David W. Shenk

Christen begegnen Muslimen


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      Während der Stunde, die wir brauchten, um uns durch das verwirrende Chaos von Einwanderungsbehörde, Zollkontrolle, Inspektion der Gesundheitsdokumente und der Deklaration unserer finanziellen Mittel zu kämpfen, während gleichzeitig Gepäckträger nach uns riefen und wir einer erbitterten Diskussion über die zu zahlenden Trinkgelder ausgesetzt waren, hörten wir den Ausruf Allah sicher Hunderte Male. Wir wussten damit, dass wir in einer Gesellschaft angekommen waren, in der man sich der umfassenden Gegenwart Gottes sehr bewusst ist.

      Eigentlich hofften wir, unauffällig durch den Flughafen Mogadischus schlüpfen zu können. Wir wussten, dass Somalia eines der wenigen Länder in der Welt war, das fast hundertprozentig muslimisch war. Wir würden als Christen, die in Somalia lebten, nur einer winzigen, wenn überhaupt wahrnehmbaren, Minderheit angehören. Wir hatten daher gehofft, die Einreisekontrolle ohne Aufsehen durchlaufen zu können. Sollte das überhaupt möglich gewesen sein, so hatte auf jeden Fall die Feilscherei der Leute, die um unser Gepäck stritten, diesen Wunsch zunichte gemacht.

       Wer seid ihr?

      Mitten in all dem Chaos rief nämlich jemand in gebrochenem Englisch: „Seid ihr von der Somalischen Mennonitischen Mission?“

      „Ja, wir sind bei der Mennonitischen Mission!“ Mit einem Schlag war es mit jeder Überlegung, ob wir unsere Identität maskieren könnten oder sollten, vorbei. „Dann bist du ein wahrer Wadad (heiliger Mann Gottes)!“, schlussfolgerte einer der größten Gepäckträger, und viele drehten sich nach uns um, weil sie wissen wollten, wer der genannte heilige Mann und seine Familie sei. So verlief also unsere stille Ankunft in Somalia. Ich nehme an, dass noch am gleichen Abend die ganze Stadt Mogadischu wusste, dass ein weiterer Amerikaner zur Somalia Mennonite Mission (SMM) dazugestoßen war.

      Dieses Ereignis war wirklich beachtlich. Nur ein Jahr zuvor war der Direktor der Mission durch einen eifersüchtigen Imam (religiösen Leiter) getötet worden, weil ihn die Präsenz der „Mission“ beunruhigt hatte. Sein persönlicher Krieg begann, als er davon hörte, dass einige junge Somali ihre Loyalität zu Jesus, dem Messias, erklärt und ein Bekenntnis zum christlichen Glauben abgelegt hatten. Die Art und Weise, wie diese Erklärung einiger Studierender bekannt geworden war, hatte Unruhe gestiftet. Entsprechend wurde das Schulungsangebot der Mission für einige Monate eingestellt und es wurden neue Gesetze durch das Parlament erlassen, dass nur der Islam als wahre Religion in Somalia propagiert werden dürfe.

      1963, nur ein Jahr nach diesen Vorfällen, war unsere junge Familie in Somalia angekommen, um dabei zu helfen, die Bildungsarbeit der Mission weiterzuführen. Unsere Ankunft war ein Signal, dass die Mission auch trotz dieser Tragödie keine Absicht hatte, sich zurückzuziehen.

       Warum seid ihr gekommen?

      Die überraschende Hartnäckigkeit der Mission führte bei den Somali zu Fragen. Häufig wurde angenommen, dass wir Agenten einer Kolonialmacht, z. B. der Regierung der Vereinigten Staaten, sein müssten. Genau darum drehte sich auch der Inhalt der Unterhaltung in der Teestube ein paar Abende nach unserer Ankunft.

      Drei oder vier Studierende unseres Erwachsenenbildungsprogramms zur englischen Literatur in Mogadischu luden mich in eine belebte Teestube ein, die nur ein paar Straßen vom Schulgelände entfernt lag. Mit viel Humor vertrauten sie mir an, dass es vor allem Männersache sei, in offenen Teestuben abendlich Tee zu trinken. Um uns herum ergingen sich auch viele Männer über einer Tasse Tee begeistert in Diskussionen über wichtige Themen. Trotzdem waren auch einige unverheiratete Lehrerinnen, die in unserer Mission mitarbeiteten, in unserer Gruppe dabei. Diese Frauen aus Nordamerika wollten ihre Präsenz in Somalia als Chance nutzen, manche Grenzen auszuweiten, die die männerdominierte Gesellschaft Somalias den Frauen aufgezwungen hatte.

