Christoph Bausenwein

Das Prinzip Uli Hoeneß


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ganz klare Worte hören, warum er das getan hat und warum er sich nicht noch diese Woche Zeit gelassen hat, um der Mannschaft noch einmal eine Chance zu geben.« Was danach geschehen wäre, nach dem Spiel am 24. März in Mönchengladbach, »das wäre dann die Entscheidung von Herrn Neudecker gewesen«, so Maier, »und dann hätten die Spieler gar nichts sagen können, auch ich nicht als Kapitän. Ich bin kein Anarchist, wie man mich betitelt hat, ich bin nur der Mannschaftssprecher vom FC Bayern, und es ist meine Pflicht, dass ich das, was mir die Spieler zutragen, dem Präsidenten mitteile.« Der »Revolution« folgte ein grandioser 7:1-Triumph in Mönchengladbach. »Wir haben einem gewissen Herrn gezeigt, dass es auch ohne Diktatur geht, ohne dass man die Spieler als Idioten behandelt«, triumphierte Breitner und kündigte an: »Das ist das erste Mal, dass die Mannschaft nach einem Spiel saufen geht.«

      Mit der »Revolution« der Spieler war ein vorprogrammierter Konflikt zum Abschluss gekommen. Der autokratische Führungsstil des Präsidenten Neudecker passte nicht mehr zu einer Mannschaft, in der mündige und mit einem vergleichweise hohen Bildungsniveau ausgestattete Spieler das Regiment übernommen hatten. Die Zeiten, in denen ein Präsident in der Manier des Alleinherrschers unbedingten Gehorsam einfordern konnte, waren vorbei. So war der Aufstand gegen Neudecker sowohl ein Ausdruck veränderter Verhältnisse wie auch ein Anschub für einen Modernisierungs- und Professionalisierungsprozess, der nun, mit Uli Hoeneß als Initiator und Steuermann vorneweg, den gesamten Fußball in Deutschland auf einen neuen Kurs bringen sollte.

       Der Beginn als Manager

      Der Bayern-Manager in spe, der die revolutionären Vorgänge in München nur aus der Ferne beobachtet hatte, war am 20. März 1979 zum letzten Mal für den 1. FCN aufgelaufen. In elf Spielen für den »Club« war seine Leistung nur noch ein müder Abglanz früherer Tage gewesen. Er hatte kein Tor geschossen und für keine Torvorlage gesorgt. Seine besten Szenen, so ein Nürnberger Spieler, habe er unter der Dusche und in der Kabine gehabt, da habe er sich immer noch »wie ein Weltmeister« aufgespielt. »Uli Hoeneß spielte Fußball wie ein Automotor, den man im ersten Gang in Tourenbereiche jagt, die auf die Dauer nicht gut gehen können«, schrieb der »FAZ«-Autor Ulrich Kaiser in einer Art Nachruf. »Wenn es im Bezug auf Menschen nicht so entsetzlich klingen würde, müsste man von Materialverschleiß reden.« Der »Verschlissene« selbst sah es im Rückblick etwas freundlicher. Gut, er sei natürlich nicht richtig fit gewesen, aber: »Am Anfang, finde ich, habe ich sehr gut gespielt, die ersten paar Spiele.« Letztlich sei die Mannschaft aber einfach nicht stark genug gewesen, um den Abstieg zu verhindern.

      Der »Club« lag bei seinem Abschied am 23. Spieltag auf Platz 17, hatte fünf Punkte Rückstand auf das rettende Ufer. »Zu dem Zeitpunkt«, resümierte Hoeneß, war »die Aussichtslosigkeit, den Abstieg zu verhindern, ziemlich groß. Wäre damals die große Chance noch da gewesen, den Abstieg zu verhindern, hätte ich mit Sicherheit weitergespielt bis zum Ende.« Nun also war Schluss, nach 250 Bundesligaspielen und 86 Toren, die er allesamt für den FC Bayern erzielt hatte. Und der einstige Fußballprofi entschied sich nun, vorzeitig nach München zu gehen, um sich auf seine neuen Aufgaben als Bayern-Manager vorzubereiten. Möglich geworden war diese Entwicklung nur dadurch, dass er damals in Nürnberg weitab vom Schuss und daher nicht in die Bayern-Streitereien involviert war. Es hatte geradezu etwas »Schicksalhaftes«, so Hoeneß Jahre später. Das kurze Engagement in Nürnberg, das an sich ja recht unglücklich gelaufen war, erwies sich somit im Nachhinein für seine weitere berufliche Tätigkeit geradezu als Segen. »Neudecker brauchte jemanden, der bei dem Krach, der damals bei Bayern herrschte, nicht dabei war.« Wenn er in München geblieben wäre, wäre er sicher mitten im Geschehen gewesen und niemals Manager geworden.

