Wilhelm Borcherding

Unterm Birnbaum von Theodor Fontane: Lektüreschlüssel XL


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Leserinnen und Leser rekonstruieren den Mordfall nach und nach, weil sie immer mehr neue Erkenntnisse über die Einzelheiten erlangen. Sie haben einen entscheidenden Wissensvorsprung vor den ermittelnden Figuren, denn die Vorgeschichte und Teile des Tathergangs sind ihnen aus den Anfangskapiteln schon bekannt.

      Die Kriminalerzählung fällt beim zeitgenössischen Aufnahme durch das PublikumPublikum durch. Zwar unternimmt Fontane mit dem Quitt noch einmal einen letzten Versuch, um mit einem Kriminalroman endlich zu einem literarischen Erfolg zu kommen, aber sowohl die verlegerischen Interessen als auch die ohnehin nicht besonders hohen Erwartungen des Autors bleiben unerfüllt. Fontane zieht die Konsequenzen und beginnt mit dem Verfassen von gesellschaftskritischen Novellen und Romanen, in denen er auf Elemente einer Kriminalerzählung verzichtet.

      2. Inhaltsangabe

      In einem kurzen Zeitraum von nur zwei Jahren geschieht in dem kleinen Ort Tschechin eine Reihe von unerhörten Begebenheiten. Die Novelle beginnt im Übersicht: Ereignisse vom November 1831 bis Oktober 1833November 1831 mit Ausführungen zur Lebenssituation des Ehepaares Hradscheck und zum Dorfleben in Tschechin – und mit einem Mord, der zunächst allerdings nur angedeutet bleibt: Der Handlungsreisende Szulski, der beim Dorfladen- und Gasthofbesitzer Abel Hradscheck Geld eintreiben soll, verunglückt nach seinem Besuch im Dorf angeblich; seine Leiche wird jedoch nicht gefunden. Da sich die Hradschecks zuvor über ihre Geldnöte und eine mögliche Lösung dieses Problems besprechen, ahnen die Leserinnen und Leser bereits, dass es sich beim angeblichen Unfall Szulskis um ein Verbrechen der beiden handeln könnte, auch wenn die Details ihres Planes im Text ausgespart bleiben. Das Verschwinden Szulskis, dessen Abreise und den Unfall mit seiner Kutsche täuscht das Ehepaar Hradscheck vor, und Abel gelingt es, die Tat vor der Dorfgemeinschaft zu verbergen und den Ermordeten in seinem Keller zu verscharren. Ein paar Wochen später soll der Fall Szulski aufgeklärt werden, nachdem sich Gerüchte über eine mögliche Schuld Abel Hradschecks verbreiten. Seine Nachbarin hat in der Mordnacht verdächtige Tätigkeiten in seinem Garten wahrgenommen. Man nimmt Hradscheck in Untersuchungshaft, gräbt unter einem Birnbaum in seinem Garten und stößt auf eine Leiche, bei der es sich allerdings um einen gefallenen französischen Soldaten handelt, der während der Befreiungskriege um 1813 womöglich ermordet und dort vergraben worden ist. Die wenig beliebte Frau des Verdächtigen, Ursel Hradscheck, stirbt nur wenige Monate nach der Einstellung der Nachforschungen und Hradschecks Haftentlassung. Der Rehabilitierte wähnt sich in Sicherheit, wird aber verunsichert, als seine Nachbarin das Gerücht über einen Spuk in seinem Keller streut. Um sicherzugehen, dass er bei möglichen weiteren Nachforschungen nicht als Täter entlarvt wird, will er den Ermordeten in die Oder werfen. Auf mysteriöse Weise findet Hradscheck in seinem Keller bei der Exhumierung der Leiche Szulskis im Oktober 1833 den Tod, nachdem er sich darin versehentlich eingeschlossen hat. Erst als man in der Nähe des Toten die Leiche des Ermordeten findet, können die Anwesenden die Ereignisse zumindest teilweise rekonstruieren und nachvollziehen.

      Kapitel I: Abel Hradscheck genießt, nachdem er seinen Angestellten mit Rapssäcken auf den Weg zu einer Ölmühle verabschiedet hat, für einen Augenblick die Idylle in seinem Garten. Als er in die mit teurem Mobiliar ausgestattete Wohnstube zurückkehrt, trifft er dort auf seine gut gekleidete Frau Ursel. Sie erinnert ihn daran, dass ihre gemeinsamen Kinder vor sieben Jahren starben und flicht anlässlich ihres Sterbetags Trauerkränze. Abel kann ihre Trauer nicht nachempfinden, ihn treiben andere Sorgen um. Ursel nennt vorwurfsvoll einige der Gründe: Abel Geldsorgen aufgrund von Spiel- und Trunksuchtverliert sehr viel Geld beim Spiel und er trinkt. Nachdem Abel seine Frau kurz liebkost, konkretisiert er seine Geldsorgen: Der Besuch eines Handlungsreisenden, dessen Firma Hradscheck Geld schuldet, steht an. Als Begründung für seine Glücksspielerei führt er an, dass er seine Frau und sich »retten möchte« (S. 13).

