angezeigt, sie gerade mit den niedrigsten, keine Vorbildung erfordernden und am geringsten entlohnten Arbeiten zu beschäftigen, denn dadurch besteht für die einheimische Arbeiterschaft der beachtenswerte Vorteil, daß ihr Aufstieg von der gewöhnlichen, niedrig entlohnten Tagelöhnerarbeit zu der qualifizierten und gut entlohnten Facharbeit wesentlich erleichtert wird.1
Dieses Resümee zog 1918 Friedrich Syrup, der zwei Jahre später, nunmehr in der Weimarer Republik, erster Leiter des Reichsamtes für Arbeitsvermittlung wurde und der während der NS-Herrschaft als Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz die Zwangsarbeit maßgeblich mitorganisierte. In diesen Absätzen fasste Syrup nicht nur die bisherigen Erkenntnisse zum Phänomen der ausländischen Arbeitsmigration zusammen. Er formulierte gleichzeitig auch das Verwertungskalkül, unter dem ausländische Arbeitnehmer*innen auch künftig betrachtet wurden und das trotz aller »volkstumspolitischen« Einwände im Zweifel überwog. Die »Arbeitsfähigkeit« entschied darüber, ob eine wegen ihrer Herkunft geringgeschätzte und damit für das »Deutschtum gefährliche« Gruppe dennoch zeitweilig als nützlicher Teil der Bevölkerung in Deutschland akzeptiert wurde.2
Die Migration von Arbeiter*innen war bereits im gesamten 19. Jahrhundert Normalität gewesen, wobei Sesshaftigkeit und Mobilität zunächst auf regionaler Ebene ausgehandelt wurden. Die Historikerin Katrin Lehnert hat am Beispiel Sachsens herausgearbeitet, wie die Behörden in den 1830er Jahren zunächst versuchten, das Gesinde, hochmobile junge Frauen und Männer, die traditionell auch aus dem benachbarten Böhmen auf Zeit zum Arbeiten kamen, gegen deren Widerstand zur Sesshaftigkeit zu bewegen. Gegen Ende des Jahrhunderts war schließlich die Freizügigkeit nur der Ausländer beschränkt worden, während Deutsche das Recht auf Freizügigkeit – zu kommen, zu gehen oder zu bleiben – nun in allen deutschen Bundesstaaten zuerkannt bekamen. Die deutschsprachigen Böhmen, die formaljuristisch Ausländer*innen waren, durften allerdings auch weiterhin nach Sachsen kommen, während tschechischsprachige Böhmen als Ausländer*innen nicht nur in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt wurden, sondern weitere rechtliche und soziale Diskriminierungen erfuhren.3 Mobilität und Arbeit entwickelten sich zu den zentralen gesellschaftlichen Feldern, auf denen die Trennung und Hierarchisierung von ›Deutschen und Ausländern‹ stattfand und das spezifische Bild des Ausländers sein Gepräge bekam.
In den 1880/90er Jahren hatte sich Deutschland vom Auswanderungs- zum Einwanderungsland, oder wie es 1922 ein Zeitgenosse treffender nannte, zum »Arbeitseinfuhrland« gewandelt. Die transatlantische Auswanderung der Deutschen kam für eine Weile zum Stillstand, doch Deutschland selbst war längst Ziel und Schauplatz größerer Migrationsbewegungen geworden: Zum einen gab es die kontinuierliche Transitmigration von Menschen aus Russland und den ehemaligen polnischen Gebieten – darunter sehr viele Jüdinnen und Juden, die dort diskriminiert und verfolgt wurden –, die auf ihrem Weg nach Westen insbesondere in die norddeutschen Hafenstädte und von da in die USA reisten. Zum anderen ist die Arbeitsmigration zu nennen, die mehrheitlich vom Osten und Süden Europas ins Deutsche Reich stattfand.
Die rasante Industrialisierung hatte die innerdeutsche Migration in die Industriezentren des Westens verstärkt und den »Leutemangel« in der ostdeutschen Landwirtschaft verschärft, der wiederum durch Arbeitskräfte aus den polnisch, ukrainisch bzw. ruthenisch dominierten Grenzgebieten ausgeglichen wurde. Im weiteren Verlauf wurden ausländische Arbeitsmigrant*innen jedoch auch in der Industrie und im Baugewerbe im gesamten Kaiserreich nachgefragt. Die meisten der 1,2 Millionen ausländischen Arbeiter*innen, die kurz vor dem Ersten Weltkrieg in Deutschland arbeiteten, waren Pol*innen, an zweiter Stelle standen die größtenteils männlichen Arbeiter aus Italien.
Der Mannheimer Generalanzeiger meldete im Januar 1907 die »Masseneinwanderung von italienischen Arbeitern«, insgesamt 350 Personen, die nach der Schiffsüberfahrt von Bregenz nach Konstanz Richtung Schwarzwald weitergezogen seien.4 Im März wurde dann gar eine »italienische Invasion« angekündigt: 8000 Italiener seien allein im Februar über Konstanz ins Innere Deutschlands weitertransportiert worden, 2670 von ihnen nach Mannheim.5 Bereits um die Jahrhundertwende soll es in der Mannheimer Neckarvorstadt ein von der katholischen Kirche betriebenes Betreuungszentrum und einen italienischen Seelsorger für die Saisonarbeiter*innen gegeben haben.6 Im Großherzogtum Baden waren 1907 etwa 14 250 Arbeiter*innen ansässig, die in Italien geboren waren; sie stellten vor jenen aus Österreich und der Schweiz die weitaus größte Herkunftsgruppe.
