auf den Metzger einsprechend. Uravar hockte nachlässig, die Hände in den Taschen, auf der Kante des langen Tisches, der mit Blut und Fleisch bedeckt war, knirschte mit den Zähnen und lachte. Sein bartloses Gesicht war rot und glänzend wie das rohe Fleisch; am Kinn hatte er eine Warze mit fünf langen Haaren, welche aussah, als ob beständig eine Kreuzspinne auf seine Lippen zukröche.
„Wenn Sie mir nicht geben wollen mein Geld,“ sagte der Hausierer, „werd’ ich Ihnen verklagen bei Gericht.“
Uravar schlug sich auf die Schenkel und zeigte die blendend weissen Zähne. „Judd, geh furt, sonst holl ich Hund“, sagte er und warf einen beifallhaschenden Blick auf Arnold, der still auf der Schwelle stand.
Elasser wurde erregt. „Ich fürcht’ mich nicht vor Ihrem Hund“, antwortete er. „Ich fürcht’ mich nicht einmal vor Ihnen, wie soll ich mich vor Ihrem Hund fürchten. Geben Sie mir mein Geld und die Sach’ hat sich gehoben.“ Sein Gesicht sah fahl aus, und die Augen fielen kummervoll und ermüdet in ihre Höhlen. Rettungsuchend blickte er an Arnold vorbei auf den öden Platz, als Uravar sich von seinem Sitz herabschnellte und mit ausholenden Schritten auf ihn zuging. Er packte Elasser mit beiden Armen um den Leib, hob ihn empor und schleppte ihn gegen die Türe. Aber zwei Hände klammerten sich mit solcher Kraft um seine dicken Schultern, dass die Schlüsselbeinknochen krachten und zurückgedreht wurden. Mit einem Wutgebrumm liess Uravar den Juden zur Erde gleiten, drehte sich schwerfällig um, den Kopf geduckt, und blickte Arnold, der ihn nun losgelassen hatte, tückisch an. Arnold erwiderte den Blick mit solcher Ruhe, dass der brutale Mensch den Kopf duckte und das Kinn herabzog, wodurch die Kreuzspinne zusammenschrumpfte.
Glasser huckte keuchend seinen Pack auf. „Der Herr wird dafür zu büssen haben“, sagte er, auf Uravar deutend. „Einem Besoffenen und einem Heuwagen muss man ausweichen, heisst es. Aber gegen Gewalttätigkeiten sind da die Gerichte.“ Er nickte Arnold zu und verliess den Laden.
Angewidert und nicht imstande mit dem Fleischer zu reden, trat Arnold auf den Platz hinaus und sah gedankenvoll hinunter, die Augen gegen die blendende Sonne mit der Hand beschirmend. Trotzdem kam es ihm vor, als sei der Sonnenschein trüber geworden.
Hinter den Kindern, die jetzt dem gegenüberliegenden Schulhaus entströmten, wurde Maxim Specht sichtbar. Er schritt ohne weiters auf Arnold zu und sagte mit anerkennendem Ausdruck: „Sehr schön, sehr gut. Ich habe vom Fenster aus zugesehen. Endlich einmal hat dieser Kerl eine Lektion erhalten.“ Er lachte mekkernd, wobei seine Augen ganz klein wurden und freundschaftlich glänzten. Dann lud er Arnold ein, ihn ein Stück Wegs zu begleiten; oft schon hätte er sich eine nähere Bekanntschaft gewünscht, sagte er. Obwohl sein Anzug ärmlich war, sah er adrett aus; im Gespräch war er ungezwungen und zugleich zurückhaltend. Er war sehr neugierig in bezug auf alles, was Arnold betraf.
„Wie können Sie denn das aushalten hier, das eintönige Leben?“ fragte er. „Was tun Sie denn den ganzen Tag über?“
Arnold gab, so gut er konnte, Auskunft.
„Sie sind also eine Art Verwalter auf dem Gut Ihrer Frau Mutter?“ meinte Specht. „Und wird Ihnen das nicht langweilig?“
„Langweilig? Nein; langweilig ist es nicht!“
„Waren Sie nie in der Stadt?“
„Nein.“
„Überhaupt noch nicht? Wie merkwürdig! Dem Äussern nach sind Sie doch ein Städter. Ihre Sprache, Ihr Gesicht, Ihr Benehmen, alles ist wie bei einem Städter. Sehr merkwürdig!“
„Ist denn das so etwas Besonderes, ein Städter?“ erkundigte sich Arnold.
