feineren Kreises an Beratern einzuholen. Er erweiterte auf diese Art also auch das Spektrum der Perspektiven, denn ausschließlich die eigene hatte ihn nicht nur schon relativ früh ein respektables Stück weit auf die Straße des Erfolges, sondern auch auf so manchen Holzweg geführt. Und er absolvierte als bereits gestandener Unternehmer nebenher ein Masterstudium, um sich nachträglich mit dem theoretischen Unterfutter für seine Tätigkeit als Firmenchef und Markengründer auszustatten.
All das passierte, und all das war wichtig und notwendig. Aber letzten Endes waren zwei Faktoren die entscheidenden, die sogar in Zusammenhang miteinander standen. War es Dygruber speziell in der schwierigen Anfangszeit, in der er einerseits belächelt, zur selben Zeit aber auch bereits mit harten Bandagen bekämpft worden war, noch wichtig gewesen, es als furchtloser David den Goliaths der Branche zu zeigen, relativierte sich dieses Spielfeld zunehmend. Er hatte nie verstanden, wieso der eine oder andere Großkonzern Energie darauf verwenden konnte, einen so überschaubar kleinen Mitstreiter auch noch abseits der Handelsregale zu bekämpfen. Aber ihm wurde mit der Zeit auch bewusst, dass er, um ein guter David zu sein, gar keinen Goliath als Feindbild brauchte. Kurz: Josef Dygruber lenkte seine ganze Energie und Kreativität weg von diversen Scharmützeln hin zur eigenen Marke, die immer etwas ganz Besonderes werden sollte, es objektivierbar aber erst durch den Prozess wurde, der nach dieser Schmach im Jahr 2008 in Gang gesetzt wurde.
Ein wichtiger Teil dieses Prozesses war, dass sich claro nicht nur hinsichtlich der Verpackung als »grünes« Produkt präsentierte. Ein ökologischer Vorreiter zu werden, der Innovationen nicht nur hervorbringen, sondern mit diesen auch Produktgeschichte schreiben und, um sie quasi allgemeingültig zu machen, das Marktumfeld verändern konnte, wurde zu einer zentralen Zielvorgabe der Marke – parallel zur Auflage, bei den Basics im Spitzenfeld zu performen.
»Grün. Aber gründlich« war ein Werbeslogan für das Außen, der aber nun im Inneren als Firmenphilosophie in einer Weise verankert wurde, die viel mehr war als ein wohlklingendes und nützliches Öko-Mascherl. Es wurde zur Seele des kleinen David, der zwar immer noch mit den Goliaths im Ring stand, für sich aber die Regeln des Kampfes geändert hatte. Einfach nur größer werden zu wollen, war ja als Ziel recht und schön gewesen, aber wofür? Damit man den Riesen statt bis zu den Zehennägeln bis zu den Knöcheln geht? Also besann man sich bei claro der Vorteile des Kleinseins – kurze Entscheidungswege, kreative Freiheit und rasche Reaktionsgeschwindigkeit, und all das gebündelt, um die Kernkompetenz zu stärken. Womit man sich von den großen Mitbewerbern abheben, gleichzeitig ein eigenes Spielfeld eröffnen und dabei ja trotzdem auch den einen oder anderen Meter wachsen konnte.
Ein junger Mann mit riesigen Ambitionen, aber noch kleiner Erfahrung im großen Spiel der Kräfte, war nur teiltrainiert in den Ring gestürmt, in dem in jeder Ecke eine Überraschung lauerte, und wollte sich entschlossen, aber ungestüm durchboxen. Es brauchte viele Jahre in der Lebens- und Unternehmerschule, um zu erkennen, dass ein gezielter, richtig gesetzter Treffer mehr brachte als all das aufgeregte Fuchteln. Diesen Treffer hatte Josef Dygruber nun kurz vor seinem 25-jährigen Firmenjubiläum im Jahr 2020 angebracht.
Dazu brauchte es einen langen Atem und eine ganz spezielle Persönlichkeit. Wie und woraus sich diese entwickelte, welche Hürden es von »Nichts ist Claro« bis zu «Alles Claro« zu überwinden gab, darüber geben die folgenden Kapitel Aufschluss. Denn auch wenn die Geschichte des Josef Dygruber nicht in einer goldenen Wiege ihren Anfang nahm, begann vieles, was später folgte, in der Abgeschiedenheit des kleinen Salzburger Dorfes Adnet.
WENIG GELD, VIEL NATUR
Bei aller Liebe zu diesen reizenden Tierchen steht eines fest: Laubfrosch und Sumpfkehlchen allein hätten den Bekanntheitsgrad dieses 3600-Einwohner-Dorfes im Bezirk Hallein im Bundesland Salzburg höchstwahrscheinlich innerhalb der Ortsgrenzen gehalten. Denn der keltische Name Atanate, übersetzt »Sumpf«, verrät schon, warum sich oben erwähnte Tiere bis heute so gern im Moos der kleinen Gemeinde aufhalten. Dass das Dorf Adnet aber weit über die Grenzen Österreichs hinaus ein Begriff ist, liegt am »roten Gold«, das hier schon seit der Zeit der Römer abgebaut wird – dem Adneter Marmor, der nach den strengen Gesetzen der Mineralogie aber eigentlich lediglich ein bunter, sehr gut polierfähiger Kalkstein ist, aber aus historischen Gründen Marmor heißen darf.
