die finanzielle Unterstützung meines Onkels wäre das nichts geworden«, erwiderte sie nachdenklich. »Aber du hast Recht: Früher habe ich mich eher nicht beirren lassen. Jetzt denke ich länger über die Konsequenzen meines Handelns nach. Denn ich will natürlich nicht, dass meine Familie darunter leidet, dass ich mich selbst verwirklichen kann, wie man das heute nennt.«
»Denkst du denn, die Kinder würden leiden?«
»Die Zwillinge bestimmt nicht, die würden sich über etwas mehr Freiheit eher freuen. Kevin auch nicht, solange sichergestellt ist, dass ich nicht irgendwie verschwinde. Kyra … ja, die würde es wahrscheinlich vermissen, dass ich nicht jederzeit verfügbar bin, aber sie würde sich schnell daran gewöhnen. Sie ist zwar unsere Kleine, und ein bisschen verwöhnt ist sie deshalb auch, aber sie streckt die Fühler bereits aus und beginnt, sich die Welt zu erobern. Insofern: Nein, sie würden nicht leiden, denke ich. Ein bisschen maulen würden sie, weil sie hier und da selbst mit anpacken müssten, weil Mama nicht mehr so viel Zeit hat, aber leiden würden sie nicht.«
»Und meinst du nicht, Leon wäre nach dem ersten Schock stolz auf dich?«
»Vielleicht, ja.« Plötzlich lachte Antonia und sah in diesem Moment beinahe wieder so aus wie die junge Frau, in die Ingo seinerzeit verliebt gewesen war. »Ich bin einfach ein Feigling, Ingo, so ist das.«
»Du und feige? Nie im Leben!« Ingo bat die Kellnerin um die Rechnung.
»Aber bezahlen tue ich dieses Mal«, erklärte Antonia. »Und dann sollte ich mich schleunigst auf den Heimweg machen.«
»Damit der gestrenge Gatte nicht etwa fragt, wo du so lange gewesen bist?«
Sie errötete verlegen. »Na ja, ich lüge einfach nicht gern, und ich kann es auch nicht besonders gut. Dabei habe ich in letzter Zeit schon mehrmals schwindeln müssen. Das ist übrigens der Hauptgrund, weshalb ich bald mit Leon reden werde. Ich hasse Heimlichkeiten!«
Sie verließen das Café, zum Abschied umarmten sie sich freundschaftlich.
*
»Im sechsten Monat?«, fragte Eckart Sternberg verblüfft. »Ich habe sie doch gesehen, als sie eingeliefert wurde – von einer Schwangerschaft ist mir nichts aufgefallen.«
»Mir auch nicht. Sie wollte sich zuerst ja auch nicht untersuchen lassen, aber das Ultraschallbild war eindeutig, danach hat sie dann einer gynäkologischen Untersuchung zugestimmt.«
Leon Laurin hatte seinen ersten Facharzt als Gynäkologe gemacht und sich später auch noch zum Chirurgen ausbilden lassen – es waren die beiden Fachrichtungen, die ihn von Anfang an am meisten fasziniert hatten. Heute war er froh darüber, sich diesen Anstrengungen unterzogen zu haben, denn nach wie vor war er auf beiden Gebieten tätig, und nach wie vor interessierten sie ihn beide.
»Sie hat zuerst hartnäckig behauptet, auf keinen Fall schwanger zu sein. Aber ich hatte sofort den Eindruck, dass sie eigentlich von ihrer Schwangerschaft wusste, sie allerdings nicht wahrhaben wollte.«
»Und jetzt? Was sagt sie jetzt?«
»Nichts mehr. Sie leugnet die Schwangerschaft nicht mehr, aber sie steht auch nicht dazu.«
»Können wir sie wieder entlassen?«
»Nein, ich will zuerst wissen, warum sie zusammengebrochen ist. Mir kommt das Baby etwas klein vor, was damit zusammenhängen kann, dass Frau Maischinger die ganze Zeit so getan hat, als wäre sie nicht schwanger.«
»Hat sie geraucht, Alkohol getrunken?«
»Auf diese Fragen hat sie mir bislang leider nicht geantwortet. Wenn du mich fragst: wahrscheinlich beides.«
»Das verheißt nichts Gutes für das Kind«, seufzte Eckart. »Gut, dann weiß ich Bescheid. Behalten wir sie zuerst in der Notaufnahme?«
»In der Gynäkologie haben wir kein freies Bett, ich habe schon nachgefragt. Also behalten wir sie hier, und morgen sehen wir weiter.«
Eckart Sternberg nickte. »Ich sehe ab und zu nach ihr, wenn wir heute Nacht nicht mit Patienten überschwemmt werden.«
»Und ich fahre nach Hause.«
»Grüß Antonia und die Kinder von mir.«
»Wird gemacht«, erwiderte Leon.
