Stimme, mein zierliches Figürchen, mein volles blondes Haar, meine großen blauen Augen und sonst noch manches an mir entdeckt. Er erklärte mich schlankweg als kommenden allerliebsten Stern am Bühnenhimmel und auch sonst. Ich wähnte mich im Aufgang, wollte gerne steigen, hervortreten und leuchten so gut ich konnte.
Doch möchte ich an dieser Stelle einfügen, wie ich meinen «Entdecker» kennenlernte. Ich sah ihn zunächst im Stadttheater als «Hamlet», wo die herrliche Rolle vielleicht mehr ihn trug als umgekehrt, und es kann sein, daß es eigentlich die Dichtung, daß es Hamlet war, der mir näher stand als der Schauspieler Valentin.
Ich war im photographischen Atelier von Hollesen als Kopiererin angestellt, hatte eines Tages die Bilder von Herrn Valentin, prächtige Aufnahmen, die ihn in den verschiedensten Rollen zeigten, ihm mitsamt der Rechnung ins Haus zu bringen. Da ich das Glück hatte, Herrn Valentin persönlich anzutreffen, benutzte ich die Gelegenheit, ihm mein Kompliment für seinen Hamlet zu sagen, das er sich recht erfreut anhörte. Dann sprachen wir ein paar Worte über verschiedene Schauspiele, und unversehens hatte ich Herrn Valentin anvertraut, daß ich schon die «Venus im Grünen» gespielt, daß aber die «Ophelia» eine Lieblingsrolle von mir sei. Herr Valentin staunte mich lächelnd an, und forderte mich auf, ihm eine kleine Szene vorzuspielen. Völlig unbefangen begann ich, mitten im Zimmer stehend, mich in den alten dänischen Schloßpark zu versetzen, wo im Teich unter Wasserrosen Ophelias verlorenes Leben flüstern würde. Ich sprach und sang die Worte von ihrem Liebestod, wo noch so viele blumenhafte Anmut durch den Wahnsinn schimmert.
Die lobenden Worte, die mir der Schauspieler sagte, blieben nicht ohne Eindruck auf mich. Freilich betonte er auch, daß ich noch viel zu lernen habe, wenn ich auf der Bühne spielen wolle, doch meine er, daß ich meiner Begabung sicher sein dürfe. Durfte ich das wirklich? Ich kannte nur meine jugendlich-ernsthafte Lust zu spielen und trug, wie schon erwähnt, immer wieder das Verlangen, mein Talent prüfen zu lassen, doch sollte sich dieser Wunsch nicht erfüllen. Lag ich meiner Mutter mit Bitten in den Ohren, lehnte sie ab:
«Wozu brauchst du dramatischen Unterricht? Den wirst du noch genug im Leben bekommen. Verlaß dich drauf.»
Dann schwieg ich endlich.
Ich wohnte mit meiner Mutter zusammen in der Dorotheenstraße, die nahe der Kaserne lag, an der ich täglich auf dem Wege zu meiner Arbeitsstätte mehrmals vorbeigehen mußte. Hier erinnere ich mich an etwas, das vielleicht gar keine Begebenheit von Belang ist, sondern mehr das Bewußtsein eines erstmaligen Gefühles, das ich nennen möchte. Ich hörte in der Abendstunde die Soldaten singen und stand eine Weile lauschend vor dem hohen Gitter, das die Kaserne einfriedete. Ich vernahm das bekannte Kaiserlied, auf dessen Text ich weniger achtete als auf die frischen Stimmen der Sänger. Dann aber bewegten mich urplötzlich die wenigen Worte «Liebling des Volkes zu sein» so sehr, daß ich darüber völlig vergaß, wo ich mich befand. Es war jenes unbestimmte, starke Sehnen, von dem junge Menschen manchmal befallen werden, wenn sie mit ihrem Leben noch nicht wissen, wohin es strömen soll. Ich spürte das Blut in meinen Adern rauschen wie in einem breiteren Flußbett. Es war ein Aufruhr in mir, der Lust und Schmerz zugleich war. Ich ahnte Taumel und Winde, die ich würde leben müssen. Vor dem mächtigen Überfall, der mir wie etwas völlig Fremdes vorkam, wähnte ich in weite Fernen zu vergehen. In ein Unabsehbares schien ich zu gleiten, und fand weder Ferne noch Ziel. Einer Ohnmacht nahe, schloß ich die Augen, um mich allmählich wieder zu finden. Von dieser Zeit an hatte ich oft solche Entrückungen, die aber stets wie begleitet waren von den Worten des Liedes: Liebling des Volkes zu sein. Dies vielleicht, weil ich die Worte zufällig singen hörte, als mich der erste Anfall überraschte.
Mir scheint, daß ich in dieser Zeit auffallend wenig Phantasie besaß. Da meine Mutter mir nicht erlaubte, mich der Bühne zu widmen, hielt ich mein Leben nahezu für ein verlorenes. Es war eine tiefe Enttäuschung in mir, die zu überwinden ich mich fortwährend bemühte. Ich dachte nicht daran, konnte mir offenbar nicht vorstellen, daß sich etwas in meinem Schicksal würde sonderlich ändern können.