      Meine Gastgeber bestellten Gewürztee ohne Milch, gesüßt mit fünf gut gehäuften Teelöffeln Zucker. Die Studierenden forderten mich dann mit der Frage heraus, die ihnen zuvorderst auf der Zunge lag, während wir unseren Tee nippten. Sie fragten: „Warum seid ihr nach Somalia gekommen?“

      „Gott hat uns gerufen“, erklärte ich ihnen ganz einfach. „Unsere Familie ist hier, weil es Gottes Auftrag ist. Jesus diente den Menschen in Not. Ich bete, dass wir ebenfalls denen dienen können, die in Not sind. Wir sind euch dankbar, dass ihr und eure Mitbürger uns willkommen geheißen habt. Es ist ein Privileg, die Somali kennen und schätzen zu lernen.“

      Sie waren ziemlich überrascht zu hören, dass Gott uns beauftragt hatte. Sie erklärten, dass die Somali über Gott Bescheid wüssten und dass man sie nicht über ihn belehren müsse. Sollten wir aber beabsichtigen, Menschen von Gott zu erzählen, dann sollten wir besser zu den Menschen im Süden Somalias gehen, die den traditionellen afrikanischen Religionen anhingen. Dennoch betonten sie ihre Wertschätzung für die medizinischen und pädagogischen Programme, die durch die SMM in verschiedenen Regionen entwickelt worden waren.

      So sah unser Eintauchen in die islamische Welt in der ersten halben Woche in Somalia aus. Ich komme später wieder auf die weitere Geschichte unserer Familie zu sprechen. An dieser Stelle möchte ich nur sagen, dass dieses Eintauchen und die Abenteuer während der nächsten 50 Jahre auf erstaunlich unterschiedlichen Wegen Fortsetzung fanden.

       Die Herrschaft Gottes suchen

      Dieses Buch erzählt zwar von Abenteuern, aber es geht um mehr. Ich möchte aus meinem Herzen heraus mitteilen, wie Beziehungen von Christen mit Muslimen aussehen können. Dieses Buch beschreibt zudem, was Muslime mich über die christliche Präsenz und unser Zeugnis unter ihnen gelehrt haben. Das sind nicht meine Memoiren. Dieses Buch ist vielmehr eine Geschichtensammlung aus meiner Reise, wie ich Muslime kennen und schätzen gelernt habe.

      Ich schreibe dieses Buch mit der Überzeugung, dass jeder Muslim einen Christen zum Freund und jeder Christ einen Muslim zum Freund haben sollte. Im Verlauf des Buches beschreibe ich zwölf Zugänge, die zu einer freundschaftlichen Beziehung zwischen Christen und Muslimen führen. Die Weltbevölkerung besteht zur Hälfte entweder aus Muslimen oder aus Christen. Diese Glaubensgemeinschaften, wie auch die Juden, sind der festen Überzeugung, dass ihr Glaube in Gottes Berufung an Abraham gründet, die Nationen zu segnen. Das bedeutet, dass diese Glaubensgemeinschaften eine besondere Verantwortung dafür tragen, Frieden zu stiften. Der Auftrag, in unserer pluralistischen Welt hingebungsvolle Menschen des Friedens zu sein, zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte Buch.

      Die Frage, die ich damals, vor einem halben Jahrhundert in der Teestube in Mogadischu, erstmals mit Muslimen diskutierte, lautet noch immer: Was bedeutet es, dass das Reich Gottes auf Erden kommen soll? Sowohl gläubige Muslime als auch fromme Christen sehnen sich danach, dass jeder ihrer Lebensbereiche unter Gottes Herrschaft und unter seinem Willen steht. Das Streben nach der Herrschaft Gottes ist unser gemeinsamer Glaubensstrang und unsere gemeinsame Absicht, die uns in manchen Aspekten unserer Arbeit und unseres Handelns als Christen und Muslime zusammenbringen kann. Beispielsweise sind beide Gemeinschaften in ihren Schriften dazu beauftragt, sich um die Waisen zu kümmern.

      Im sechzehnten Jahrhundert führte die Überzeugung der Täufer, all ihre Lebensbereiche unter die Autorität Jesu Christi zu stellen, sie in einen ernsthaften Konflikt mit den damaligen Autoritäten. Europa stand damals im Krieg mit dem muslimischen Osmanischen Reich. Michael Sattler, einer der führenden Täufer, bestand darauf, dass