Max Geißler

Jockele und seine Frau


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auch wir über den Sonnensteg in das schöne ferne Land. Gute Nacht!“

      Die Gletscherspitzen leuchteten nun in einem wundervollen Rot. Und auch die Worte Gwendolins waren voll von Verheissung gewesen für einen neuen Tag. Sie waren gewesen wie nie zuvor. Dennoch sah Henrik Tofte aus, als schrumpften seine mächtigen Glieder vor der Helligkeit ihrer Rede zusammen.

      So hockte er im Schilfrohr und war ohne Hoffnung. Gwendolin hatte fust das Werk für den neuen Herkules ausgesucht, das er unmöglich bewältigen konnte. Sie hatte seinen Gott, das Schicksal, gelästert und vom Sockel geworfen; sie hatte allen fröhlichen Glauben in ihm vernichtet; sie hatte seinen herrlichen Freibrief fürs Leben in tausend Stücke gerissen und in das Röhricht verstreut. „So dienen Sie um Rahel!“

      Es brach ein Lachen gewaltigen Schmerzes aus seiner Brust. Dann hob er den gestürzten Gott wieder an seine Stelle. — O diese Narren! Warum mochten sie nicht an das einige Schicksal glauben, das die Welt regiert? War es denn nicht Schicksal, dass die drei Menschen, die Henrik Tofte am meisten liebte von allen, ihm den Weg zum Glück verwehrten? Gleich am ersten Mittag, an dem sie den Fjord entlang gerudert waren, waren seine Augen finster geworden über dem Blick in die Sonne Dos und Jockeles. „Nun,“ tröstete er sich damals, „sie sind Hochzeiter!“ Aber seither war alles Flittergold von ihrer Ehe abgefallen, und ein schönes klares Leuchten war geblieben, das sah aus, als wär’ es für Zeit und Ewigkeit. Vor diese beiden Menschen führte ihn Gwendolin und sagte: „Sieh hin — getraust du dir das auch? Was wäre es, wenn wir einen Bund schlössen, und er könnte nicht sein wie dieser? Was wäre es, wenn wir zueinanderliefen in einem kindsköpfigen Rausche, wie zwei aus der Herde? Und flickten an unserer Gemeinsamkeit herum, stächen die Löcher mühselig zusammen und schafften damit doch nichts weiter, als dass das Ding ganz morsch würde? Und zuletzt liessen wir’s gehen und kümmerten uns nicht mehr um die getrennten Nähte, weil sie ja doch nicht halten! Henrik Tofte, was wäre das?“

      Jawohl, es war eine ungeheuer freventliche Weltanschauung, die die Gwendolin da zum besten gegeben hatte! Bildete sie sich denn nicht ein, sie wäre der liebe Gott selber und könnte sich mit ihrer eigenen Kunstfertigkeit das Leben zimmern?

      Darüber nahm er Stück für Stück der umherliegenden Fetzen auf und passte sie mit Sorgfalt aneinander. So baute er den richtigen Henrik Tofte wieder zusammen. Zwar, die Risse konnte er nicht ungesehen machen. Aber er war froh, dass es ihm leidlich gelungen war, und kroch aus dem Rohre; denn er hörte das Fischerboot mit den Kindern inselwärts plätschern, die die Kränze und Ranken brachten.

      Als die Fahrzeuge bunt und fröhlich geschmückt waren, trat er in den Saal, wo ihn die Sturmschwalben mit Jubel empfingen. Da jubelte er sich zwischen sie hin. Aber er dachte, seit dieser Nacht wäre er hier nicht mehr daheim. Es war ein wunderlicher Zustand. So, als wäre er nun von dem Schicksal an eine Wegscheide gesetzt.

      Indessen bereiteten sich die anderen schon zur Fahrt. Gwendolin und Do blühten wie der junge Tag: Hanna von Fellner hatte geschrieben, sie wäre auf dem Wege nach dem Hardanger Fjord und hätte sich Do und ihrem Mann in Sehnsucht schon dreimal an die Herzen gestürzt; nachmittags käme sie mit dem Dampfer fjordaufwärts, und sie erwarte, dass an der Haltestelle alle Flaggen gehisst wären.

      Deshalb war die Insel in so funkelndem Betriebe. Sogar Rolf Krake, der zu noch seltsameren Göttern betete als Gwendolin, schnalzte schon drunten auf dem Ufersande herum.

      Daher kam es, dass Henrik Tofte bald allein am runden Tische sass und merkwürdige Gedanken in den Morgenkaffee hineinrührte. Es war ihm ums Herz, als geschähe alles zum letzten Male, was er in den vertrauten Räumen tat. Aber endlich stand er mit feuchten Augen vom Tisch auf, um hinabzugehen zu den anderen.

      An der Schwelle traf er Nane Thord. Die hatte zur Feier des Tages eine blinksaubere Haube angetan. Sie wollte hinübersegeln an den Strand, einkaufen. Da bekam Toftes Herz die Dankbarkeit: er nahm Nane Thord auf den Arm wie ein dreijähriges Mägdlein und trug sie hinab in sein Boot und sagte, sie müsste mit nach Elde in den Zirkus. Als sie merkte, dass es ihm ernst damit war, trieben die Boote schon mit gefüllten Segeln vor dem Winde — bunt wie fünf Sommerblumen, die dem Himmel aus den Händen gefallen waren. Und Henrik Tofte sang ein Scheidelied. Es klang, als würde er nie mehr einen Fuss auf das Eiland setzen.