Meine Mutter sprach oft den Wunsch aus, ich möge mich bald verheiraten. Dies empfand ich, nicht gerade stark, aber doch manchmal, mit einem kleinen Unbehagen, als eine leise Nötigung, die abzuschütteln mir nicht völlig gelang.
Nun machte ich eines Tages einem gewissen Herrn Skule einen Heiratsantrag, der zwar höflich, aber immerhin recht energisch abgelehnt wurde. Herr Skule, ein junger Mann von vielleicht fünfundzwanzig Jahren, war Musiker, hatte ein möbliertes Zimmer gemietet im Hause meiner Freundin, durch welche ich ihn kennengelernt hatte. Ich hatte ihn mehrmals wunderschön Klavier spielen hören, wußte aber sonst nicht viel von ihm. Nun hatte Herr Skule das Unglück gehabt, in kürzester Zeit zu erblinden, und darüber war er nahezu verzweifelt. Eines Sonntags morgens suchte ich ihn in seiner Wohnung auf, wo er mich freundlich empfing. Er machte mir zwar einen niedergeschlagenen, doch keineswegs hoffnungslosen Eindruck. Er versuchte sogar, mir etwas auf dem Klavier vorzuspielen, doch tastete er mehrmals, sogar schlimm, daneben. Da blieb er sinnend vor dem Klavier sitzen, schien wieder über sein Unglück nachzudenken und mich völlig vergessen zu haben. Sein nicht gerade schönes, doch kluges, interessantes Gesicht gefiel mir recht gut, obwohl seine erloschenen, matten Augen, gleich silbrigen Monden, mir ein gewisses Grauen verursachten. Ich überlegte mir, ob ich mich würde daran gewöhnen können, an diese erloschenen, silbrigen Monde, und mir war, als könnte ich die Frage mit «Ja» beantworten. Warum sollte ich nicht aus Dankbarkeit für meine gesunden Augen einen Blinden heiraten? Immer würde ich ihn führen, an der Hand, am Arm. Ganz zart würde ich ihm den Himmel beschreiben, eine Blumenwiese, viele schöne Bilder. Würde nicht mein Leben durch die Verbindung mit dem Blinden einen neuen Sinn bekommen? Wie notwendig, wie wichtig konnte ich diesem Manne sein.
Während ich dieses dachte, sah er mit seinen toten Augen noch immer auf die Tasten, auf sein geliebtes Instrument. Dann streckte er plötzlich die Hand nach mir, und ich reichte ihm in einer Aufwallung von Zärtlichkeit beide Hände, die er heftig umspannt hielt. So stand ich vor ihm, und er sah mich nicht, als ich ihn leise fragte:
«Herr Skule, möchten Sie nicht meine Hände behalten?»
Er hatte eine eigentümlich schwere, langsame Sprechweise, beinahe wie ein alter Mann.
«Ihre Hände? Behalten? Wie meinen Sie das, Fräulein Helga. . .?»
«Für immer, meine ich es, Herr Skule. Darf ich nicht bei Ihnen bleiben, immer, immer?»
«Immer?» Er hob sein bleiches Gesicht, und wie sich die Augenlider senkten, war er wunderbar anzusehen. Sein Mund war so schön, und ich hätte ihn küssen mögen, ganz leicht.
«Immer? Ja. . . wie könnten Sie bei mir bleiben, Fräulein Helga? Das geht doch nicht.»
«Warum nicht? Ich könnte Ihnen doch, wenn ich so sagen darf, meine Augen leihen, und wird es sein, als würden Sie selbst sehen. Sie würden mir alles glauben, weil Sie nicht sehen können, aber ich würde Ihnen nur die Wahrheit sagen. Wenn wir einander heiraten, würde ich mein ganzes Leben lang nie mehr lügen können, und daran hätten nur Sie die Schuld oder die Unschuld. Wie schön wäre das, Herr Skule. . . Wollen Sie? Sagen Sie, Ja‘.»
Er stand auf, behielt aber meine Hand in der seinen, und tastete mit der andern Hand nach dem Tisch und dann nach der Lehne des Sofas. Wir setzten uns nebeneinander, blieben so eine Weile still, Hand in Hand. Ich wartete auf eine Antwort.
«Wie alt sind Sie, Fräulein, Helga?»
«Ich bin achtzehn Jahre alt.»
Er lächelte, zog mich sanft an sich, indem er seinen Arm um meine Schulter legte:
«Was sind Sie für ein Kind. Wie kommen Sie nur dazu, mir dies alles zu sagen?»
«Weil ich Sie liebe.»
«Wie einfach Sie das sagen.»
«Wie ließe sich das wohl anders sagen?»
«Ja, darin haben Sie ja recht. Und glauben Sie denn, daß ich. . . nun ja. . . daß ich Sie liebe, Helga?»
«Ich hoffe es. Ich möchte es annehmen.»
«Wirklich?»
«Das