Jonas Moström

Herzversagen - Ein Schweden-Krimi


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sich, die Schultern sanken herab, und alles wurde zum Hier und Jetzt. Im selben Augenblick kam Jensen, zwanzig Minuten zu spät.

      »Ausgebucht wie immer?«, fragte Axberg sarkastisch.

      »Du weißt ja, wie das ist. Alle wollen versorgt sein«, sagte Jensen und bestellte zwei Glas Wasser und ein Bier.

      »Schade, dass draußen alles vollbesetzt war.«

      »Hier drinnen ist es ruhiger«, sagte Axberg und zündete sich eine Zigarette an.

      »Hast du schon den Geheimtipp der Woche entdeckt?«, fragte Jensen und deutete mit dem Kopf auf das Rennprogramm.

      »Vielleicht. Spike Lee im vierten Rennen ist in Hochform; das letzte Mal hatte er Pech mit der Bahn, startet aber jetzt als Nummer sechs.«

      Jensen sah nicht überzeugt aus.

      »Eine unsichere Sache. Aber ich habe mich das letzte Mal blamiert, also bist du dieses Mal mit dem Auswählen dran.«

      Axberg und Jensen kannten einander seit dem Gymnasium und trafen sich jeden Mittwoch, um einen Wettschein für die Läufe der Woche in Bergsåker auszufüllen. Früher waren sie oft zusammen auf die Trabrennbahn gegangen. In letzter Zeit war es allerdings immer seltener dazu gekommen, weil beide viel und unregelmäßig arbeiteten. Seit Erika auf die Welt gekommen war, waren sie erst ein Mal dort gewesen und hatten außerdem mehr als üblich verloren. Beide schoben es darauf, dass sie aus der Übung waren. Nachdem sie drei Rennen besprochen hatten, bestellten sie noch ein Bier. Axberg schob das Rennprogramm zur Seite.

      »Denkpause«, sagte er und hob sein Glas. »Wie läuft’s bei der Arbeit?«

      Jensen lächelte schief.

      »Chaotisch. Ferien und Krankenstand passen nicht zusammen.«

      »Sind die Leute im Sommer genauso oft krank?«

      »Leider ja. Aber es sind andere Sachen, viele merkwürdige Krankheiten.«

      Jensen dachte wieder an Maria Backlund. Der Fall hatte ihm keine Ruhe gelassen seit dem Tag, an dem sie aus dem Krankenhaus entlassen worden war. Er hatte das Bedürfnis, davon zu erzählen. Wenn er ihren Namen nicht nannte, verletzte er auch nicht die ärztliche Schweigepflicht.

      »Vor knapp zwei Wochen hatte ich einen seltsamen Fall, eine junge Frau wurde mit Herzstillstand eingeliefert. Ansonsten vollkommen gesund. Sie hatte im Schlaf einfach aufgehört zu atmen. Zufällig war ihre Schwester zu Besuch und merkte es.«

      Jensen machte eine Pause.

      »Die Schwester hat mit einer Herzmassage begonnen und den Krankenwagen gerufen. Als die Patientin eingeliefert wurde, habe ich sie zum Glück zurückholen können. Sie ist aufgewacht, und hinterher war es, als wäre nichts passiert.«

      Axberg hörte fasziniert zu.

      »Wir haben keine Erklärung für den Vorfall finden können«, fuhr Jensen fort. »Die Patientin ist völlig gesund, und es geht ihr ausgezeichnet. Ich habe erst gestern noch mit ihr telefoniert.«

      Jensen machte mit den Händen eine fragende Geste.

      »Man sollte wohl seine Lebensversicherung aufstocken«, sagte Axberg und drückte die Zigarette im Aschenbecher aus.

      Jensen wägte kurz ab, bevor er fortfuhr. Das Bier und der Wein machten ihn gesprächig. Er sah sich um, das Lokal war so gut wie leer.

      »Außerdem hat es in letzter Zeit ungewöhnlich viele Todesfälle im Stadtzentrum gegeben. Menschen, die bis dahin gesund waren, sind ohne offensichtlichen Grund im Schlaf gestorben. In den Fällen, in denen eine Obduktion gemacht wurde, zeigte sich, dass die Todesursache plötzlicher Herztod war.«

      Axberg sah ihn fragend an.

      »Worauf willst du hinaus?«

      »Mir kam der Gedanke, dass es da vielleicht eine Verbindung gibt«, sagte Jensen. »Dass es eben doch kein Zufall war, dass meine Patientin einen Herzstillstand hatte, dass es einen Grund dafür gibt . . .«

      Axberg drehte das Bierglas in seiner Hand und sah, wie der Schaum an den Rändern hängen blieb.