      Wo sich jener kurze Arm vom Hardanger Fjord nach Norden abzweigt, an dessen Ende die Fischerstadt Elde liegt, ist auch die Haltestelle des Dampfers. Dort machten sie ihre Boote fest, Hanna zu erwarten. Aber Henrik Tofte war ruhelos. Er reffte vor dem Eldefjord zwar das Segel; denn der Fjord ist nach Süden offen, und die Uferberge legen sich darum wie zwei Arme, die alle Sonne für ihn einfangen. Aber der Wind aus Morgen streicht an seinen Toren vorbei. Deshalb legte Tofte dort die Ruder ein und sagte: „Nane Thord will die Rundholmen besuchen, ihre Tochter, die auf Gaeslinggaard wohnt. Ich fahre also mit ihr voraus.“

      Aber als die anderen Boote zwei Stunden danach an Gaeslinggaard vorüberkamen, lief Nane Thord aus dem Hofe und machte die Windmühle: Henrik Tofte hatte sie noch nicht wieder abgeholt.

      Da stieg Nane Thord in Gwendolins Seelenverkäufer und nahm ihr die Ruder aus den Händen und forschte auf der Weiterfahrt an dem Mädchen herum, was es mit Henrik Tofte wäre.

      Die zugeflogene Hanna sass in lauter Wiedersehensfreude im Boote von Do und Jockele. Rolf Krake aber fuhr mit diesem auf gleicher Höhe und ihm so dicht zur Seite, dass Do sehen konnte: er schien wie die Sonne.

      In Elde war ein grosses Leben. Die Fischer lehnten in ihren Sonntagskleidern breit und rauchend an den Steinen. Die Blockhäuser hatten helle Augen. Und die bunten blonden Mädchen und jungen Frauen wanderten Arm in Arm am Strande und hatten alle Fenster offen. Aber Henrik Tofte, den man sonst schon von weitem über allem Volk dahinsegeln sah, war nicht da. Nur sein Boot hatten sie im Hafen gesehen.

      Im Zirkus sassen sie dann in der ersten Reihe, gleich neben den Borten des geharkten Sandes. Die Holzbänke füllten sich bis auf den letzten Platz und bis unter das Zeltdach hinan, das leis im Sonnenwinde flappte. Ein sehr kleiner Clown im weissen Linnenanzuge mit faustgrossen schwarzen Wollknöpfen liess es sich angelegen sein, die Menge schon vor Beginn der Reitkünste und Akrobatenstücke neugierig zu machen. Dabei diente ihm seine zuckerhutförmige Filzmütze als Sitzgelegenheit und Schlafgemach: so bedeutend war diese Mütze, und so gering war das Männlein.

      Aber Henrik Tofte war nicht da — es war zum Lustigwerden.

      Endlich kam er — da war es zum Weinen.

      Er trug die Drahtseiltänzerin Miss Millie auf der freien Hand herein und schwang sie auf das gespannte Seil. Er hatte das Kleid eines Hanswurstes an, genau wie der Zwerg, hatte eine weisse Riesenfilzmütze wie dieser, hatte sich das Gesicht gepudert und die Nasenspitze und jede Wange mit einem schwarzen Tupfe geziert. Mit der Mütze reichte er beinahe bis an das Zeltdach. Seine Einkleidung aber war ohne Wissen des kleinen Mitclowns vor sich gegangen. Deshalb staunte ihn keiner gewaltiger an als dieser. Er fand sich aber rasch in die Lage und stellte ihn den Zuschauern vor als seinen grossen Bruder. Weil er immerzu schwätzte, und Miss Millie doch endlich ihre Kunststücke vorführen wollte, nahm der neue Clown ihm den Zuckerhut ab, klemmte ihn hinter ein Seil unterm Dache und steckte das Männlein einstweilen in seine Hosentasche ...

      Es war überwältigend, und der Erfolg der Eröffnungsvorstellung war schon mit dieser Improvisation gerettet.

      Der Kleine, den man nun in der Tasche der Pluderhose herumkrauchen sah, drohte die Hauptnummer der Seiltänzerin in Gefahr zu bringen; denn natürlich guckte er alsbald heraus wie aus einem Fenster. Es war so hinreissend, dass Henrik Tofte eine Zeit mit ihm aus der Arena verschwinden musste, was dadurch glaubhaft gemacht wurde, dass ein Nachtwächter mit Spiess und Laterne kam und den geharkten Sand nach dem grossen Bruder des kleinen Mannes ableuchtete. Als er ihn endlich gefunden hatte, verhaftete er ihn.

      Als „letzte Nummer“ aber trat Henrik Tofte wieder auf. Und zwar als Schnellmaler. Natürlich hatte er den Kleinen immer noch im Hosensack und tat, als hätte er das ganz vergessen. Damit ihn die geschwollene Tasche nicht beim Malen störe, entledigte er sich ihres Inhalts. Er zog ganze Steine bunter Kreiden hervor, eine Tabakspfeife und zwei Beutel — in dem vollen war Tabak, in dem leeren kein Geld. Danach holte er die Rollen seines Malpapiers hervor und zuletzt den