Dietrich Schulze-Marmeling

Der FC Bayern und seine Juden


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auf die Repressalien – ein jüdisches Eigenleben in einem stärkeren Maße entwickelte als in vielen anderen deutschen Städten, wirkt ein mehrheitlich christlicher Klub mit jüdischen Funktionsträgern und vermutlich mehr jüdischen Mitgliedern als die Konkurrenten TSV 1860 und FC Wacker zumindest aus heutiger Sicht wie ein liberaler Fels in einer zusehends stärker werdenden antidemokratischen Brandung.

      Dass dieser von einem »urbayerischen« Juden geführte Klub mit einer Mannschaft, die von einem österreichisch-ungarischen Juden trainiert wird, im Sommer 1932 die Deutsche Meisterschaft gewinnen kann – zu einem Zeitpunkt also, als die Weimarer Republik bereits kollabiert und Deutschland nur noch ein gutes halbes Jahr von der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler und dem unmittelbar folgenden Ausschluss der Juden aus dem deutschen Sport trennt –, setzt dem Ganzen gewissermaßen die Krone auf.

      Zerstörung einer liberalen Fußballkultur und sportlicher Abstieg

      Dass der Deutsche Meister von 1932 in den folgenden Jahren einen sportlichen Abstieg erlitt, hatte vor allem drei Gründe:

      image Die veränderten fußballpolitischen Rahmenbedingungen nach der nationalsozialistischen Machtübernahme. Zu erwähnen sind hier die Aufwertung der Auswahlmannschaften des Verbandes (auf Kosten des Klubfußballs) sowie die Zementierung des Amateurprinzips und die damit einhergehende »Umstellung vom Spesen-Amateur auf den ›bargeldlosen‹ Amateur« (»Fußball-Woche«), wovon so mancher »Arbeiterverein« profitierte und worunter so mancher »bürgerliche Klub« litt.

      In den Jahren der Weimarer Republik gehörte der FC Bayern mit seinem Präsidenten Kurt Landauer zu den Kräften, die ein Ende der Scheinheiligkeit und eine legale Basis für die Bezahlung von Fußballspielern forderten. Im Oktober 1932 schienen diese Kräfte an ihr Ziel gelangt zu sein, aber die DFB-Führung nutzte die nationalsozialistische Machtübernahme und die folgende Neuordnung des deutschen Sports, um die Uhr wieder zurückzudrehen.

      image Die Vertreibung der jüdischen Funktionsträger und Mitglieder, namentlich des visionären und energetischen Präsidenten Kurt Landauer und des Meistertrainers und de-facto-Geschäftsführers Richard Dombi. Dadurch verlor der FC Bayern wichtige Mitarbeiter, die den Klub und seinen Aufstieg an die nationale Spitze maßgeblich mitgestaltet hatten. Die Zerstörung einer liberalen Fußballkultur und der Ausschluss der jüdischen Aktivisten bedeutete für den FC Bayern einen »gewaltigen Eingriff in sein innerstes Gefüge«, schreiben die Autoren der bereits erwähnten Festschrift aus dem Jahre 1950, aus der noch viel Verbitterung klingt. Möglicherweise ging damit auch ein Verlust von Sponsorengeldern einher, die Festschrift enthält zumindest einen zarten Hinweis darauf.

      image Die gewisse Widerständigkeit des Klubs, der eine dezidiert nationalsozialistische Führung, so lange, wie dies irgendwie möglich war, umging. Auch nach der nationalsozialistischen Machtergreifung sei der »alte demokratische Einschlag überwiegend geblieben«, heißt es in der Festschrift. Hier ist wohl etwas zu stark der Wunsch Vater des Gedanken der unbescholtenen Autoren, aber dass die Nazifizierung des FC Bayern erheblich holperiger und zäher verlief als bei vielen anderen Vereinen, ist offensichtlich. Die Jahre des Nationalsozialismus waren geprägt von einem Ringen zwischen Mitgliedern, die den Klub politisch »auf Linie« bringen wollten, sowie solchen, die sich dem FC Bayern der Zeit vor 1933 verpflichtet fühlten und seine Politisierung zu bremsen suchten.

      Anders als beispielsweise in der DFB-Führung gab es beim FC Bayern wohl tatsächlich Menschen, die den Klub auf größtmögliche Distanz zum Regime halten wollten, die versuchten, ein bisschen Weimar hinüberzuretten, und die ihre ehemaligen jüdischen Mitstreiter nicht im Stich ließen. Und die ein Gefühl für den Unterschied zwischen Recht und Unrecht behielten. Allen voran Siegfried »Siggi« Herrmann, der langjährige Mitstreiter von Kurt Landauer, der sicherlich kein erklärter Widerstandskämpfer war, aber auch kein über Leichen schreitender karrieristischer Opportunist und Kollaborateur. Von einem DFB-Boss Felix Linnemann trennte Herrmann so einiges.

