017 Präsident der AS Bondy, für die er zuvor bereits als Spieler und auch als Trainer der U19 – ein „rebellisches Alter“ – tätig war. Vor einem grünen Graffiti mit dem Klubnamen und dem Wort „Football“ spult er einige Daten und Fakten herunter: „Wir haben 800 Mitglieder, von der U17 bis zu den Senioren. Darunter 140 Mädchen, fast doppelt so viele wie letzte Saison.“
Ob das der Kylian-Effekt ist?
„Ja, es scheint so zu sein, und leider mussten wir zahlreiche Jungs ablehnen. Wir haben nicht die Anlagen oder die Kapazitäten, so viele aufzunehmen. Wir haben zwei Fußballplätze – einer Natur-, einer Kunstrasen -, eine Futsal-Halle sowie das Stade Robert-Gazzi auf der anderen Seite von Bondy. Wir sind ein Ausbildungsverein, wir wissen, wie man mit Kindern und jungen Menschen umgeht und betrachten das als unsere Mission. Wir haben nie daran gedacht, uns anders aufzustellen, wobei ich anmerken möchte, dass wir mehr als 30 Jungen ausgebildet haben, die später Profi wurden. Allein letzte Saison wechselten fünf unserer Schüler zu PSG, Bordeaux und Monaco.“
Er ergänzt: „Wir sehen uns als Familienklub, der eine wichtige gesellschaftliche Rolle erfüllt. Wir suchen Kinder nicht nach ihren technischen Fähigkeiten aus, sondern weil wir möchten, dass sie Sport treiben, spielen und Spaß haben. Für uns macht es keinen Unterschied, ob sie aus Bondy Nord oder Bondy Süd kommen, aus einer Mittelschichts- oder Arbeiterfamilie. Von dem Moment an, da sie durch die Stadiontore kommen, sind sie, soweit es uns betrifft, angehende Fußballer. Wir haben außerdem ein Auge auf ihre schulische Ausbildung und treffen uns mit ihren Eltern und Lehrern. Wir versuchen, Werte zu vermitteln wie Bildung, Respekt vor Regeln und vor anderen sowie seriös und gut zu arbeiten. Und wir pochen darauf, wie wichtig es ist zu lernen, denn nicht jeder kann ein großer Fußballstar werden. Leider sind es manchmal die Eltern, die allzu großen Druck ausüben. Sie sind besessen von der Vorstellung, einen Fußballprofi zum Sohn zu haben. Gerade neulich erst hatte ich ein längeres Gespräch mit einem Vater. Schließlich fragte ich ihn: ,Aber wären Sie denn nicht froh, wenn aus Ihrem Sohn ein guter Anwalt würde?“
Wie steht es mit Kylian Mbappé?
„Wir reden oft über ihn, denn ein Spieler von seiner Begabung kommt in einem solchen Klub wie dem unseren vielleicht alle 30 oder 40 Jahre daher. Wegen seiner Einstellung, die er auf und neben dem Platz an den Tag legt, dient er uns als Beispiel für die Kinder. Hier im Verein sind alle stolz auf ihn, denn er ist hier groß geworden und neun Jahre geblieben.“
Karima unterbricht den Präsidenten, jemand sucht nach ihm. Er verschwindet für ein paar Minuten, dann kommt er zurück und plaudert weiter.
„Er wohnte dort drüben“, sagt Airouche mit einem Wink auf die weißen Häuser der Allée des Lilas jenseits der Stadionmauern. „Dies war sein Kindergarten“, fügt er hinzu. „Er war jeden Tag hier, immer mit seinem Vater, der damals technischer Leiter der Jahrgänge U11 bis U17 war. Kylian muss drei oder vier Jahre alt gewesen sein. Er war unser kleines Klubmaskottchen. Man sah in mit einem Ball in den Händen in die Kabine kommen, wo er sich ganz still in eine Ecke setzte, um zuzuhören, was der Trainer vor dem Spiel zu sagen hatte. Vermutlich gibt es kein zweites Kind auf der Welt, das so vielen Gesprächen gelauscht hat wie er. Gewiss gibt es keins, das so vielen technischen Erörterungen, Taktikbesprechungen, Predigten und Ansprachen zugehört hat. Und da Kylian schon immer wie ein Schwamm war, jemand, der sehr schnell lernt, hat er schon in jungen Jahren fußballerische Konzepte aufgesaugt, die andere erst Jahre später zu hören bekamen und verstanden.“
Als es drei, vier Jahre alt war, alberte das kleine Maskottchen mit seinem Vater herum, denn es wollte unbedingt bei der AS Bondy angemeldet werden. Kylian wollte mit den großen Jungs spielen. Aber Wilfrid hielt das noch für zu früh und sorgte sich, dass er ihm als Trainer zu nahe stand, um ihn richtig betreuen zu können. Einstweilen musste sich das zukünftige Wunderkind des französischen Fußballs damit begnügen, mit Gleichaltrigen auf dem Kleinfeld