Bo Balderson

Der Fall des Staatsministers


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eine Serie fataler Umstände zu seinem Amt, obwohl er durch Erbschaft weite Teile der schwedischen Industrie besitzt. Seine Regierungskollegen haben gelernt, mit ihm und seiner Vergangenheit vor Augen zu leben und zu arbeiten, Herr Geijer jedoch – obgleich in mancherlei Hinsicht ohne Vorurteile – ist nie über dessen Beförderung hinweggekommen.)

      Der mittägliche Verkehr hatte bereits beträchtlich zugenommen, doch die imposante Limousine schoß wie ein Hai unter kleinen Fischen vorwärts – ich vermute, anderen Fahrern geht im Kopf herum, welch enorme Summe ein Zusammenstoß und die Beschädigung eines solchen Vehikels kosten muß, und weichen darum aus und suchen keinen Streit. Wir hätten binnen zwanzig Minuten in Spånga sein können, wenn nicht ein Jüngling vom Rücksitz gerufen hätte, daß Mama Käse von Arvid Nordquist und Wäsche aus der Kanzlei brauchte. (Die Familie hat die seltsame Angewohnheit, dort ihre Wäsche auszutauschen. Wenn es an der Zeit ist, transportiert der Staatsminister den Sack mit dem beschmutzten Leinenzeug aus Spånga und stellt ihn im Flur des Justizministeriums ab, wo ihn die Wäscherei im späteren Verlauf des Tages mitnimmt im Austausch gegen einen Beutel mit jetzt gewaschener und gebügelter Wäsche. Ich erinnere mich, daß der älteste Sohn des Staatsministers einmal auf einen der Säcke den Schriftzug »Justizministerium – abgehende Post« pinselte. Der Fotograf einer Abendzeitung, der zufällig des Weges kam, fing den Staatsminister unter der ungeheuren Last ab, und dieser stand – vollkommen unverdientermaßen und von recht kurzer Dauer – in dem Ruf, der Arbeitssklave der Regierung zu sein.)

      Der Käse wurde gekauft, doch im Anschluß an einen kurzen, verworrenen Dialog mit sich selbst verschob der Staatsminister den Wäschewechsel mit Rücksicht auf Herrn Geijers Gefühle auf den nächsten Tag, und wir waren schon an der Staatskanzlei vorübergeflossen, als der Staatsminister abermals von sich hören ließ: »Rydlander! Wir sollten doch auch Justizchef Rydlander mitnehmen!«

      Käse und Wäsche interessieren mich nicht, Justizchefs hingegen schon. Der Justizchef ist bekanntlich der höchste Beamte innerhalb eines Staatsministeriums, der Fragen von gesetzgebendem Charakter vorbereitet. Ich erwog selbst einmal, Jura zu studieren, mein Vater jedoch wendete ein, es gebe bereits so viele Juristen, daß man die Erde mit ihnen düngen könnte, und damals hörte man noch auf seine Eltern, und so kam ich dann zu den Geisteswissenschaften und meiner Lehrerlaufbahn. Doch das Interesse für die Jurisprudenz, vor allem für stilistische Probleme der Gesetzesschreibung, hat nie nachgelassen, und ich hatte viele Male den Staatsminister nach seinem Justizchef befragt, doch er hatte nur ein verwirrtes Gesicht gemacht und gemurmelt: »Rydlander? Er ist groß ... und dann hat er auch noch Schuppen gehabt ...«

      Als Charakterisierung eines der höchsten Beamten im ganzen Ministerium ist dies unleugbar ein wenig dürftig, und deshalb war ich nun froh, dem Mann persönlich begegnen und mir eine Meinung über ihn bilden zu können.

      »Da drüben steht er!« rief der Staatsminister und begann einen Ankerplatz zu suchen.

      Er ist tatsächlich groß, der Justizchef Rydlander. Hoch aufgeschossen, gerade gewachsen und breite Schultern. Die imposante Erscheinung eines Beamten in Schwarz vom Hut bis zu den Schuhen. Doch an den Bewegungen war etwas seltsam ... Die Hände flatterten in schnellen, nervösen, ruckartigen Bewegungen zu den Schultern.

      »Was hat er?« flüsterte ich. »Was macht er da?«

      »Die Schuppen«, antwortete der Staatsminister.

      »Die Schuppen?«

      »Er glaubt, er hat Schuppen auf dem Kragen und den Schultern und versucht sie abzubürsten ... Hallo, hoffe, Sie mußten nicht warten!«

      Ich konnte jetzt das Gesicht des Mannes studieren. Auch das war ein eigenartiges Erlebnis. Soweit ich erkennen konnte, besaß er kein Gesicht im herkömmlichen Sinne. Bloß ein großes, konturloses Feld zwischen Hutkrempe und Kinn. Eine dicke, eulenrunde Brille füllte einen Teil des Leerraums aus, ein kleiner Abschnitt wurde von einem schmalen, nervösen Lächeln in Anspruch genommen. Wir wurden einander vorgestellt; stramm an den Sitz gefesselt, vermochte ich nicht, ihm die Hand zu reichen, sondern lediglich mich leicht zu verneigen. Der Staatsminister riß mit einer einladenden Geste die Tür zum Rücksitz auf. Justizchef Rydlander schaute ins Wageninnere, wich zurück und befeuchtete die Lippen.

