Dietrich Schulze-Marmeling

Der FC Bayern, seine Juden und die Nazis


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»jüdische Vorherrschaft« auf und schließt Juden von einer Mitgliedschaft aus.

      Die Republik ist von Beginn an eine fragile Angelegenheit, denn es mangelt ihr an überzeugten Demokraten und Republikanern. Für die deutschen Juden bedeutet Weimar zunächst einen hoffnungsvollen Neubeginn, doch der Antisemitismus ist von Anfang an Dorn im Fleische und ständiger Begleiter der ersten deutschen Demokratie.

      »Judenrepublik«

      Die Weimarer Verfassung wird vom liberalen Juristen und DDP-Politiker Hugo Preuß ausgearbeitet, einem profilierten Kritiker des Obrigkeitsstaates. Preuß wird anschließend auch erster Reichsinnenminister der Republik. Seine Gegner beschimpfen den in Berlin geborenen Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie als »Hugo Preuß aus Jerusalem«.

      Bei der nationalistischen Rechten gelten die demokratischen Ideen der Französischen Revolution als »dem deutschen Wesen« fremd. Und dass ein Jude bei der Formulierung der Verfassung die Feder geführt hat, bestärkt sie nur in ihrer Meinung, dass es sich bei der Demokratie um eine »undeutsche« Angelegenheit handelt. Die neue Ordnung wird als »Judenrepublik« denunziert.

      In München wird die »Republik-Werdung« von einer ersten antisemitischen Gewaltorgie begleitet. Im November 1918 wird auch die bayerische Metropole von revolutionären Wirren heimgesucht. Am 7. November 1918 erklärt der USPD-Politiker Kurt Eisner, ein aus Berlin stammender Sohn eines jüdischen Textilfabrikanten und Intellektueller – insbesondere seine geschliffenen Nietzsche-Kritiken genießen hohe Anerkennung –, auf einer Versammlung der Arbeiter- und Soldatenräte im Mathäserbräu die Dynastie Wittelsbach für abgesetzt und ruft die Republik Bayern als Freistaat aus.

      Die Räte wählen Eisner zum ersten Ministerpräsidenten der bayerischen Republik, der kurz darauf ein Regierungskabinett aus Mitgliedern der SPD und USPD bildet, in dem die Mehrheitssozialdemokraten die wichtigsten Ressorts besetzen. Eisners Programm ist moderat, besteht in seinem Kern aus bürgerlich-demokratischen und sozialen Zielen.

      Erster Kultusminister des Freistaats wird Gustav Landauer, Vertreter eines undogmatischen Sozialismus und Anarchismus und wie sein Ministerpräsident Jude.

      Die führende Rolle einiger Juden reicht vielen Münchnern, um die Revolution als »jüdisches Projekt« zu betrachten. So auch Thomas Mann, der am Tag der Revolution in seinem Tagebuch notiert: »München, wie Bayern, wird regiert von jüdischen Literaten. Wie lange wird es sich das gefallen lassen? (…) Das ist Revolution! Es handelt sich so gut wie ausschließlich um Juden.«

      Aber auch große Teile der jüdischen Gemeinde begleiten die revolutionären Ereignisse mit tiefem Unbehagen. Ein Großteil der Gemeinde zählt zum bürgerlichen Milieu, ist mitnichten radikal gestimmt, denkt liberal oder konservativ. Wie die Münchner Stadthistorikerin Heike Specht schreibt, waren »nicht wenige treue Wähler der Bayerischen Volkspartei«. Die BVP war gewissermaßen eine bayerische Ausgabe der Zentrumspartei, von der sie sich vor allem in der Föderalismusfrage und durch einen noch größeren Konservativismus unterschied, und eine Interessenvertretung von Besitzbürgertum und Industrie. Bis 1933 wird die BVP Bayerns stärkste politische Partei bleiben.

      Antisemitischer Furor

      Münchens Fußballmacher plagen andere Sorgen. Die politische Umwälzung bedroht die Unabhängigkeit ihres Spiels. Schließlich sind die neuen Machthaber nicht gerade als Freunde des bürgerlichen Sports bekannt, sondern frönen ganz eigenen Vorstellungen.

      Walther Bensemann, weiterhin häufig zu Gast in München, ersucht deshalb um eine Audienz bei Eisner, die ihm zu seiner Überraschung auch prompt gewährt wird. Dem bürgerlich-liberal gesonnenen Bensemann, der für die Sozialisten wenig übrig hat, ist der Revolutionär Eisner nicht unsympathisch. Wie Bensemann besitzt auch Eisner ein Faible für die Boheme-Kultur. Bensemann nennt ihn später »den fähigsten Kopf seiner Partei«. Der Ministerpräsident versichert dem Fußballemissär, dass die neue Regierung die Unabhängigkeit des Sports nicht anzutasten gedenke.

      Wenig später erleidet das sozialistische Experiment einen schweren Rückschlag. Bei den Landtagswahlen vom 19. Januar 1919 wird die USPD vernichtend geschlagen. Nur fünf Prozent votieren für die Linkssozialisten. Am 21. Februar will Eisner seinen Rücktritt erklären. Doch auf dem Weg von seinem Amtssitz zum Landtag feuert ein Attentäter aus unmittelbarer Nähe zwei Schüsse auf Bayerns ersten Ministerpräsidenten, die ihn tödlich treffen.

