Geistesprodukte der älteren christlichen Nationen ihrem Volke in der heimischen Sprache zu vermitteln. In Betracht kamen in erster Linie die in griechischer und syrischer Sprache verfaßten Werke. Wurden sie dem christlichen Volke von Ararat zugänglich gemacht, dann erhob es sich mit einem Male auf die geistige Höhe der im Christentum fortgeschritteneren Nachbarvölker. Daher sollten diese Werke nun in die armenische Sprache übersetzt werden. Selbstverständlich stand an der Spitze dieser Werke die Heilige Schrift. Der Bestand an syrischen und griechischen Literaturwerken in den Händen der Armenier scheint kein großer gewesen zu sein. Ihr griechischer Literaturbesitz dürfte ein Opfer persischer Zerstörung geworden sein, als das Land unter persische Oberhoheit geriet. So versteht es sich, daß der Katholikos Sahak und Mesrop aus ihren Schülern eine Reihe tüchtiger junger Leute in das syrische und griechische Sprachgebiet, hauptsächlich nach Edessa und Konstantinopel schickten8, damit sie in den Sprachen dieser Gebiete sich tüchtig schulten, Handschriften von Väterwerken abschrieben oder übersetzten und dann mit literarischen Schätzen bereichert nach Armenien zurückkehrten. Die bedeutendsten dieser als „Übersetzer" bezeichneten Männer waren Eznik, Joseph, der spätere Katholikos, Johannes von Egheghia, Koriun, Joseph von Paghen, Levond. Die armenische Überlieferung zählt im ganzen 70 solcher Übersetzer. Der älteren Periode gehören 26 kirchliche und 2 in weltlicher Stellung tätige Männer an 9. Außer den obengenannten sind es Abraham der Bekenner, später Bischof, Ananias der Siuner, ebenfalls Bischof, Ginth, Bischof, Jeremias, Moses, Muschegh, Samuel, Ter Chordsennatzi, Aghan der Artsunier, Ardzan, Giut, Danan, Enoch, Jeremias jerez, Thadik, Chosrow, Musche von Taron, Johann, Jonathan, Tirair. Nur wenige von diesen Übersetzern haben sich durch Abfassung eigener Geisteswerke unter die Väter der armenischen Patrologie eingereiht. Der Tätigkeit dieser Übersetzer ist es aber zu verdanken, daß die bedeutendsten kirchlichen Autoren der vorangegangenen Zeit wie Ignatius von Antiochien, Aristides, Gregorius der Wundertäter, Athanasius, Cyrill von Jerusalem, Basilius, Gregor von Nyssa, Gregor von Nazianz, Ephiphanius, Euagrius aus Pontus und Johannes Chrysostomus, auch Ephräm der Syrer und andere syrische kirchliche Schriftsteller in Armenien heimisch wurden. War aber das Streben, den Zusammenhang mit der griechischen christlichen Kultur zu erhalten und über den syrischen Kulturkreis hinauszuwachsen, ein wesentlicher Antrieb gewesen, sich eine eigene Schrift zu geben, so wurde nach Herstellung dieser Schrift dem Einfluß der griechischen Literatur der größte Spielraum eingeräumt. Während der syrische mit dem fünften Jahrhundert zum Abschluß kam, dauerte der griechische noch mehrere Jahrhunderte fort. Aber auch das Abendland durfte der armenischen Kirche eine literarische Beisteuer reichen. Ihm entstammen die Apologie des römischen Senators Apollonius10, die Werke des Irenäus, von denen die armenische Übersetzungsliteratur nicht nur die Bücher adversus haereses umschloß 11, sondern auch die Expideixis, den Beweis der apostolischen Predigt, für die christliche Welt gerettet hat 12. Zur gleichen Gruppe zählen die Übersetzungen von Schriften des Hippolytus. Wann diese Schriften im einzelnen übersetzt wurden, ist vielfach noch zu untersuchen. Die bedeutsamsten werden mit gutem Grund für die ältesten gehalten, soweit nicht sprachliche Gegengründe im Wege stehen. Allem Anschein nach haben noch während des fünften christlichen Jahrhunderts die meisten der genannten Autoren mit einzelnen ihrer hervorragendsten Meisterwerke in die Übersetzungsliteratur der Armenier Eingang gefunden.
Den Beginn der Tätigkeit bezeichnet die Zeit unmittelbar nach dem Konzil von Ephesus 431. Nach demselben kehrte der genannte Eznik mit den erworbenen Schätzen nach Armenien zurück. Unter diesen befanden sich die Beschlüsse des Konzils und eine Handschrift der griechischen Übersetzung bzw. Textes der Heiligen Schrift.
Während die ausgesandten Schüler ihre Aufgabe lösten, waren Sahak und Mesrop, deren Meister, in Armenien nicht müßig gewesen. Was der Kirche am nötigsten war, stellten sie an den Anfang ihrer Arbeit, die Ubersetzung der Heiligen Schrift. Da sie aber keine griechischen Texte besaßen, mußten sie sich an den syrischen halten und taten es, bis Eznik mit der griechischen Bibel in sein Vaterland zurückkehrte.