Die Hälfte von ihnen arbeitete im Baugewerbe, weitere große Teile in der Steine- und Erdenindustrie sowie in der Textilindustrie – diese Branchen hatten mit 15 bis 17 Prozent auch die höchsten Anteile an ausländischen Arbeitnehmer*innen insgesamt.7 In der Textilindustrie arbeiteten zudem zahlreiche Italienerinnen. Obwohl Italiener*innen auch innerhalb Deutschlands, besonders im Süden und Westen, hochmobil waren und oftmals von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz wanderten, wurden einige im Laufe der Jahre sesshaft, womit der Anteil der Frauen weiter wuchs.8 Zwischen 1889 und 1907 wurden in Baden 361 italienische Staatsbürger*innen naturalisiert, was etwa zehn Prozent der Einbürgerungen ausmachte. Saisonale Arbeitsmigration mündete also durchaus in Einwanderung, und Bundesstaaten wie Baden waren in ihrer Einbürgerungspraxis auch relativ freigiebig. Mehr als ein Drittel der Eingebürgerten in Baden waren allerdings (zumeist ›deutschstämmige‹) Österreicher*innen, und in Preußen stellten die Niederländer*innen stets die Mehrheit der Naturalisierten.9
Doch genau wie in Preußen wurden auch im liberalen Baden sowohl sesshaft gewordene Einbürgerungswillige als auch Arbeitsmigrant*innen zunehmend auf der Grundlage ihrer Herkunft hierarchisiert und entsprechend bewertet. Russisch-polnische Arbeiter*innen nahmen dort ebenfalls die unterste Position ein, obwohl es keine Tradition einer »antipolnischen Politik« gab wie in Preußen und trotz ihrer offensichtlich geringen Anzahl: 1907 waren in Baden nur 450 Arbeiter*innen mit dem Geburtsland Russland erfasst, wobei es sich hauptsächlich um »polnische Russen« gehandelt haben wird. Dennoch taxierte man sie auch dort anhand jener Wissensbestände, die man wohl aus Preußen übernommen hatte, das als dominantester Bundesstaat stets bestrebt war, seine Maßgaben, in vorliegendem Fall bezüglich der Ausländerpolitik, im ganzen Reich durchzusetzen. In einem Bericht des badischen Gewerbeaufsichtsamtes von 1911 heißt es entsprechend, dass »ein in der Rasse begründeter wesentlicher Unterschied« zwischen dem »Italiener« und dem »Polen« bestehe. Ersterer sei »frühreif und intelligent« und ziehe sich allmählich von der körperlich schweren Arbeit zurück in Tätigkeiten, »in denen Handfertigkeit und Tüchtigkeit« erforderlich seien.
Nicht so der Pole; ihm ist Beschäftigung, die ein Mindestmaß an Denkarbeit verlangt, am liebsten. Seiner Kulturstufe entsprechend besitzt er Eigenheiten, die kindlichen Unarten gleichkommen. Er drückt sich gern vor der Arbeit, muß immer geschoben und beaufsichtigt werden. […] Mit besonderer Vorliebe wird er »krank«.
Das antisemitische Moment dieser Bewertung wird durch den Kommentar sichtbar, dass der »Betätigung des stark entwickelten Geschäftssinnes« durch diesen »Mangel an Energie und Selbstzucht eine Grenze gesetzt« sei. Diese mangelhafte Leistungsfähigkeit wiederum sorge dafür, dass da, wo »man billige Arbeitskräfte nötig zu haben glaubt […], der Pole den Italiener« verdränge.10
Einige Zeilen zuvor wurden allerdings die rechtlichen und strukturellen Unterschiede geschildert, die diese Differenzen viel besser hätten erklären können. Beispielsweise standen die Italiener*innen, die sich innerhalb Deutschlands frei bewegen durften und zum großen Teil auf eigene Faust kamen, unter dem Schutz der italienischen Regierung, welche bereits damals gewisse Grundrechte für ihre Staatsbürger*innen einforderte, deren Einhaltung ihr Generalkonsulat vor Ort überwachte. Die polnischen Arbeiter*innen wurden dagegen von Vermittlungsfirmen quasi als Leiharbeiter*innen verkauft. Diese holten sie an ihrem Heimatort ab und brachten sie nach Ablauf des Arbeitseinsatzes in »Kampagnen« wieder an die deutsche Grenze zurück. Das entsprach der Rechtslage für polnische Arbeiter*innen, deren Freizügigkeit und Arbeitsmarktzugang stark reglementiert waren. Sie durften zudem nicht den Arbeitgeber wechseln, da ihnen ansonsten Abschiebung drohte. Somit hatten sie gar keine Auswahl, was ihre Arbeitsstätten betraf, und wurden automatisch für die »niedrigsten Arbeiten« eingesetzt. Dass ihnen nur diese Arbeitsstellen offenstanden, wurde ihnen dann allerdings als Ausdruck ihrer Minderwertigkeit ausgelegt.
Max Weber hatte in der Produktion der Herkunftshierarchie unter Arbeiter*innen