      Geschossen hat der völkisch-nationalistische Student Graf Anton Arco-Valley, ein mit der Absetzung der Wittelsbacher beurlaubter Leutnant des bayerischen Infanterie-Regiments. Über sein Motiv schreibt er vor der Tat: »Ich hasse den Bolschewismus, ich liebe mein Bayernvolk, ich bin ein treuer Monarchist, ein guter Katholik. (…) Er (Eisner, d. A.) ist Bolschewist. Er ist Jude. Er ist kein Deutscher. Er verrät das Vaterland.«

      Im folgenden Chaos konstituiert sich ein provisorisch regierender Zentralrat der bayerischen Republik. In der Folgezeit streitet man heftig über die Frage »Parlamentarismus oder Räterepublik«, wobei die Räte-Befürworter bald durch die Ausrufung einer sozialistischen Räterepublik in Ungarn Auftrieb erhalten. Am 7. April wird in München die Räterepublik proklamiert, und Thomas Mann schreibt in sein Tagebuch: »Wir haben ›Räteregierung‹ à la russe.«

      Viele Münchner Juden fürchten nun einen antisemitischen Furor. Einer von ihnen ist Sigmund Fraenkel, der langjährige Vorsitzende des orthodoxen Synagogenvereins Ohel Jakob und Propagandist eines »bodenständigen bayerischen Judentums«. Fraenkel verfasst einen offenen Brief an einige jüdische Köpfe der Räterepublik, in der er diese als »landfremde, des bayerischen Volkscharakters unkundige Phantasten und Träumer« denunziert. Man habe geschwiegen, »weil wir fürchteten, unsere Glaubensgemeinschaft zu schädigen, wenn wir Sie in der Öffentlichkeit abschütteln. (…) Der heutige Tag, an dem Tausende und aber Tausende von aufreizenden antisemitischen Flugblättern in Münchens Straßen verteilt wurden, zeigt mir mit aller Deutlichkeit die Größe der Gefahr, die nicht die Bekenner unserer Glaubensgemeinschaft, sondern das Judentum selbst bedroht, wenn die große Masse von Münchens werktätiger Bevölkerung die erhabenen Lehren und Dogmen der jüdischen Religion in ideellen Zusammenhang mit den bolschewistischen und kommunistischen Irrlehren bringt, die Sie seit Wochen den durch die viereinhalbjährige Kriegsdauer zermürbten und verwirrten Volksmassen predigen. (…) Dieses Judentum hat Sie und Ihre verworrenen und krausen Phantasien nicht gebraucht.«

      Sigmund Fraenkel behält mit seinen Befürchtungen recht, verkennt aber, dass der Antisemitismus auch dann bestens funktioniert, wenn Judentum nicht mit »bolschewistischen und kommunistischen Irrlehren« assoziiert wird. Einige Jahre später, Deutschland und München werden durch die Inflation malträtiert, wird man den Münchner Ostjuden nunmehr »kapitalistische Raffgier« vorwerfen: Sie hätten sich zum Schaden der bayerischen Bevölkerung an der heimischen Wirtschaft bereichert.

      Am 30. April 1919 begehen Freikorps in den Vororten Münchens grausame Massaker an Angehörigen der »Roten Armee« der Räterepublik und unbeteiligten Zivilisten. Gustav Landauer, der der Räterepublik längst den Rücken gekehrt hat, wird inhaftiert, geprügelt, gefoltert und, wehrlos am Boden liegend, erschossen. Anschließend wirft man seinen Körper in die Waschküche des Gefängnisses. Am 2./3. Mai 1919 wird München von der Reichswehr und rechtsradikalen Freikorps eingenommen.

      Die meisten führenden Mitglieder der Münchner Räterepublik werden vor Standgerichten des Hochverrats angeklagt. Gegen Ernst Toller und Erich Mühsam, aus Posen (Deutsches Reich, später Polen) bzw. Berlin stammende jüdische Literaten, werden fünf bzw. 15 Jahren Festungshaft verhängt. Eugen Lévine, Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie aus St. Petersburg und Kopf der zweiten Münchner Räterepublik, wird sogar zum Tode verurteilt und am 5. Juni 1919 im Gefängnis Stadelheim erschossen. München hat seinen ersten antisemitischen Furor, kaschiert als Niederschlagung des Bolschewismus.

      Die Räterepublik verschwindet, und mit ihr das »linke Judentum« Münchens. Der Antisemitismus aber bleibt und wird im Laufe der Weimarer Republik weiter zunehmen. München wird zu seiner Hochburg. Heike Specht: »Krieg, Revolution und Räterepubliken (veränderten) die Atmosphäre in der Stadt und damit auch die Parameter jüdischen Lebens in ihr dauerhaft. Mehr und mehr wurde München zum Sammelbecken für chauvinistische, revisionistische und antisemitische Kräfte und Gruppierungen.«