Christoph Bausenwein

Das Prinzip Uli Hoeneß


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›Ins rechte Eck kannst du nicht schießen‹, dachte ich, denn dann müsste ich mit der Innenseite schieben. Das erfordert Konzentration, die nicht mehr da ist. ›Also donnerst du den Ball mit dem Innenspann ins linke Eck. So hart, dass notfalls der Torwart mit dem Ball ins Tor fliegt.‹ Ich wanderte immer noch …« Dann der Moment der Wahrheit: »Ich legte den Ball irgendwo auf den Punkt – wie in Trance. Ich lief an, ich schoss, ohne auf den Torwart zu blicken. Ich schaute dem Ball nach, sah ihn immer höher steigen. Wie eine Weltraumrakete von Cape Kennedy sauste er in Richtung Wolken. Unerreichbar. Da kam kein Torwart mehr ran, niemand konnte ihn halten, so hoch flog der. Nur im Tor war er nicht gelandet, dieser Ball.« Den Schlusspunkt des Spiels setzte Panenka, der Sepp Maier listig verlud und dann den Ball in die Mitte des Tores schob. Hoeneß hatte den Rest des Dramas wie betäubt verfolgt. »Ich bin froh, dass du den verschossen hast«, sagte Beckenbauer zu ihm, um ein tröstliches Wort bemüht. »Ich wäre nach dir gekommen, und wer weiß, ob ich dann nicht derjenige gewesen wäre.« Doch Uli Hoeneß war untröstlich. Dieser verschossene Elfmeter war eine Sache für die Geschichtsbücher. Dort wird er ewig stehen.

      Mit dem Ball im Nachthimmel von Belgrad begann der Abgang des Fußballspielers Uli Hoeneß. Sein 35. und letztes Länderspiel bestritt er im November desselben Jahres bei der freundschaftlichen Revanche gegen die Tschechoslowaken, die in Hannover glückte (2:0). Kurz darauf holte er mit dem Weltpokal seinen letzten internationalen Titel im Trikot des FC Bayern (2:0 und 0:0 gegen den Südamerika-Meister Cruzeiro Belo Horizonte). In der Hinrunde der Bundesligasaison 1976/77 gelangen ihm immerhin acht Tore und vier Torvorlagen, doch es war offensichtlich, dass der angeschlagene ehemalige Weltklassestürmer sein altes Niveau einfach nicht mehr erreichen konnte. Präsident Neudecker erklärte bei der Jahreshauptversammlung der Bayern: »Wir brauchen keine Märtyrer.« In der Rückrunde wurde es nicht mehr besser. Im Februar 1977 entdeckte Professor Klümper in Freiburg ein markstückgroßes Loch in der rechten Leiste – Uli Hoeneß spielte trotzdem weiter bis zum 12. März, da Gerd Müller sich im Krankenstand befand. Parallel zu seinem anhaltenden Verletzungsdrama setzte sich, begleitet vom Unmut der eigenen Fans, der Niedergang der einstigen Erfolgself fort. Es gab Pfiffe für Hoeneß, der nicht mehr so konnte, wie er wollte, und für die Mannschaft, die nicht mehr zu siegen vermochte: »Aus« im DFB-Pokal, »Aus« im Europapokal, und in der Bundesligasaison 1977/78 folgte mit Rang zwölf die schlechteste Platzierung seit dem Aufstieg 1965.

      Vor der WM 1978 tat der angeschlagene Uli Hoeneß alles, um sich noch einmal für die Nationalmannschaft ins Gespräch zu bringen. Er rief regelmäßig Bundestrainer Helmut Schön an, laut einem Artikel im »Fußballmagazin« ging er sogar so weit, von Journalisten nach einigermaßen gelungenen Spielen hervorragende Noten geradezu zu fordern. Wer ihn seiner Meinung nach zu schlecht beurteilt hatte, den soll er demnach per Telefon gestellt haben: »So schlecht, wie du mich gemacht hast, habe ich am Samstag bestimmt nicht gespielt. Ihr solltet euch mal ein Beispiel an den Kollegen in anderen Städten nehmen. Die schreiben ihre Spieler richtig in die Nationalmannschaft rein.«

      Obwohl er bei 30 Saisoneinsätzen immerhin zu respektablen elf Toren gekommen war, wurde es nichts mehr mit einem Comeback im DFB-Trikot. Und seine Karriere neigte sich nun auch bei den Bayern ihrem Ende zu.

      KAPITEL 2

       Der umtriebige Macher

      Uli Hoeneß und seine zahllosen Geschäfte

      Der Aufstieg des Uli Hoeneß zum Fußballstar war erstaunlich, aber nicht beispiellos. Der kleine Bub aus der Ulmer Metzgerei musste sich enorm anstrengen, um nach oben zu kommen. Aber so wie er haben auch die anderen Bayern-Größen, die ebenfalls allesamt aus einfachen Verhältnissen stammten, für ihren Aufstieg gekämpft. Der Vater von Franz Beckenbauer war Postbeamter, Karl-Heinz Rummenigge kam aus einer Werkzeugmacher-Familie, Sepp Maier war Maschinenschlosser, Gerd Müller hatte den Beruf des Webers erlernt. Alle nutzten sie die Chance, die ihnen der Fußball bot. Und alle waren sie dankbar. So wie Uli Hoeneß. »Dass es so gekommen ist«, kommentierte er seinen Weg auf den Gipfel des Erfolges, »erfüllt mich bis heute mit tiefer Demut.«

      Anders als seine Mannschaftskameraden wollte sich Uli Hoeneß allerdings nicht mit einer Karriere als Fußballspieler begnügen. Will man Parallelen zum Werdegang des Bayern-Managers finden, so muss man über den Tellerrand des Fußballs hinausschauen.