      »Was sollte das sein?«

      »Irgendeine Art von Infektion, ein bisher unbekannter Virus, der den Herzmuskel angreift und das Reizleitungssystem ausschaltet . . . Es könnte sich um eine neue Krankheit handeln, die typisch für den Norden ist, wie das Puumalavirus oder das Sindbisvirus.«

      Axberg lächelte.

      »Du hast schon immer eine blühende Fantasie gehabt.«

      »Ein Forscher muss viel Fantasie haben. Die größten Entdeckungen entstanden immer aus dem Unwahrscheinlichen.«

      Axberg versuchte, eine Parallele zur Polizeiarbeit zu ziehen, schaffte es aber nicht.

      »Wo hast du das über diese Todesfälle gehört?«, fragte er stattdessen.

      Jensen machte eine vage Kopfbewegung.

      »Das Krankenhaus ist klein, Gerüchte verbreiten sich schnell. Außerdem habe ich die Krankenblätter von drei verstorbenen Patienten gesehen.«

      Axberg ahnte, dass nun eine lange medizinische Erläuterung folgen würde, deswegen schlug er das Rennprogramm wieder auf. Jensen bemerkte es nicht, sondern fuhr fort:

      »Wie du weißt, bin ich bald mit meiner Doktorarbeit fertig und brauche eine Idee für eine neue Arbeit.«

      Axberg nickte müde.

      »Die Idee ist, alle Fakten über die unklaren Todesfälle hier in der Stadt zu sammeln und eine Studie zu machen«, fuhr Jensen fort. »Wenn ich Glück habe, kann daraus etwas werden.«

      »Letzteres brauchen wir auch«, sagte Axberg. »Was hältst du von Zorro im vierten Rennen?«

      »Keine Chance. Er ist drei Mal hintereinander galoppiert.«

      Jensen fuhr mit der Hand durch seine hellen Locken.

      »Gib zu, dass es spannend ist. Das wäre doch was. Einer Krankheit den eigenen Namen zu verleihen . . .«

      Axberg dachte an Pfarrer Ekstedt und Birgit Öberg. Zum ersten Mal seit ein paar Tagen erinnerte er sich an deren Erzählungen. Ein unbestimmtes Gefühl des Unbehagens breitete sich in seiner Brust aus. Schon wieder diese merkwürdigen Todesfälle.

      »Ist in irgendeinem der Fälle die Polizei eingeschaltet worden?«, fragte er.

      Jensen zuckte mit den Schultern.

      »Nicht dass ich wüsste. Es gab ja eigentlich gar keinen Verdacht auf irgendwas. Die Menschen haben einfach leblos und ganz friedlich in ihren Betten gelegen.«

      »Keine Angehörigen, die den Eindruck haben, dass irgendetwas nicht in Ordnung war?«

      »Nein, ich glaube nicht, aber ich kenne keine Einzelheiten.«

      Axberg schob den Gedanken beiseite, dass es eine Verbindung zu den Todesfällen geben könnte, mit denen er konfrontiert worden war. Er und seine Kollegen hatten bereits genug mit den Verbrechen zu tun, die tatsächlich begangen wurden. Es war unmöglich, allen diffusen Gerüchten nachzugehen, die in der Stadt verbreitet wurden. Axberg zündete eine Zigarette an und ließ die Grübelei hinter sich. Jensen ging sich die Nase pudern. Die Kneipe füllte sich langsam mit Leuten, der Geräuschpegel stieg. Axberg schaute sich um.

      An der Theke sah er eine Frau, die zusammen mit zwei Freundinnen Wein trank. Ihre Schönheit nahm Axberg sofort gefangen. Das Gesicht war ungeschminkt, strahlte aber nur so vor Gesundheit und Lebensfreude. Die Augen kastanienbraun, die Lippen himbeerrot. Sie trug ein dünnes Hemd, das auf ihrer sonnengebräunten Haut strahlend weiß leuchtete. Sie lächelte kurz, als sie Blickkontakt hatten. Das Lächeln traf Axberg direkt ins Herz und in die Augen und in die Knie. Mit einer weichen Bewegung ihrer ringlosen linken Hand strich sie ihre blonden Haare hinter das Ohr. Axberg spürte den Impuls, etwas zu unternehmen. Aber er wollte sich nicht wieder verlieben. Außerdem war die Situation zwischen ihm und Carolina ziemlich kompliziert. Er wusste nicht, was er mit seinem