Wie würde das auch klingen, wenn etwa die Mariensäule in München oder das Grabmal von Kaiser Friedrich III. im Wiener Stephansdom plötzlich nicht mehr aus Adneter Marmor sein dürften? Oder gar die 24 Säulen im Parlamentsgebäude in Wien? Knollenkalk-Säulenhalle? Das ginge ja gar nicht – und wäre auch überhaupt nicht nötig, weil dieses wunderschön marmorierte Gestein aus den Adneter Steinbrüchen aussieht wie Marmor, sich anfühlt wie Marmor und, wenn man so will, eine etablierte Marke ist. Da kann irgendein gestrenger Gesteinsprofessor schon einmal ein Auge zudrücken.
Aber lassen wir die mineralogischen Spitzfindigkeiten und bleiben bei den 24 Säulen für das Parlamentsgebäude in der österreichischen Bundeshauptstadt. Die bestehen aus dem sogenannten »Rotgrau Schnöll« von den Adneter Marmor-Steinbrüchen. Einer der Arbeiter, die damals um 1870 damit beschäftigt waren, das tonnenschwere Gestein abzubauen und dann mit Pferdegespannen zum Bahnhof Hallein zu bringen, von wo es mit der Eisenbahn nach Wien verfrachtet wurde, hieß Kaspar Seywald und war der Urgroßvater von Josef Dygruber. Der saß ziemlich genau 100 Jahre später mit Kaspar Seywald Junior, seinem Opa, in der Wandschützenhütte oberhalb der Kirchenbruchwand und lauschte als Fünfjähriger mit gespitzten Ohren den Geschichten aus dieser fernen Zeit. Aber dazu später.
Anfang der 1960er-Jahre kam ein junger Mann namens Josef Dygruber aus St. Martin am Tennengebirge nach Adnet, weil er dort bei einem Baustoffhändler Arbeit fand und mit einem Lkw Ziegel und Kohlen ausfuhr. Als eines von sieben Kindern einer Bauernfamilie, die finanziell hart zu kämpfen hatte, war er schon sehr früh ins Arbeitsleben geschubst worden: »Ich war 14 und hatte meinen letzten Schultag«, erinnert sich der Vater des claro-Gründers, »und gleich am nächsten Tag habe ich bei einem Bauern auf einer Alm zu arbeiten begonnen.« Das Frühstück am Morgen seiner Abreise war die letzte Begegnung mit seiner Familie für zwei Jahre, denn so lange durfte er nicht mehr nach Hause fahren. Dort oben auf der Alm, wo sein Arbeitgeber neben der Landwirtschaft auch eine kleine Pension betrieb, wurden Arbeitszeitregelungen, wie sie unten im Tal galten, vom Winde verweht, und der Bub hatte eine Sieben-Tage-Woche. 52 Wochen lang. Und dann gleich noch einmal so lang.
Aber daheim linderte ein Esser weniger den Trennungsschmerz, und oben auf der Alm lernte ein junger Bursche auf die rustikale Art, dass man sich nicht beklagt, sondern zupackt, wenn man Arbeit gefunden hat. Statt am Sonntag heim zur Familie zu dürfen, wurde er nach dem Kirchgang eingeteilt, Speiseeis zu rühren, damit die zahlenden Gäste am Nachmittag etwas Süßes zu schlecken hatten. Und wenn er heute, als 82-jähriger Mann, erzählt, dass ihm das eigentlich gar nichts ausgemacht hätte, weil er dabei ohnehin heimlich auch das eine oder andere Löffelchen stibitzt hatte, bleibt einem zunächst einmal der Mund offen, wie man gnadenlose Ausbeutung in der Retrospektive fast schon romantisch verklären kann.
Doch man darf dabei nicht vergessen, dass das in einer Zeit passierte, in der speziell in ländlichen Regionen die Herren-Knecht-Mentalität längst nicht ausgestorben war und Josef Dygruber mit seinen erst 14 Jahren glauben musste, dass die Arbeitswelt eben so aussah. Und auch, wenn sich später die Arbeitsumstände ändern, wirkt eine derartige Prägung lang, manchmal ein Leben lang nach. Sie gebiert dann oft besonders fleißige Menschen, die aber gründlich gelernt haben, die eigene Befindlichkeit hintanzustellen.
Als Dygruber nach Adnet kam, lernte er dort 1964 die Bauerntochter Johanna Seywald kennen, und spätestens nach einer gemeinsamen Schlittenfahrt war für ihn klar, wohin die Reise mit der feschen jungen Dame gehen sollte. Die hätte hingegen lieber noch ein Weilchen gewartet mit dem Heiraten, weil sie sich mit 22 Jahren dafür zu jung fühlte und noch eine Menge Träume im Kopf hatte. Aber der Brautwerber hatte offenbar ziemlich gute Argumente, und so sausten Hanni und Sepp nicht lange nach der rasanten Schlittenfahrt auch in den Hafen der Ehe. Schon 1965 begann das Paar mit dem gemeinsamen Hausbau, und am 27. November 1967 kam im alten Bürgerspital in Hallein mit Sohn Josef ein zusätzlicher »Reisebegleiter« für das junge Paar dazu.
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