Der Vergleich ihrer Übersetzung mit dem griechischen Text gab ihnen Veranlassung zur Revision des bereits Übersetzten und zur Fortführung der Übersetzung nach dem griechischen Texte. Die heimgekehrten Sendlinge arbeiteten nun mit Sahak und Mesrop zusammen an der Übersetzung der Heiligen Schrift. Besonders sind dabei Eznik und Koriun zu nennen. An die Übersetzung der Heiligen Schrift schloß sich die Übersetzung bzw. Bearbeitung der Meßliturgie, und zwar nicht nach syrischem Vorbild, sondern unter Zugrundelegung der griechischen Liturgie des heiligen Basilius, desgleichen wurden die übrigen gottesdienstlichen Texte und Riten ins Armenische übertragen. Indem die Überlieferung hauptsächlich Mesrop oder Maschtotz diese letztere Übersetzung zuschrieb, nannte sie das Rituale geradezu den Maschtotz. Doch wäre es falsch, alle Riten des heutigen Maschtotz diesem Manne zuzuschreiben. Denn nach geschichtlichem Zeugnis haben auch spätere Väter rituelle Texte geschaffen, die in offizielle Übung übernommen wurden. Im fünften Jahrhundert werden solche auch Johannes Mandakuni zugeschrieben.
Durch die Übersetzung der Liturgie und des Ritus und die nationale Schrift gewann die haikanische Sprache eine große nationale oder politische Bedeutung. War seit 385 der größere Teil des Volkes unter persische, der kleinere südwestliche unter griechische Herrschaft geraten, so sollte am Ende des ersten Drittels vom fünften Jahrhundert der der persischen Herrschaft unterworfene Teil des Landes das ihm bisher gelassene suzeräne Königtum verlieren, indem Wramschapuhs Nachfolger, der schwache Artasches, von den Persern abgesetzt wurde und persische Statthalter, Marzpane, die Regierung des Landes übernahmen. Die Gefahr für das Aufhören einer selbständigen Existenz des armenischen Volkes war groß geworden. Daß es seine nationale Eigenart rettete, verdankt es dem mit der Gewinnung der nationalen Schrift ermöglichten Besitz einer eigenen Sprache und deren selbständigem Lebensgebiet im kirchlichen Ritus und in der kirchlichen Liturgie. Durch diese wahrte sich die armenische Nation ihre Eigenart gegenüber anderen Völkern und ihren späteren Unterdrückern. Die einst zur Staatskirche erhobene Religion wurde nach dem Untergang der staatlichen Selbständigkeit nun Trägerin des nationalen Charakters und Gedankens. Kein Wunder, daß sich Religion und Nation fast zur Untrennbarkeit verschwisterten. Bis heute ist die armenische Schrift sogar derart Schutz der nationalen Zugehörigkeit geworden, daß Volksglieder, welche selbst die armenische Sprache nicht mehr kennen, wenigstens in armenischer Schrift schreiben und drucken, was sie in türkischer oder arabischer Sprache ihrem Geiste zuführen. Leider hat diese Stellung der Religion stark zur Lostrennung von der einen katholischen Kirche geführt. Der Bestand der unierten armenischen Kirche dürfte zeigen, daß solche Konsequenzen der kirchlichen Sonderstellung in Liturgie und Ritus nicht notwendig waren.
Das durch die Übersetzungen geweckte Geistesleben suchte seinen Ausdruck auch in selbständigen Geistesschöpfungen armenischer Geistlicher. Wer nach der Analogie anderer Länder erwartet, daß die Bibliotheken uns große Bestände theologischer Werke der geistlichen Führer, dieser Periode, Sahaks und Mesrops, bieten werden, wird enttäuscht sein. Abgesehen von der armenischen Bibelübersetzung und den liturgischen Arbeiten, die auf Sahak zurückgehen mögen, ist uns von diesem Führer des religiösen Lebens nur wenig literarisches Gut überliefert. Dieses wenige selbst erfreut sich nicht durchaus kritisch gesicherter Zuverlässigkeit. In den Sopherkh haikakankh II ist eine Vision Sahaks, sein kanonisches Schreiben an eine Synode von Wagharschapat, ferner je ein Brief an Proklus, an Kaiser Theodosius II., an Attikus, an Akakios und an den Statthalter Anatolius 13 enthalten. Nicht viel reicher erscheint der literarische Nachlaß des Mesrop, soweit selbständige Abhandlungen in Betracht kommen, so reich, wie erwähnt, seine Tätigkeit als Übersetzer für die Heilige Schrift und den armenischen Ritus ist. Erst die neuere Kritik weist ihm die von der Überlieferung dem Illuminator zugeschriebene Predigtsammlung Hatschachapatum zu 14. Dennoch bleibt ihnen der Ruhm, die armenische Literatur begründet zu haben. Denn alles, was aus dieser Zeit herstammt, rührt von ihren Schülern her. So kann man mit N. Fink richtig sagen, daß fast die gesamte literarische Leistung des fünften Jahrhunderts, deren Armenien sich rühmen kann, als ein Denkmal ihres Geistes erscheint 15.
Die von den Schülern Mesrops und Sahaks stammenden Originalarbeiten teilen sich in geschichtliche, theologische, exegetische, homiletische und philosophische Werke. An die Spitze der geschichtlichen Werke ist Agathangelus zu stellen. So ist das anonyme Legenden- und Geschichtswerk benannt, welches uns die Einführung des Christentums