Dietrich Schulze-Marmeling

Der FC Bayern und seine Juden


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Bevölkerung anschließend verlor.

      Aber die Geschichte des FC Bayern und seiner Juden endet nicht 1933 und auch nicht mit dem Holocaust. Die letzten Kapitel des Buches widmen sich der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und der Rückkehr Kurt Landauers an die Spitze des Klubs; sie betrachten die Jahre, in denen die Vergangenheit auch beim FC Bayern in Vergessenheit geriet, und schließlich den langen und schwierigen Weg des Klubs zur Anerkennung seines »jüdischen Erbes«.

      Frühjahr 2011, Dietrich Schulze-Marmeling

      Kapitel 1

      Von Freiburg nach München: Jüdische Fußballpioniere

      Im Sommer 1993 stieg der Sportclub Freiburg erstmals in die 1. Bundesliga auf. Seither ist die Studentenstadt, die seit 2002 als erste deutsche Großstadt von einem grünen Oberbürgermeister regiert wird, aus dem deutschen Profifußballs nicht mehr wegzudenken.

      Die Saison 1994/95 beendete der Sportclub sogar als Dritter, lediglich drei Punkte trennten das vom ehemaligen Studienrat Volker Finke trainierte Team vom Deutschen Meister Borussia Dortmund. Die Breisgauer spielten den attraktivsten und modernsten Fußball der Liga und waren in aller Munde.

      Bis Ende der 1970er Jahre war Freiburgs Nr. 1 aber nicht der Sportclub, sondern der um einige Jahre ältere Freiburger Fußball-Club (FFC), der sogar 1907 Deutscher Meister geworden war. In der Saison 1968/69 verpasste der FFC nur knapp den Aufstieg in die Bundesliga. Doch seit der Saison 1981/82, als man aus der 2. Bundesliga abstieg, ist der FFC aus dem Profifußballs verschwunden. 1999 musste der von finanziellen Problemen geplagte Klub sein Traditionsreiches Möslestadion verlassen, das nun zum Nachwuchszentrum des Lokalrivalen umgebaut wurde.

      In der Saison 2010/11 war der FCC nur noch Landesligist und somit siebtklassig. Der Deutsche Meister von 1907 ist weitgehend in Vergessenheit geraten. Eine andere historische Leistung der Freiburger Fußballpioniere ist weithin völlig unbekannt: Der FFC stand Pate bei der Gründung und Etablierung des heutigen deutschen Rekordmeisters Bayern München.

      Freiburger Paten: Gus Manning und Ernst Schottelius

      Dieses Buch wendet sich daher zunächst nicht nach München, sondern nach Freiburg, denn dort beginnt die Geschichte des FC Bay ern und seiner Juden. Die Garnisonsstadt im Breisgau zählt zu den ganz frühen süddeutschen Fußballhochburgen. Die ersten Kicker sind junge Briten, die an einer englischen Militärschule auf ihren Dienst als Infanterieoffiziere vorbereitet werden. Fußball, Hockey, Cricket und Rugby sind teil ihrer Ausbildung, und ab 1889 wird auf zwei gepachteten Wiesen an der Schwarzwaldstraße gespielt.

      Am 17. Dezember 1897 gründen einige Studenten den Fußball-Club Freiburg. Sie bilden einen ziemlich polyglotten Zusammenschluss; auch ein amerikanischer Staatsbürger gehört dazu. Ein anderes Gründungsmitglied ist der 24-jährige Medizinstudent Gustav Randolph Manning, den die Versammlung im Gasthaus Allgeier auch zum ersten Präsidenten des jungen Klubs wählt.

      Der im Londoner Vorort Lewisham geborene Manning ist britischer Staatsbürger. Sein Vater ist der aus Frankfurt/M. stammende jüdische Kaufmann Gustav Wolfgang Mannheimer, der ein Unternehmen in der Londoner City besaß und auf der Insel seinen Namen zu »Manninger« anglisieren ließ. In den 1880er Jahren verkaufte Mannheimer/Manninger sein Londoner Unternehmen und zog mit der Familie nach Berlin. Dort behielt die Familie den Namen, verkürzte ihn aber später zu »Manning«.

      In Berlin traten Gustav Wolfgang Manning und seine drei Söhne Gustav Randolph (genannt »Gus«), Fridrich (genannt »Fred«) und Paul dem Berliner Cricket-Club bei. Gustav Randolph und sein zwei Jahre älterer Bruder Fred kickten in verschiedenen Berliner Vereinen, so auch dem 1893 von Dr. Hermani, dem Leiter der örtlichen »Höheren Knabenschule«, gegründeten VfB Pankow. Einer ihrer Mitspieler hieß Franz John, geboren im mecklenburgischen Pritzwalk und Sohn eines Postsekretärs.

      Fred Manning war in den 1890ern auch an den ersten (gescheiterten) Versuchen beteiligt, einen Berliner Fachverband der Fußballer aufzubauen. Später, von 1904 bis 1916, wird er als Herausgeber des Golf- und Tennis-Journals »Der Lawn-Tennis-Sport« fungieren.