„Na, etwas Besonderes . . . das will ich nicht gerade sagen. Aber wenn Sie die Stadt noch nicht kennen, da steht Ihnen ein grosser Genuss bevor. Haben Sie noch nie Sehnsucht danach gehabt? Nein! Wie merkwürdig! Ich sage Ihnen, es ist etwas Herrliches um so eine grosse Stadt. Theater, Konzerte, reiche Leute, schöne Damen, Paläste, Kirchen, kolossale Strassen und abends ein Lichtermeer! Das können Sie sich nicht vorstellen. Es ist wie ein Traum. Hier versumpft man ja, glauben Sie mir.“
Verwundert schüttelte Arnold den Kopf. Da es ihm zu heiss wurde, zog er seine Lodenjacke aus, wobei er stehenblieb und den Lehrer durchdringend und verständnislos anschaute.
Sie waren gegen die Nordseite vors Dorf gekommen. An der Strasse lag eine Art Meierhof: ein schmuckes Wohnhaus, Stall, Scheune, alles sauber und neu ums zäunt. Wie eine appetitliche Speise auf dem Teller lag das kleine Gut in der Ebene. Unter dem Haus stand ein junges Mädchen, auf den Lippen ein Kinderlächeln. Als Specht sich von Arnold verabschiedet hatte, schlug sie den gelben Schal fester um Brust und Schultern und ging dem Lehrer entgegen.
Viertes Kapitel
Es war Nachmittag; Arnold sass am Fluss und schaute ruhig nach der Angelschnur, die sich in weitem Bogen zum Wasser senkte. Er hatte das Hemd über der Brust geöffnet; es war ungewöhnlich schwül geworden. Nicht das kleinste Fischlein wollte sich verbeissen; den schwarzen Fluss kräuselte keine Welle. Der Himmel hatte sich umzogen; über den schlesischen Wäldern lag ein Wetter.
Salscha, vom Dorf herkommend, blieb neben Arnold stehen und fragte ihn, was er mit dem Fleischer Uravar gehabt habe, der schimpfe wie ein Teufel auf ihn.
Arnold brummte etwas vor sich hin.
Weshalb er sich da hineinmische, fuhr das Mädchen fort, dem Juden werde er ja doch nicht zu seinem Recht verhelfen können.
„So? Warum denn nicht?“ fuhr Arnold auf.
Na, die Juden seien eben keine rechten Menschen, sie behexten das Vieh und zu Ostern schlachteten sie Christenkinder.
„Dumme Sans“, murmelte Arnold verächtlich. „Der Jud ist arm, hat neun Kinder zu Haus, und wenn er zu Gericht geht, wird er auch sein Recht bekommen.“
„Natürlich, als ob das Recht bei den Gerichten nur so vorrätig wäre!“ höhnte Salscha.
Arnold zuckte die Achseln und schwieg.
Salscha setzte sich auf einen Stein neben Arnold, die Knie unter den Röcken weit voneinander, die Augen nicht von ihm wendend. Weit und breit war kein Mensch zu sehen; eine Viertelstünde der Liebe schien erwünscht. Aber endlich merkte sie die Kälte Arnolds. Mit bösem Blick schielte sie nach der Angel, stand auf und ging. Lange noch hörte Arnold ihr gleichmässiges und erzürntes Trällern über die Wiesen klingen.
Arnold schnellte die Angel aus dem Wasser und machte sich auf den Heimweg, da der Regen nahte. Über Podolin wetterleuchtete es. Er schulterte die Rute und schritt fest über den dürren Ackerboden. Frau Ansorge sass bleich in der Mitte des Zimmers, als er eintrat, denn sie fürchtete Gewitter, besonders die des Herbstes.
Aber die Wolken verzogen sich wieder.
Arnold erzählte, dass ihn der Lehrer in Podolin angesprochen und ihm mit allerlei wunderlichen Ausdrücken von dem Leben in der Stadt vorgeschwärmt habe.
Frau Ansorge runzelte finster die Stirn. „Der Windbeutel“, sagte sie; „er soll seine Weisheit für sich behalten.“
Sie stellte sich ans Fenster und blickte gegen den Himmel, wo ein Regenbogen stand.
„Komm einmal her, Arnold“, sagte sie.
Arnold trat an ihre Seite.
„Siehst du den Regenbogen? Jetzt steht er schön und gross vor dir. Kommst du zwischen Gassen und Häuser, so bleibt nicht mehr viel von ihm übrig. Und soviel deine Augen davon verlieren, so viel Glück und Ruhe verlierst du selber. Und die Stadt, das ist nichts anderes als eine Unmenge von Gassen und Häusern. Sie verwirren dich nur, die Windbeutel, sie sind leer wie gedroschenes Stroh.“
Fünftes Kapitel
Hankas, die neuen Bewohner von Podolin, hatten Besuch. Der Bruder von Agnes Hanka, Alexander, war aus Wien gekommen. Er wollte nur drei Tage bleiben; Erbschaftsangelegenheiten waren zu besprechen. Auch wegen Beate kam er, die seine Schussbefohlene war. Agnes hatte sie einst auf seinen Wunsch zu sich genommen. Vor Jahren hatte er die arme