in schwarze, weitgähnende Flutabgründe –
O Meer!
Mutter der Schönheit, der Schaumentstiegenen!
Grossmutter der Liebe! schone meiner!
Schon flattert, leichenwitternd,
die weisse, gespenstische Möwe,
und wetzt an dem Mastbaum den Schnabel,
und lechzt, voll Frassbegier, nach dem Mund,
der vom Ruhm deiner Tochter ertönt,
und lechzt nach dem Herzen,
das dein Enkel, der kleine Schalk,
zum Spielzeug erwählt.
Vergebens mein Bitten und Flehn!
Mein Rufen verhallt im tosenden Sturm,
im Schlachtlärm der Winde.
Es braust und pfeift und prasselt und heult,
wie ein Tollhaus von Tönen!
Und zwischendurch hör ich vernehmbar
lockende Harfenlaute,
sehnsuchtswilden Gesang,
seelenschmelzend und seelengerreissend,
und ich erkenne die Stimme.
Fern an schottischer Felsenküste;
wo das graue Schlösslein hinausragt
über die brandende See,
dort, am hochgewölbten Fenster,
steht eine schöne, kranke Frau,
zartdurchsichtig und marmorblass,
und sie spielt die Harfe und singt,
und der Wind durchwühlt ihre langen Locken,
und trägt ihr dunkles Lied
über das weite stürmende Meer.
Meeresstille
Meeresstille! Ihre Strahlen
wirft die Sonne auf das Wasser,
und im wogenden Geschmeide
zieht das Schiff die grünen Furchen.
Bei dem Steuer liegt der Bootsmann
auf dem Bauch und schnarchet leise.
Bei dem Mastbaum, segelflickend,
kauert der beteerte Schiffsjung.
Hinterm Schmutze seiner Wangen
sprüht es rot, wehmütig zuckt es
um das breite Maul, und schmerzlich
schaun die grossen, schönen Augen.
Denn der Kapitän steht vor ihm,
tobt und flucht und schilt ihn: ,,Spitzbub!
Spitzbub! einen Hering hast du
aus der Tonne mir gestohlen!“
Meeresstille! Aus den Wellen
taucht hervor ein kluges Fischlein,
wärmt das Köpfchen in der Sonne,
plätschert lustig mit dem Schwänzchen.
Doch die Möwe, aus den Lüften,
schiesst herunter auf das Fischlein,
und den raschen Raub im Schnabel
schwingt sie sich hinauf ins Blaue.
Seegespenst
Ich aber lag am Rande des Schiffes,
und schaute, träumenden Auges,
hinab in das spiegelklare Wasser,
und schaute tiefer und tiefer –
bis tief, im Meeresgrunde,
anfangs wie dämmernde Nebel,
jedoch allmählich farbenbestimmter,
Kirchenkuppel und Türme sich zeigten,
und endlich, sonnenklar, eine ganze Stadt,
altertümlich niederländisch,
und menschenbelebt.
Bedächtige Männer, schwarzbemäntelt,
mit weissen Halskrausen und Ehrenketten
und langen Degen und langen Gesichtern,
schreiten über den wimmelnden Marktplatz,
nach dem treppenhohen Rathaus,
wo steinerne Kaiserbilder
Wacht halten mit Zepter und Schwert.
Unferne, vor langen Häuser-Reihn,
mit spiegelblanken Fenstern,
stehn pyramidisch beschnittene Linden,
und wandeln seidenrauschende Jungfraun,
ein gülden Band um den schlanken Leib,
die Blumengesichter sittsam umschlossen
von schwarzen, sammtnen Mützchen,
woraus die Lockenfülle hervordringt.
Bunte Gesellen, in spanischer Tracht,
stolzieren vorüber und nicken.
Bejahrte Frauen,
in braunen, verschollnen Gewändern,
Gesangbuch und Rosenkranz in der Hand,
eilen, trippelnden Schritts,
nach dem grossen Dome,
getrieben von Glockengeläute
und rauschendem Orgelton.
Mich selbst ergreift des fernen Klangs
geheimnisvoller Schauer!
Unendliches Sehnen, tiefe Wehmut,
beschleicht mein Herz,
mein kaumgeheiltes Herz; –
Mir ist, als würden seine Wunden
von lieben Lippen aufgeküsst,
und täten wieder bluten,
heisse, rote Tropfen,
die lang und langsam niederfalln
auf ein altes Haus, dort unten
in der tiefen Meerstadt,
auf ein altes, hochgegiebeltes Haus,
das melancholisch menschenleer ist,
nur dass am untern Fenster
ein Mädchen sitzt,
den Kopf auf den Arm gestützt,
wie ein armes, vergessenes Kind –
und ich kenne dich, armes, vergessenes Kind!
So tief, so tief also
verstecktest du dich vor mir,
aus kindischer Laune,
und konntest nicht mehr herauf,
Und sassest fremd unter fremden Leuten,
fünfhundert Jahre lang,
derweilen ich, die Seele voll Gram,
auf der ganzen Erde dich suchte,
und