Nataly von Eschstruth

Vae Victis - Band I


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      Die grossen Blauaugen schlugen voll auf: „Ich bitte darum, du Liebe, Gute!“

      „Sieh mal, Herzchen — —“ Frau Margarete zögerte einen Augenblick, nahm einen Gedichtband von dem kleinen Seitentischchen und warf ihn, ohne ihn aufzuschlagen, auf die gemalte Platte zurück. „Bonaventura Völkern macht dir sehr auffällig den Hof — er ist ein scharmanter, schöner, sehr liebenswürdiger Mann — aber keine Partie für dich! — Das Geld spielt keine Rolle bei ihm, denn er hat keins — was da war, soll verbraucht sein, ja, man munkelt bereits von Schulden! — Also das ist eine traurige Zukunftsperspektive, denn du kennst die Weltklugheit, welche uns im Fidelio oft genug vorgesungen wird: wo sich nichts mit nichts verbindet, bleibt die Summe immer klein — wer bei Tisch nur Liebe findet, wird nach Tische hungrig sein!“

      Malvine hatte sehr ruhig zugehört, ohne mit einem einzigen Blick oder Wort zu unterbrechen; jetzt, als die Sprecherin eine Pause machte und ihre Worte ein wenig verlegen, wie einen Scherz, belachte, sagte sie mit leiser, beinahe tonloser Stimme: „Und die Moral von der Geschichte, Tante Margarete?“ —

      „Sagst du sie dir nicht selbst?“ —

      Malva lächelte, ein beinahe melancholisches, flüchtiges Lächeln.

      „Ich ahne sie!“

      „So sprich du sie statt meiner aus, damit wir uns von unserer Gedankensympathie überzeugen!“

      „Der langen Rede kurzer Sinn war der: bilde dir nicht ein, du Gegenteil von einem Goldfischchen, dass der Vielbegehrte, ebenso mittellose wie du, jemals ernste Absichten hatte oder haben wird. — Nun, stimmt’s?“ —

      „Bravo! Du bist eine perfekte Gedankenleserin, mein Herzchen! Und well du weisst, dass zum Heiraten Geld, abermals Geld und nochmals viel Geld gehört —“

      „Wie stets, wenn man Krieg führen will — —“

      Die Kammerherrin lachte hellauf: „Sehr gut! Diese satirische kleine Bemerkung beruhigt mich! Also weil zu jedem Feldzug — auch über Amors Schlachtfeld Geld gehört, wirst du vernünftig sein und dem netten, guten Menschen keine falschen Hoffnungen machen?“

      Ein wunderlicher Blick traf sie. Malva schüttelte langsam den Kopf. „Dessen bedarf es nicht. Herr von Völkern wird niemals unklug handeln!“

      „Kind! Wenn ein Mann verliebt ist!!“

      „In was sind die ‚jungen Leute von heute‘ verliebt, Tante?“

      Die Gräfin sah immer überraschter aus.

      „Das klingt so pessimistisch ... habt ihr euch etwa gezankt?“ —

      „Dazu sind wir zu wohlerzogen und stets allzu übereinstimmender Meinung!“

      „Aber deine Worte klingen so seltsam ... so bitter — was bedeutet das?!“

      Malva lächelte abermals. „Bitter? Dazu habe ich nicht die mindeste Ursache — höchstens resigniert, wie alle Stiefkinder des Glücks es sein müssen. Völkern und ich werden hoffentlich stets gute Freunde bleiben an — Heiraten aber ist nie ein Gedanke.“

      „Ehrlich gestanden, mein Liebling, taxiere ich ihn mehr denn jeden anderen auf eine Geldheirat. — Bei aller Liebenswürdigkeit und allen guten Anlagen ist er reichlich oberflächlich, verwöhnt und haltlos. Die Grossstadt verfehlte ihren Einfluss nicht auf ihn, und wer das Glück hat, ein Goldfisch zu sein, führt — in moderner Variante — den Bräutigam heim!“

      Und die Sprecherin klappte den Bechsteinflügel auf und griff lachend ein paar Akkorde. —

      „Der goldene Flitt—Flitt—Flitter —,

      Der gefällt wohl dem Ritt—Ritt—Ritter —

      Wer einen Leutnant will frein,

      Muss ein Goldfischchen sein ...

      Ein scharfes Klingeln tönte aus dem Korridor in den Salon herein.