      Kapitel II: Hradscheck hat auch bei der jüngsten Lotterie kein Glück, so dass er beginnt, andere Nur nicht arm seinPläne für die Überwindung seiner Geldsorgen zu schmieden. In der Gartenarbeit sucht und findet er Ablenkung. Dabei trifft Abel auf Mutter Jeschke, eine alte Kräuterfrau, die er argwöhnisch betrachtet und als »[a]lte Hexe« (S. 19) bezeichnet. Als er nach dem Gespräch weitergräbt, stößt er auf die Leiche eines Soldaten. Während seiner Überlegungen, wie er mit dem Fund verfahren soll, entwickelt er einen in der Erzählung nicht näher beschriebenen Plan, den er nun Ursel unterbreiten will, weil er zu seiner Ausführung ihre Hilfe braucht. Er ist sich ihrer Zustimmung zunächst nicht sicher, meint sie dann aber zum Mitmachen zwingen zu können, weil sie, genauso wie er selbst, die Armut fürchte.

      Kapitel III: Der Gastwirt wendet sich an seine auffällig gut gekleidete Frau, die damit beschäftigt ist, für den Dorfpfarrer ein Geschenk zu sticken. Die beiden streiten sich ein wenig über die Religiosität Ursels: Während Abel betont, dass Ursel dem Pfarrer, der ihr Konvertieren zum Protestantismus möglich gemacht hat, viel zu verdanken habe, meint Ursel, dass die protestantische Dorfgemeinschaft inklusive des Pfarrers gar nicht religiös sei. Der Streit wird heftiger, als Abel ihr vorhält, durch die Ausgaben, die durch ihren kostspieligen vornehmen Lebenswandel entstehen, seine Geldsorgen zu verursachen. Sie widerspricht ihm, indem sie ihre Vorwürfe bezüglich seines Glücksspiels, seiner mangelnden kaufmännischen Fähigkeiten und seines Alkoholkonsums erneut vorbringt und ihn an ihre Entbehrungen während der Erziehung und der Sorge für die Kinder erinnert. Abel kontert ihre Vorhaltungen mit dem Hinweis auf ihren Hochmut und ihr Streben, etwas Besonderes zu sein. Sie stimmen schließlich darin überein, dass sie die drohende Armut verhindern wollen. Als Hradscheck ihr dann seinen Plan dazu vorstellt, der im Text weiterhin ausgespart bleibt, winkt sie zunächst ab, Ursel stimmt dem Plan trotz erheblicher Bedenken zuwilligt aber am Ende ein.

      Kapitel IV: Hradscheck erhält, als er sich gerade mit einigen Bauern beim Kegeln befindet, einen Brief. Dessen Versand, so können die Leserinnen und Leser mutmaßen, hat Hradscheck Vorbereitungen auf die Mordtatselbst organisiert, um nach der Ausführung seines Mordplans keinen Verdacht aufkommen zu lassen, denn er erhält so die Gelegenheit, den anwesenden Bauern vorzuspiegeln, dass Ursel eine Erbschaft antreten soll (er kann also demonstrieren, dass er keine Geldsorgen habe). Die Abreise Ursels, die (vermutlich nach den Planungen ihres Ehemanns) so tut, als hole sie das geerbte Geld, veranlasst einige Frauen, über das »Vornehmtun« (S. 8) Ursels und über Abels Überheblichkeit zu spotten. Auch nach Ursels Rückkehr wollen die Gerüchte und Spekulationen zur Erbschaft der Hradschecks nicht verstummen. Alle Bemühungen, Licht ins Dunkle zu bringen, scheitern. Ein weiterer Brief heizt die Diskussionen unter den Dorfbewohnerinnen und -bewohnern noch an. Was sie aber nicht erfahren, ist, dass es sich um eine Ankündigung des Handlungsreisenden Szulski und zugleich um eine Aufforderung an Hradscheck handelt, die finanziellen Forderungen der von Szulski vertretenen Firma zu begleichen. Die Ehepartner überlegen, wie sie das notwendige Geld beschaffen können, das sie planen, Szulski auszuhändigen. Jeder Partner reagiert auf die bevorstehende Ausführung des Mordplans anders. Hradscheck treibt im Laden mit den Einkäuferinnen unbeschwert seinen Spaß, während Ursel von Nervosität erfasst wird.

      Kapitel V: Ende November erreicht Szulski bei widrigen Witterungsbedingungen den Gasthof in Tschechin. Eine Stunde nach seinem Eintreffen Begleichung der Forderungenübergibt Abel ihm in Gegenwart von Zeugen die geforderte Summe. Bei einem Glas Wein berichtet Szulski dann über die Niederschlagung des polnischen Widerstands gegen die russischen Invasoren. Die anwesenden Bauern folgen gebannt seinen Ausführungen.

      Kapitel VI: Um Mitternacht verlässt Szulski die Runde, um sich in der Giebelstube Hradschecks schlafen zu legen. Auch die Bauern kehren heim. Nach starkem Regen kommt nun ein starker Sturm auf, der die alte Jeschke weckt und sie nach dem Rechten sehen lässt. Dabei nimmt sie Unerklärliche WahrnehmungenLicht bei den Hradschecks wahr, kann jedoch nicht erkennen, ob es aus dem Gasthof oder dem Keller dringt. Schließlich gewahrt sie Hradscheck, der für sie gut sichtbar nach draußen tritt, ein Loch in die Erde gräbt, um es bald darauf wieder zuzuschütten Die alte Jeschke schöpft den Verdacht, dass Hradscheck jemanden getötet und verscharrt haben könnte.

      Kapitel VII: Der Angestellte Hradschecks, Jakob, erscheint, wie am Abend zuvor vereinbart, vor Szulskis Gästezimmer, um ihn um vier Uhr früh zu wecken. Jakob kommt es zwar seltsam vor, dass der Handlungsreisende auf den Weckruf nicht antwortet, er geht aber, ohne