      Uli Hoeneß hat seinen eigenen Lebensweg öfter mit dem von Erfolgsmenschen aus der Politik verglichen. Insbesondere mit Metzgersöhnen wie Franz-Josef Strauß und Joschka Fischer. Ein Strauß-Freund war er schon in jungen Jahren, aber auch mit dem einstigen Frontmann der Grünen, der es vom Taxifahrer bis zum Außenminister und beliebtesten Politiker Deutschlands gebracht hatte, habe er sich »immer prima verstanden«. Obwohl Fischer das aus seiner Sicht falsche Parteibuch besaß, war er ein großer Freund von ihm. »Ich liebe Menschen, die genau wissen, dass man ohne Arbeit keinen Erfolg hat«, begründete er seine Sympathie. »Der Beruf der Eltern ist sicher kein Garant, aber was man diesen Leuten ansieht, ist mit Sicherheit Ehrgeiz, Pflichtbewusstsein, Zuverlässigkeit. Das sind Werte, die dir mitgegeben werden und die auch heute Gültigkeit haben.« Er selbst, so Hoeneß weiter, habe zu Hause gelernt, Leistung anzuerkennen und einzufordern, aber auch etwas dafür zu geben und dabei bodenständig zu denken. Gerade in der heutigen Zeit sei es gar nicht schlecht, wenn in verantwortungsvollen Positionen Menschen aus einfachen Verhältnissen sitzen. Menschen, die nicht vergessen hätten, woher sie kommen. Und so könnte wohl, nimmt man Hoeneß beim Wort, sein eigener Lebensweg immer noch als Vorbild für künftige Macher in Politik und Wirtschaft gelten.

       Ein »Gscheitle« mit Geldinstinkt

      Typisch für Uli Hoeneß ist es, wie er die Geschichte von seinem ersten sportlichen Erfolg als Sechsjähriger erzählte: »Ein Sieg, ich schoss mein erstes Tor – und mein Onkel stiftete die erste Prämie meines Lebens: Er steckte zehn Mark in mein Sparschwein.« Andere hätten diese »Prämie« vielleicht vergessen, für ihn aber war sie genauso erwähnenswert wie das Tor.

      Das Geld spielte ein große Rolle in dem grau verputzten, schlichten Haus Am Eselsberg 1, wo die Familie Hoeneß lebte und arbeitete. Als Kind ist Uli Hoeneß im elterlichen Geschäft mit dem ganzen Ernst des mittelständischen Berufslebens konfrontiert worden. Vater Erwin war Metzger mit Leib und Seele, stand ab morgens um drei bis spätabends in der Wurstküche, Mutter Paula hat im Laden verkauft, am Wochenende die Buchhaltung gemacht und zwischendurch die Kinder großgezogen. »Unser ganzes Leben war auf den Betrieb abgestimmt«, erzählte Sohn Uli. »Ich war schon immer kaufmännisch orientiert und habe samstags, wenn keine Schule war, hinter der Kasse gestanden. Ich wusste genau, was eine Lyonerwurst kostet.« Während der Fußball trotz allen Ehrgeizes vor allem auch eine Lust blieb, wurde ihm der Umgang mit Geld, der ihn schon immer faszinierte, geradezu zu einer Sucht. Hinter der Kasse zu stehen, gestand Hoeneß, »war meine Leidenschaft, und das scheint mich bis heute geprägt zu haben«. Fiel beim Kassieren ein Geldstück durch den Holzrost am Boden, so eine oft zitierte Geschichte, musste Uli nach Ladenschluss so lange danach suchen, bis die Tagesbilanz des kleinen Handwerksbetriebs wieder stimmte. »Ich sehe nicht ein«, sagte er noch Jahrzehnte später, »dass man zehn Cent irgendwo liegen lässt, nur weil sie verdreckt sind.«

      Im Gegensatz zu ihm habe sein Bruder Dieter nie in der Metzgerei geholfen. »Dieter war eher der Künstler, der gemalt hat.« Ja, bestätigte Mutter Paula, »Dieter war ein Rechengenie und musisch begabt. Er konnte besser malen und singen als Uli.« Uli dagegen war das »Cleverle« von den beiden und besaß das größere Durchsetzungsvermögen. Uli hatte auch schon früh eigene Geschäftsideen. »Einmal zogen Uli und ich mit Hammer, Meißel und Schubkarre los«, erzählte Dieter. »Wir bauten Quarzsteine ab und dachten, eine Fensterfirma würde sie uns abkaufen.« Tatsächlich wurden sie die Steine los: Mutter Paula hatte den Leuten von der Fensterfirma Geld gegeben und sie gebeten, zum Schein auf den Deal einzugehen, um die Jungen nicht zu enttäuschen. Als die Eltern dann ihre Kinder irgendwann über den wahren Sachverhalt aufgeklärt hatten, wurde der Satz: »Verkauft ihr wieder Steine?«, zu einem Running Gag in der Familie.

      Die typischste Hoeneß-Jugendgeschichte ist aber wohl nicht die Sache mit den Steinen, sondern die, in der es um einen besonders tollen Ball geht, der bei »Sport Sohn« in Ulm im Schaufenster lag. Er war nicht braun wie die gewöhnlichen