      Bereits am 26. März tauchte Uli Hoeneß in München auf, machte das Vormittags-Training mit und schwärmte von der »absoluten Ruhe«, die nun in der postrevolutionären Bayern-Mannschaft vorherrsche. Er selbst geriet indes als Manager im Wartestand vor allem zum Anlass für Unruhe. Jetzt rächte sich, dass er schon so oft mit seiner Profitgier aufgefallen war; denn die, meinten Kritiker, könne sich leicht zum Schaden des Vereins auswirken. Zum exemplarischen Beleg für die Vorwürfe geriet der im Vorjahr abgeschlossene Vertrag mit Magirus Deutz. 1,96 Mio. DM für drei Jahre brachte der, und Hoeneß hatte davon knapp zehn Prozent, 180.000 DM, als Vermittlungsgebühr kassiert. »Dass ich für den Vertragsabschluss mit Magirus Deutz eine Vermittlungsgebühr bekommen habe, ist mein gutes Recht«, rechtfertigte er sich, »zumal ich damals ja noch Spieler und nicht Manager des Klubs war und diese Vermittlung außerhalb meiner Pflichten dem Verein gegenüber lag. Zudem muss ich richtigstellen, dass ich an den Transfersummen überhaupt nicht beteiligt bin und an dem Verkauf der Dauerkarten nur über die Summe, die über das bisherige Kontingent hinausgeht. Bei der Stadionzeitung ist es so, dass ich sie in Zukunft zum Teil mitorganisieren werde. Der FC Bayern bekommt dabei einen bestimmten Betrag, und erst an der Summe, die diesen Betrag übersteigt, bin ich beteiligt. Das ist doch eine echt leistungsbezogene Geschichte.«

      Schärfster Kritiker innerhalb des Vereins war ein ehemaliger Mitspieler, der Medizinstudent Jupp Kapellmann. Er habe früher schon von Spielern Bälle signieren lassen und daran 40.000 DM verdient, warf er dem künftigen Manager vor. »An diesen Vorwürfen ist überhaupt nichts Wahres dran. Für mich ist das eine Frechheit, wie ich sie bislang noch nicht erlebt habe«, wehrte sich Hoeneß. Kapellmann drohte, dass er gehen werde, falls Hoeneß tatsächlich komme.

      Hoeneß kam dann schneller als gedacht, wohl auch, um Kritiker wie Kapellmann – der dann zum Lokalrivalen 1860 wechselte – vor vollendete Tatsachen zu stellen. Am 1. Mai trat der 27-jährige Ex-Profi offiziell als jüngster Manager der Bundesliga an. »Ich bin ja kein großer Freund von Sakkos, aber an diesem Tage habe ich mir eines angezogen«, erinnerte er sich, »ein graues Sakko, dazu ein hellblaues Hemd. Dazu habe ich mir einen großen schwarzen Notizblock unter den Arm genommen und habe mir gesagt: So, nun musst du den Manager machen. Das Schwan’sche Büro war fast leer, nur der Schreibtisch und eine Konsole daneben waren da. Dann habe ich mit drei, vier Leuten zwei Stunden rumtelefoniert, und dann bin ich wieder heimgefahren.« Es ging um die Aushandlung eines Freundschaftsspiels für 20.000 DM. Mehr, so Hoeneß, habe es nicht zu tun gegeben. Oder besser ausgedrückt: Von dem »Mehr«, was es zu tun hätte geben können, hatte er zu diesem Zeitpunkt noch keine klare Vorstellung. Für den Beruf des Managers gab es damals noch keine definierten Konturen – lediglich Helmut Grasshoff in Mönchengladbach und eben Robert Schwan bei den Bayern waren bis dahin in einer Weise tätig gewesen, wie es heutige Bundesligamanager tun. Hoeneß musste sich also sein Tätigkeitsfeld erst selbst erschließen.

      Der neue Kommandeur in der Bayern-Führung empfand es als großen Vorteil, eine erfolgreiche Fußballerkarriere als Erfahrungshintergrund in seinen neuen Job einbringen zu können. Der »wesentliche Unterschied« zwischen einem Manager in einem Industrieunternehmen und dem in einem Profiverein sei der, so Hoeneß, dass man als Fußballmanager »selbst gespielt haben sollte«. In dieser Feststellung lag zugleich ein Vorwurf gegen die alte Garde der Vereinsführer, die ja in der Regel nie auf höchstem Niveau gespielt hatten. Seiner Meinung nach konnte die Mechanismen des Geschäfts aber nur der voll durchschauen, der einst selbst in den großen Stadien der Welt auf dem Rasen mitgemischt hat. Als ehemaligem Klassespieler falle es ihm leicht, sich in das Denken junger Profis einzufühlen. »Ich habe in meiner Profizeit alles gesehen, jeden Trick durchschaut, ich kenne die Typen, die in diesem Geschäft mitzumischen versuchen. Mir macht keiner was vor.« Darüber hinaus sollte Hoeneß rasch bemerken, dass man es als Ex-Profi im Umgang mit Leuten, die sehr viel Geld verdienen, leichter hat, da man Vertragsgespräche mehr auf Augenhöhe führen kann: »Bei der Beurteilung von Spielern wird man eher ernst genommen.«

      Der Ex-Bayern-Präsident Wilhelm Neudecker mag sich der Vorteile durchaus bewusst gewesen sein, die daraus resultieren mochten, wenn man einen intelligenten, dynamischen und ideenreichen Spieler, der eben erst seine Karriere beendet hatte, an die Schaltstelle des FC Bayern setzte. Er war mit dieser Überlegung auch nicht allein. Denn Hoeneß war nicht der einzige junge Mann, der zu dieser Zeit einen Generations- und Stilwechsel in den Führungsgremien der Vereine einleitete. »Um die dreißig Jahre alt, Cordhosen, Pulli, offener Hemdkragen. Alert, gewitzt, gerissen, zu Zeiten schlitzohrig, zwei sechsstellige Einkommen – eines aus dem Job, das andere aus dem im Profigeschäft angeschafften Vermögen –, mikrofonsicher, kamerafest und eloquent: das ist der neue Manager in der Fußballbranche«,