Dietrich Schulze-Marmeling

Der FC Bayern, seine Juden und die Nazis


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Russland geht – den Erzfeind, in dem Juden immer wieder Opfer von Pogromen geworden sind. Sogar aus Palästina kommen deutschstämmige Juden herbeigeeilt, um dem »Vaterland« beizustehen.

      Landauer an der Front

      Für Golo Mann war der gewöhnliche deutsche Jude, ob getauft oder ungetauft, deutsch in seinen Tugenden, deutsch in seinen Lastern, deutsch in Kleidung, Sprache und Manieren, patriotisch und konservativ. Auch für Gordon Craig gab es »nichts Deutscheres als jene jüdischen Geschäftsleute, Ärzte, Anwälte und Gelehrten, die sich 1914 ganz selbstverständlich freiwillig zum Kriegsdienst meldeten«.

      Zu ihnen gehört auch Bayerns Präsident Kurt Landauer. Er erlebt den Ersten Weltkrieg im Dienstgrad eines Vizefeldwebels und stellvertretenden Offiziers. Am 23. Juli 1917 bekommt Landauer vom Königlichen Bezirkskommando II München ein Zeugnis ausgestellt, das ihn »nach seinen bürgerlichen und sonstigen Verhältnissen für würdig und geeignet zur Beförderung zum Offizier erachtet«.

      Landauer-Neffe Uri Siegel: »Er war in diesem Rang beim Train (eine Art Ausbildungs- und Nachschubkompanie, d. A.), ab 1917 Leutnant bei einer Minenwerfer-Kompanie. Er nahm an Stellungskämpfen an der Somme, Kämpfen an der Aisne und an der Doppelschlacht an der Aisne-Champagne teil. Landauer erhielt den Verdienstorden 4. Klasse mit Schwertern und das EK II.«

      Auch Otto Albert Beer, der spätere jüdische Jugendfunktionär des FC Bayern, ist Kriegsfreiwilliger; zuletzt dient er als Leutnant der Reserve. Ebenso Julius Hirsch, Deutschlands zweiter jüdischer Nationalspieler, der das EK II und die Bayerische Dienstauszeichnung verliehen bekommt.

      Während der Krieg unter fürchterlichen Opfern auf der Stelle tritt, versucht »Kaiserjude« Albert Ballin seine Kontakte zu nutzen, um die USA vom Kriegseintritt abzuhalten und Kaiser Wilhelm II. zum Verzicht auf einen uneingeschränkten U-Boot-Krieg zu bewegen. Beides scheitert. Am Ende des Krieges gehört Ballin zu den wenigen führenden Kräften Deutschlands, die im Ausland noch als integre Personen betrachtet werden. Auf Wunsch der Obersten Heeresleitung führt er Friedensgespräche mit England. Ebenjene Herren werden später die Dolchstoßlegende strapazieren, derzufolge oppositionelle »vaterlandslose« Zivilisten in der Heimat (sprich: Sozialdemokraten) und das »internationale Judentum« die militärische Niederlage verursacht hätten. Als Albert Ballin 1918 sein diplomatisches und unternehmerisches Lebenswerk zerstört sieht, setzt er seinem Leben mit Gift ein Ende.

      Urheber des »Dolchstoß«-Begriffs ist nach Recherchen des Historikers Boris Barth übrigens der spätere langjährige TSV-1860-Funktionär Dr. Ernst Müller-Meiningen, der am 2. November 1918 im Münchner Löwenbräukeller den zur räterepublikanischen Revolution bereiten Zuhörern entgegenruft: »Wir müssten uns vor unseren Kindern und Enkeln schämen, wenn wir der Front in den Rücken fielen und ihr den Dolchstoß versetzten.«

      Eine Zählung und ihre Folgen

      Die Hoffnungen der deutschen Juden werden also bitter enttäuscht. Je aussichtsloser sich das Kriegsgeschehen für die Deutschen entwickelt, desto stärker wird die Welle des Antisemitismus. 1916 ordnet das Kriegsministerium eine sogenannte Judenzählung im Heer an, angeblich um dem Vorwurf nachzugehen, die Juden drückten sich vor dem Kriegsdienst. Die für die Zählung zuständigen Beamten sind Antisemiten, und de facto bedeutet die Aktion, dass der bisherige Burgfrieden aufgekündigt wird.

      Für den Antisemitismus-Forscher Peter Pulzer trug »kein anderer Akt des Krieges mehr dazu bei, die Juden zu entfremden und an ihren Status als Stiefkinder zu erinnern«. Der Militärhistoriker Wolfram Wette sieht in der Zählung eine neue Stufe des Antisemitismus im deutschen Offi-zierskorps, der sich von der Kaiserzeit bis zur Zeit des Nationalsozialismus gehalten und die Verbrechen der Wehrmacht im Osten, besonders ihre Beteiligung am Holocaust, ermöglicht habe.

      Unter den deutschen Soldaten, die am Krieg beteiligt waren, befanden sich rund 100.000 Juden, von denen 78 Prozent »Frontdienst« leisteten und etwa 12.000 ums Leben kamen. Mehr als 10.000 waren Freiwillige, fast 30.000 wurden ausgezeichnet, über 19.000 befördert und über 2.000 zu Offizieren ernannt.