Antonia … Eva Maischinger hatte ihn von seinen Grübeleien abgelenkt, jetzt kehrten die unerwünschten Gedanken an die Heimlichkeiten seiner Frau zurück.
*
»Mama, sag ihr, sie soll gefälligst von meinem Kleiderschrank wegbleiben!«, fauchte Kaja. »Sie bringt immer alles durcheinander, und hinterher gibt sie mir meine Sachen nicht zurück.«
»Tue ich wohl!«, rief Kyra aufgebracht. »Ich gebe immer alles zurück! Es ist ungerecht, dass du immer neue Sachen kriegst, und ich muss deine alten auftragen. Ich hasse es, die Jüngste zu sein!«
Mit funkelnden Augen stand sie da, aber Antonia erkannte die Zeichen: Wenn sie nicht eingriff, würde die Szene in Tränen enden. Schon schwankte Kyras Stimme bedenklich, schon zitterte ihre Unterlippe. Ihre Jüngste hatte es oft schwer, sich gegen die drei älteren Geschwister durchzusetzen, bei ihr flossen schnell Tränen, so sehr sie sich auch bemühte, sie zu unterdrücken.
»Du hast bald Geburtstag, Mäuschen«, sagte sie, »es könnte schon sein, dass du da ein paar neue Sachen ganz für dich allein bekommst, meinst du nicht? Und es stimmt sowieso nicht, dass du nur alte Sachen deiner Schwester auftragen musst. Erst vor zwei Wochen haben wir dir einen schönen neuen Rock gekauft, und …«
Es half nichts, Kyra weinte bereits. »Aber er ist nicht so schön wie der, den Kaja bekommen hat, und wir haben ihn im Ausverkauf gekauft, weil ihn vorher keiner haben wollte!«
»Jetzt heult sie schon wieder, damit sie ihren Willen kriegt!« Kaja, mit ihren sechzehn Jahren, fühlte sich ihrer fünf Jahre jüngeren Schwester meilenweit überlegen und ließ sie das auch gerne spüren.
Antonia unterdrückte einen Seufzer. Die beiden Mädchen hatten sich früher so gut verstanden, aber seit einem halben Jahr stritten sie dauernd, was das Familienleben nicht eben wenig belastete. Ein weiteres Argument dagegen, dass ich eine Praxis aufmache, dachte sie niedergeschlagen. Leon wird sagen, dass das noch schlimmer wird, wenn die Kinder mehr sich selbst überlassen sind, ohne Mutter, die schlichtend eingreifen kann. Und ganz Unrecht hätte er damit ja auch nicht.
»Ich heule überhaupt nicht!«, schrie Kyra aufgebracht. »Immer sagst du das, dabei hast du doch früher dauernd geheult, daran kann ich mich noch gut erinnern!«
Oh ja, sie war noch nicht ganz elf, aber sie lernte allmählich, die Krallen auszufahren.
Sie hörte, wie die Haustür aufgeschlossen wurde und atmete erleichtert auf. Leon kam ihr wie gerufen. Allein die Unterbrechung würde dem Streit der Mädchen schon einiges von seinem Schwung nehmen.
Genau so war es. Kyra beschwerte sich auch bei ihrem Vater noch einmal bitterlich über die ungerechte Behandlung, die ihr in ihren Augen zuteil wurde, und Kaja stand ihr in nichts nach, aber danach verpuffte der Streit einfach, weil Leon erstaunt fragte: »Und deshalb veranstaltet ihr so ein Geschrei? Wegen ein paar Kleidungsstücken? Kommt schon, das kann doch nicht euer Ernst sein!«
Kaja begehrte noch einmal auf, sie habe ein Recht auf ihre eigenen Sachen, sie ginge schließlich auch nicht an den Kleiderschrank ihrer Mutter, um sich dort zu bedienen, aber das war’s dann auch schon mehr oder weniger. Sie verschwand zwar türenknallend in ihrem Zimmer, aber mehr passierte nicht.
Leon begrüßte seine Frau mit einem Kuss, den sie als ziemlich flüchtig empfand. Er sah müde aus, und sofort ergriff sie wieder das schlechte Gewissen, weil das, was sie plante, schließlich bedeutete, dass sie in Zukunft weniger für ihn da sein würde. Aber sie schob diesen Gedanken energisch beiseite. Ich bin jetzt auch mal an der Reihe, dachte sie.
Beim Abendessen waren die beiden Mädchen wieder halbwegs friedlich. Kyra erzählte, wen sie zu ihrem Geburtstag eingeladen hatte – es schienen jeden Tag mehr Kinder zu werden. Antonia graute jetzt