      »Es ... es scheint mir da drinnen voll zu sein«, stellte er fest und schlug sich auf die Schultern.

      »Sie können sich doch ganz dicht ans Fenster klemmen, wenn Sie Johan auf den Schoß nehmen!« rief aus dem Fond derselbe Jüngling, der seinen Vater an den Käse erinnert hatte. »Aber passen Sie auf, daß Sie sich nicht in was Schmieriges setzen. Jemandem da hinten ist eben das Eis heruntergefallen.«

      Der Justizchef murmelte etwas, das ich als das Wort »Taxi« interpretierte, doch der Staatsminister versetzte ihm einen freundlichen Klaps auf den Hintern, und mit einem kurzen, nervösen Aufschrei wurde die schwarz gekleidete Gestalt von der Masse verschluckt.

      Ich lächelte grimmig in meinen Seilen vor mich hin. Es freut mich immer, wenn die Obrigkeit in unmittelbaren Kontakt mit der modernen, aufgeweckten Jugend kommt, der wir Lehrer täglich aus Erziehungsgründen ausgesetzt sind.

      Dann sausten wir nach Spånga, und der Staatsminister warf seinem Mitarbeiter einen arbeitsscheuen Blick über die Schulter zu und fragte, ob es etwas Dringendes zu erledigen gebe und es lange dauern werde. Und Justizchef Rydlander schrie, er habe vor, die Vorschläge zum Gesetz über das Recht der Kommunen vorzuziehen, das Trinkwasser mit Fluor zu versetzen, und der Staatsminister murmelte: »Was die sich so alles einfallen lassen!« Aber der Justizchef kam wieder darauf zurück und entgegnete, das Ministerium arbeite seit zwei Jahren an dieser Frage und daß vom Staatsminister erwartet werde, sich für die Sache stark zu machen und im Verlauf des Nachmittags zu einer Entscheidung zu kommen, und der Staatsminister seufzte und meinte, er werde verrückt, wenn es so sonnig und schön sei, und er habe die Absicht gehabt, mit den Kindern Ball zu spielen.

      2

      Ich habe in einer früheren Arbeit1 erwähnt, daß der Staatsminister nach seiner unerwarteten Beförderung gezwungen wurde, seine von den Vätern ererbte Villa in Djursholm zu verlassen und sich in Spånga niederzulassen, einem Vorort Stockholms, der nach Meinung der Parteiführung als proletarisch einzustufen sei. »Ein sozialdemokratischer Staatsminister kann nicht in Djursholm wohnen, wo die Briefkästen vom Svenska Dagbladet und Wochenjournalen trächtig dastehen«, wie der Staatspräsident die Sache bei einem vertraulichen Gespräch mit Erlander formulierte. Er empfahl statt dessen Spånga, bereits die Heimat zahlreicher Koryphäen der Parteiführung.

      Nach einer Woche des Suchens hatte der Staatsminister sein neues Domizil in Spånga gefunden, ein Eigenheim älteren Datums, wie man es zuweilen als »geräumige, charmante Villa mit Parkgrundstück, geeignet zur Nutzung als Krankenhaus oder dergl.« annonciert sieht (doch das wahrheitsgemäß vielmehr als »scheunenartiges Gebäude, nur geeignet als Übungsobjekt für die Feuerwehr, mit großem, verwildertem Garten« beschrieben werden müßte). Umgeben von der gesamten Kinderschar, schloß der Staatsminister das Geschäft schnell ab – er wickelt Geschäfte stets schnell ab. Der Verkäufer – ein älterer Mann, gebrochen unter der Last seines Hauses und bis auf die Knochen besteuert – titulierte den Staatsminister als »Inspektor« und vergoß Freudentränen, als die Dokumente unterschrieben vor ihm lagen. »Nie hätte ich gedacht, daß das Amt für Kinder- und Jugendpflege so gut bezahlen würde!« war seine Entgegnung vor der Abfahrt in ein freundlicheres Klima.

      Nachdem eine Armee von Handwerkern die sechsundzwanzig Zimmer wieder in einen bewohnbaren Zustand versetzt hatte, zog der Staatsminister mit seinem Hausstand ein (und erklärte in einem allseits beachteten Interview: »Es hat mich eine Million gekostet, aber was soll man machen bei der derzeitigen Lage auf dem Wohnungsmarkt?«). In der unteren Etage waren zwei Räume von den übrigen Wohnlichkeiten abgetrennt, schallisoliert und als Arbeitszimmer eingerichtet worden. Für einen Mann mit familiären Verhältnissen wie denen des Staatsministers ist schließlich ein solches Arrangement eine ganz natürliche Sache und im übrigen notwendig mit Blick darauf, daß er, wie kürzlich gesehen, mitunter Hausverbot an seinem ordentlichen Arbeitsplatz hat. (Diese doppelte Akkreditierung hat sogar übrigens entscheidende Vorteile. Sucht man ihn vergeblich in der Staatskanzlei, wird er auf dem Posten