      Doch die Antisemiten lassen sich durch diese Zahlen nicht beeindrucken. In Schmähschriften wird behauptet, die Juden seien »Drückeberger« gewesen und das »jüdische Blutopfer« habe nicht seinen »pflichtgemäßen Anteil« erreicht. Gordon Craig: »Es war das tragische Dilemma der deutschen Juden, dass sie (…) die Feindseligkeit ihrer Mitbürger umso mehr entfachten, je ähnlicher sie ihnen wurden. (…) Ihre Leistungen und ihre Hingabe (brachten) ihnen nicht die erstrebte Anerkennung ein; und Wohlhabenheit und Bildung, die die Aufklärung als Schlüssel zur Integration betrachtete, nützten ihnen nichts.«

      Walther Rathenau hatte bereits 1911 erkannt: »In den Jugendjahren eines jeden deutschen Juden gibt es einen schmerzlichen Augenblick, an den er sich zeitlebens erinnert: wenn ihm zum ersten Mal voll bewusst wird, dass er als Bürger zweiter Klasse in die Welt getreten ist, und dass keine Tüchtigkeit und kein Verdienst ihn aus dieser Lage befreien können.«

      Nach dem Ersten Weltkrieg nimmt der Antisemitismus erst richtig an Fahrt auf – auch und gerade in München. Die Politik des FC Bayern wird dadurch kaum beeinflusst. Der Klub wird sich in den Weimarer Jahren nicht nur einen jüdischen Präsidenten, sondern auch gleich vier jüdische Trainer leisten.

      Kapitel 3

      Antisemiten und »Pioniere der Moderne«

      Wenige Monate nach dem Ende des Ersten Weltkriegs kehrt William J. Townley nach München und zum FC Bayern zurück. Der Trainer-Pionier aus England findet ein Land und eine Stadt vor, die sich seit seinem kriegsbedingten Fortgang im August 1914 grundlegend verändert haben.

      Am 9. November 1918 gibt Reichskanzler Max von Baden eigenmächtig bekannt, Kaiser Wilhelm II. habe abgedankt. Der Adelige will die Monarchie retten, aber noch am selben Tag proklamiert der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann von einem Fenster des Berliner Reichstagsgebäudes aus die Republik. Am 11. November wird der Erste Weltkrieg mit der Unterzeichnung eines Waffenstillstandsabkommens beendet. Wenige Stunden später schweigen an allen Fronten die Waffen – nach über vier Jahren des blutigen Kampfes, den fast zehn Millionen Menschen mit ihrem Leben bezahlten.

      Aus den Wahlen zur verfassungsgebenden Nationalversammlung am 19. Januar 1919 gehen die Mehrheits-Sozialdemokraten von der SPD mit 37,9 Prozent als stärkste Partei hervor. Die linksliberale Deutsche Demokratische Partei (DDP) kommt auf 18,5 Prozent. Das katholische Zentrum wird von 19,7 Prozent gewählt, der sozialistischen USPD, einer Linksabspaltung von der SPD, geben 7,7 Prozent ihre Stimme. Die großen Verlierer sind die dezidiert republikfeindliche Deutschnationale Volkspartei (DNVP), die auf nur 10,3 Prozent kommt, und die nationalliberale Deutsche Volkspartei (DVP), für die sich lediglich 4,4 Prozent erwärmen.

      SPD, DDP und Zentrum bilden die »Weimarer Koalition«. Erster Reichspräsident wird der Sozialdemokrat Friedrich Ebert, erster Reichsministerpräsident sein Parteikollege Philipp Scheidemann.

      Die bürgerlichen deutschen Juden votieren zunächst vor allem für die DDP, der u. a. Albert Einstein, Walther Rathenau, Rudolf Mosse, Theodor Wolff und Hugo Preuß, der »Schöpfer« der Weimarer Verfassung, angehören. Zu Beginn des kurzlebigen Aufstiegs der linksliberalen Sammelpartei geben »mindestens die Hälfte, wenn nicht sogar zwei Drittel (…) der jüdischen Wähler« (Hans-Ulrich Wehler) der DDP ihre Stimme. Die »linken« deutschen Juden bevorzugen die SPD, zugleich die prowestlichste Partei in Weimar, die bis zum Ende der Republik am durchgängigsten und – vergleichsweise – unmissverständlichsten Position gegen den Antisemitismus bezieht. Mit Eduard Bernstein und Rudolf Hilferding haben die Sozialdemokraten prominente jüdische Politiker in ihren Reihen. Als die DDP 1930 mit völkischen Nationalisten und anderen Kräften fusioniert und in der Deutschen Staatspartei aufgeht, suspendiert sie ihre Kritik am Antisemitismus, ist für die deutschen Juden nicht mehr wählbar und verschwindet in der Bedeutungslosigkeit.

      In Teilen der katholischen Zentrumspartei lebt der christliche Antijudaismus weiter. Bei aller Abgrenzung zum antisemitischen Radikalismus werden Juden hier vielfach als Urheber der zerstörerischen Tendenzen der Moderne betrachtet.

      Die DVP verfolgt in Sachen Antisemitismus zunächst einen »Mittelweg«. Die Führung bezieht zwar dagegen Stellung, will aber gleichzeitig keine völkisch