      „Ah — das wird Curd sein! Nun schnell in den Pelz gekrochen —“ Die Gräfin unterbrach sich hastig, zog Malva noch einmal in die Arme und flüsterte: „Du hast mich verstanden, mein Herzchen — also Kopf hoch und keine Grillen gefangen, wenn auch dein Ritter einmal Geschmack an goldenem Flitter findet!“

      „Unbesorgt, Tante Margarete! Wenn man sich keine Illusionen macht, kann man auch nicht enttäuscht werden! — Ich gehe mich anzuziehen!“

      Sie neigte sich küssend über die Hand der Gräfin und war im nächsten Augenblick hinter der Portiere verschwunden.

      Frau Margarete seufzte tief auf: „Armes Kind!“

      Als Malva in ihrem Zimmer allein war, schlug sie einen Augenblick beide Hände vor das blasse Gesichtchen.

      War es möglich, dass auch schon fremde Augen beobachtet hatten, was sie doch erst wie eine unaussprechlich wehe Ahnung im tiefsten, heimlichsten Herzensgrund spürte?

      Ach, die Liebe sieht so scharf — und weil Malva den schönen, eleganten, leichtsinnigen Bonaventura so unaussprechlich liebt, darum war es heute wie ein Todesahnen durch ihre Seele gegangen. Ja, der goldene Flitter, welcher so reich und prunkhaft, so entsetzlich kalt und gleissend von Ellinors kostbarem Kleid zu ihm empor glitzerte, der gefiel auch diesem Ritter mehr, wie ein schlichtes Edelweisssträusschen, und wenn er auch anfänglich noch als verwöhnter Sieger das Goldfischchen am dünnen Faden „Eitelkeit“ zappeln lässt, so wird er es doch schliesslich selber sein, welcher Hals über Kopf in das Netz dieses goldenen Fischleins hineinstürmt!

      Wie auffällig zeigte Fräulein von Heym ihr Interesse für den gefeierten Mann!

      Graf Hochheim hatte ja jedem, der es hören wollte, recht ironisch erzählt, dass die junge Dame sich ihren Tischplatz direkt ausgesucht habe! Es sprach wohl ein gut Teil eifersüchtiger Ärger bei ihm mit, denn man wusste, dass der sehr berechnende junge Herr sich Fräulein Ellinor schon tags zuvor, nach einer etwas provozierten Bekanntschaft im Theater, zum Souper „gesichert“ hatte. —

      Es ging ihr freilich der Ruf voraus, eine nicht allzu liebenswürdige und sehr gelehrige Schülerin ihres aufgeklärten Vaters zu sein — aber was liegt an solchen Nebensächlichkeiten, wenn der goldene Flitter die Augen blendet?

      Dass er auch auf die Ohren einwirkt und sie taub macht gegen die Lehren der Freiheitsapostel, hatte die Unterhaltung bei dem Souper bewiesen. Graf Hochheim widersprach der arroganten Tischnachbarin überhaupt nicht — Bonaventura strich leider allzu schnell die Segel vor ihren banalen „Allgemeinplätzen“, welche sie, gut memoriert, als eignes Geistesfeuer leuchten liess.

      Malva hatte sogleich die Empfindung gehabt, dass alle Weisheit, welche Fräulein Ellinor aus dem Ärmel schüttelte, lediglich Zitate und nur fremde Lehre war, welche sie ihrem eignen, früchtearmen Lebensbaum aufgepfropft hatte. Oder tat sie ihr unrecht damit?

      Gewiss nicht.

      Es gibt Damen, welche um jeden Preis geistreich und originell sein wollen, darum wählen sie ohne Besinnen auch die Narrenkappe eines Tollhäuslers, um sich, die Welt verblüffend, damit zu schmücken.

      Armer Bonaventura — wie furchtbar wäre es, wenn du dieser kaltherzigen „Trägerin der Wissenschaft“, dieser Verächterin der Ehefessel und Leugnerin alles Hohen und Göttlichen zum Opfer fielest!

      Wirst auch du von dem Goldflitter betört und stürzest du in gierigem Greifen nach dem Goldfisch rettungslos in die Tiefe?

      Wie eine unheimliche Ahnung, wie das Vorgefühl von etwas namenlos Traurigem, das da sicher kommen muss und wird, hat es Malvas Herz ergriffen.

      Unter heissen Tränen hat sie während einer langen, schlaflosen Nacht von dem Glück Abschied genommen.

      Jetzt erst, wo sie es als Gewissheit empfindet, dass sie ihn verlieren wird, fühlt sie, wie heiss, wie unaussprechlich sie ihn geliebt hat.

      Wahrlich hat sie ihn geliebt?

      Sie, das ruhig und klar denkende, so kluge Mädchen, dessen Augen nie