      Sein Bruder Gustav Randolph Manning beginnt zunächst ein Studium an der Berliner Humboldt-Universität, 1894 geht er nach Freiburg und bezieht dort eine Wohnung in der Katharinenstraße 6. An der Albert-Ludwigs-Universität setzt er sein Medizinstudium fort und promoviert schließlich zum Doktor der Medizin.

      Auch die meisten anderen Funktionäre und Spieler des Fußball-Clubs Freiburg sind Studenten der Albert-Ludwigs-Universität. »Es waren Professorensöhne selbst, die Söhne vermögender Freiburger Kaufleute und in erster Linie auch Söhne steinreicher Handelsleute, welche, wie damals im Deutschen Reich üblich, die Stadt Freiburg als Altersruhesitz erkoren«, schreibt FFC-Chronist German Kramer. Nach sportlichen Erfolgen läuft die Mannschaft in Frack, Stehkragen und mit aus Paris importierten großen, weitrandigen, weißen Strohhüten auf dem Kopf durch Freiburgs Straßen, weshalb der Klub als elitärer »Stehkragenverein« firmiert.

      Erster Captain in der Geschichte des Vereins wird der 1878 in Würzburg geborene Medizinstudent Ernst Schottelius, Sohn des an der Albert-Ludwigs-Universität lehrenden Prof. Dr. Max Schottelius, der es dort bis zum Direktor des Instituts für Hygiene bringt. 1886 war die gesamte Familie Schottelius nach Freiburg gekommen, wo sie ein Anwesen in der Ludwigstraße 49 bezog. Die Schottelius’ sind evangelischen Glaubens. German Kramer: »Nach englischem Vorbild wurde der 1. Captain jeweils für ein Jahr von der Mannschaft gewählt. Schottelius war Trainer, Manager, Spielführer und Spieler in einer Person. Der Captain hatte das alleinige Kommando. Es gab keine Diskussionen.«

      Seine Schulzeit hatte Ernst Schottelius – wie auch seine Brüder Bernard und Alfred – u.a. auf der Rotteck-Oberrealschule verbracht. Schüler dieser Lehranstalt riefen den »Verein Freiburger Oberrealschule« ins Leben gerufen, gewissermaßen ein Vorläufer des FFC, der jedoch – wie auch andere Schülervereine – nicht im Vereinsregister eingetragen war. Die Oberrealschulen und Realgymnasien waren auffällig häufig Geburtsort erster Fußballvereinigungen. Anders als das von »lateinischer Buchgelehrsamkeit« geprägte humanistische Gymnasium begnügten sie sich mit grundständigem Latein oder verzichteten ganz auf alte Sprachen. Stattdessen wurde der Fokus auf die naturwissenschaftliche und technische Ausbildung gerichtet.

      Freiburger Juden: Die Liefmanns

      Im FFC finden auch Juden eine fußballerische Heimat. 1899 wird Harry Liefmann zum Präsidenten des Fußballclubs gewählt, ein Spross des wohlhabenden Kaufmanns Semmy Liefmann, der in Hamburg ein Vermögen mit dem Import von Kolonialwaren erworben hat. In Freiburg bezieht die Familie einen »Prachtbau« (Klubchronik) in der Goethestraße 33. Semmy Liefmann und seine Frau sind noch in Hamburg zum evangelischen Glauben konvertiert und haben auch ihre Kinder evangelisch taufen lassen.

      Harry Liefmann schlägt eine akademische Laufbahn ein und lehrt später an der Universität Halle Bakteriologie und Hygiene. Er fällt im Ersten Weltkrieg. Bemerkenswert sind Lebenslauf und Schicksal seiner Geschwister. Der Bruder, Prof. Dr. Robert Liefmann, steigt zu einem berühmten Nationalökonomen auf. Die Schwester Else Liefmann wird Medizinerin und eröffnet 1915 im Elternhaus eine Praxis für Säuglings- und Kinderkrankheiten sowie eine »Ärztliche Erziehungsberatung«. In der Weimarer Republik engagiert sie sich als Stadtverordnete für die Deutsche Demokratische Partei (DDP), der Wahlpartei vieler bürgerlicher Juden, ist Mitbegründerin des »Deutschen Ärztinnenbundes« und Gründerin der Ortsgruppe Freiburg des »Deutschen Akademikerinnenbundes«.

      Robert, Else und eine weitere Schwester namens Martha werden am 22. Oktober 1940 von der Gestapo in das südfranzösische Lager Gurs deportiert. Die Verschleppung der Liefmanns erfolgt im Rahmen der sogenannten Wagner-Bürckel-Aktion, benannt nach den Gauleitern Robert Wagner (Gau Baden) und Josef Bürckel (Gau Saarpfalz). Nach der Eroberung Frankreichs werden den beiden auch Elsass und Lothringen unterstellt – versehen mit dem Auftrag, diese Gebiete »judenfrei« zu machen. Die eifrigen Gauleiter dehnen die Deportation auf die im südwestdeutschen Reichsgebiet verbliebenen Juden aus. Für den Historiker Peter Steinbach lieferte die »Wagner-Bürckel-Aktion« eine Art »Masterplan« für die weitere Vertreibung der Juden aus Deutschland. 6.538 Deutsche jüdischer Herkunft wurden aufgefordert, sich auf der Stelle