      Offener Widerstand – mit der Gefahr, weggesperrt zu werden oder gar sein Leben zu riskieren – ist in Diktaturen wie dem NS-Regime für die wenigsten Menschen eine Option. Was (leider) nur allzu menschlich ist. Das Beispiel von Siegfried Herrmann und weiteren nicht-jüdischen Bayern zeigt aber, dass es noch andere Möglichkeiten gab, Anstand zu bewahren.

      Die Nazis blieben dem FC Bayern gegenüber bis zum Schluss skeptisch bis ablehnend. Wohl wissend, dass es in dem Klub unverändert Mitglieder gab, die ihren ehemaligen jüdischen Präsidenten nicht vergessen hatten und das Regime nicht mochten. Am 9. April 1943 wurde mit dem Bankier Josef Sauter erstmals ein überzeugter Nationalsozialist an die Spitze des Klubs gehievt. Sieben Monate später bestritten die Bayern ein Freundschaftsspiel im Züricher Hardtturmstadion, auf dessen Tribüne auch der emigrierte Kurt Landauer saß. Die Spieler ließen es sich nicht nehmen, ihrem Ex-Präsidenten zuzuwinken, was einer Ohrfeige für Sauter und seine Hintermänner gleichkam.

      Die Rache folgte ein halbes Jahr später. Als der FC Bayern im Mai 1944 südbayerischer Meister wurde, der einzige halbwegs erwähnenswerte Titel für den Klub in den NS-Jahren, lehnte der nationalsozialistische Oberbürgermeister eine Ehrung der Meisterelf mit der Bemerkung ab, »dass der FC Bayern bis zur Machtübernahme von einem Juden geführt worden ist«. Elf Jahre, nachdem Kurt Landauer sein Amt als Präsident »mit Rücksicht auf die staatspolitische Neugestaltung der Verhältnisse« niedergelegt hatte, und fünf Jahre nach seiner Flucht in die Schweiz war für die Nazis noch immer Kurt Landauer – und nicht Parteigenosse Sauter – die prägende Figur des FC Bayern.

      Der verspätete Rekordmeister

      Ohne die Jahre des Nationalsozialismus hätte der Aufstieg des heutigen Rekordmeisters zum Branchenführer des deutschen Profifußballs möglicherweise deutlich eher begonnen. Zumindest aber hätte der FC Bayern auf seinen zweiten nationalen Meistertitel nicht bis 1969 warten müssen, also 37 lange Jahre.

      Obwohl die Nazi-Periode zunächst einmal die weitgehende Zerstörung seiner liberalen Fußballkultur bedeutete, lässt sich beim FC Bayern doch deutlicher als bei vielen anderen Klubs ein roter Faden der Geschichte ausmachen. Je intensiver man sich mit der Zeit vor 1933 beschäftigt, desto augenscheinlicher werden die Übereinstimmungen des FC Bayern der Ära Kurt Landauer mit dem heutigen Klub.

      Der FC Bayern der Jahre 1900 bis 1933, zumal der Jahre 1919 bis 1933, war von seinem Denken her nicht so viel anders als der moderne FC Bayern. Die Identität des heutigen FC Bayern wurde zu Teilen bereits von Kurt Landauer geprägt. Unter dem »bayerischen Urgestein« Landauer wurde der FC Bayern ein »Volksverein«, blieb aber vornehm und bewahrte sich einen Rest an »Anderssein«. Der FC Bayern avancierte zu einer modernen und treibenden Kraft im deutschen Fußball. Eine Tradition, die spätestens mit dem Manager Uli Hoeneß wieder aufgenommen wurde. Es sind die Jahre 1933 bis 1945, und in sportlicher Hinsicht noch die sich anschließende Zeit bis 1963, bis zur Einführung der Bundesliga, die aus dem Rahmen fallen.

      Dieses Buch erzählt in groben Zügen die Geschichte des FC Bayern und seiner Juden. Zwangsläufig müssen dabei die politischen Entwicklungen in Deutschland, Bayern und München sowie die allgemeineren Tendenzen im deutschen Fußball mitbetrachtet werden. Dazu gehören auch der enorme Einfluss, den das Auftreten ungarischer (und vielfach jüdischer) Spitzenkicker in München auf den FC Bayern hinterließ; und natürlich die Konflikte, die moderne Klubs wie der FC Bayern München mit der Führung des DFB um die Frage des Berufsfußballs ausfochten.

      Auch werden einige Klubs gestreift, denen die Münchner auf dem Spielfeld begegneten und die ebenfalls, einige in einem noch stärkeren Maß als die Bayern, als »Judenklubs« galten. So vor allem eine Reihe von Klubs aus Wien (Austria, WAC), Budapest (MTK, VAC) und Prag (DFC, Slavia), den Metropolen des sogenannten Donaufußballs, aber auch die AS Rom, der Racing Club de Paris oder die Tottenham Hotspurs. Selbst in Deutschland stand der FC Bayern mit seinen jüdischen Funktionsträgern und Mitgliedern unter den Spitzenklubs nicht alleine, wie u.a. die Beispiele Eintracht Frankfurt und 1. FC Nürnberg zeigen. Die Begegnungen mit diesen Klubs verdeutlichen, wie