Nataly von Eschstruth

Sehnsucht


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sie mustern wie eine Ware.

      Nein! Den Mann, den sie lieben wird, der muß von anderem, ganz anderem Schlag sein: außergewöhnlich, mit zwingenden Augen, ein Kavalier von feinster Art, toll, keck, leichtsinnig, so wie die Liebhaber in den Romanbüchern.

      Ach wie herrlich, wenn alles so gegen den Strich des Altgewohnten geht, wenn sich die Verlobung so romantisch abspielt wie jüngst in einem Buch, dessen Heldin von dem Geliebten entführt wird.

      Dieses wonnevolle Glück hat Ebba schlaflose Nächte gemacht, und ihre junge, allen Idealen zugeneigte Seele träumt sich in eine immer heißere Sehnsucht hinein, auch derartige Poesie zu erleben und ihrem Zukünftigen auf dem Pfad des Abenteuers zu begegnen.

      Auch heute starrte Ebba mit wehem Blick in die goldrot ziehenden Abendwolken empor.

      Leidenschaftlicher als je brennt ihr die Sehnsucht nach erträumtem Glück im Herzen.

      Wo soll sie es finden, wo?

      Hier auf weltferner Heide? Nie!

      Hier in der Todeseinsamkeit? Nie!

      Sie muß hinaus! Sie muß voll seligen Glaubens an die Liebe in die Welt wandern, um die Wunderblume zu suchen und zu pflücken!

      Ein ungewohntes Geräusch wurde hörbar: rollende Räder, knatternde Hufe, lautes Schreien und Peitschenknallen.

      Das junge Mädchen schrickt empor und starrt nach der Chaussee hinüber, die mit ihren ausgefahrenen Gleisen dicht am Gutshaus vorbeiführt.

      Da kommt der Postwagen, mit drei neuen Pferden bespannt, die der Posthalter erst vor acht Tagen auf dem Viehmarkt im Städtchen gekauft hat.

      Die Hammel weiden auf dem Hufeland, und der Spitz, der sie mit der kleinen Mike zusammen hütet, schießt kläffend herzu, seine Pflegebefohlenen von der Landstraße zurückzutreiben.

      Die neuen, noch wenig eingefahrenen Postpferde aber verstehen diese Fürsorge falsch und nehmen wohl an, daß der bissige kleine Köter einen Überfall auf ihre Beine plant. Sie steigen hoch auf, und ehe der verdöste Postillon sie fester in die Zügel nehmen kann, brechen sie seitlich aus und toben in den Graben hinein.

      In demselben Augenblick wird die Tür der gelben Postkutsche aufgerissen, ein Herr springt heraus – zu spät! Schon reißen die Gäule das ungefüge Gefährt herum, daß es krachend in den Graben hineinschlägt.

      Ebba stößt einen Schrei des Entsetzens aus.

      Sie sieht, wie der Reisende zu Boden gerissen wird und der Wagen über ihn stürzt.

      »Ich komme! Ich komme!« schreit sie laut auf und jagt wie auf Sturmes Flügeln über die Heide.

      Auch vom Gutshaus hat man den Unglücksfall beobachtet.

      Die Tür wird aufgerissen, Klaus Raßmussen springt mit weiten Sätzen herzu und packt das Handpferd, ehe es von den Knien hoch und aus dem Graben herauskann.

      Seitwärts aus dem Garten eilen der alte Brischau und seine Gehilfen herbei, und die drei Männer bändigen mit sehniger Faust die Gäule und kommen dem Postillon zu Hilfe.

      Den fremden Herrn hat wohl noch niemand bemerkt.

      Atemlos, mit hochroten Wangen, ist Ebba zur Stelle. Ihre jungen, kraftvollen Arme recken sich, sie packt das Rad und versucht es zu heben.

      »Vater! Brischau! Helft, ehe es ihn zermalmt!« schreit sie auf.

      Da sind auch die Pferde hoch, reißen noch einmal die Stränge wild an, und die Postkutsche ruckt ein Stück vor.

      Gottlob, der Körper des Fremden liegt frei. Das Rad ist ihm anscheinend nur über die Beine gegangen.

      Ebba wirft sich mit leisem Jammerlaut neben ihm nieder.

      Der Hut ist zur Seite geschleudert worden, ein dunkellockiges Haupt liegt wie betäubt im staubigen Gras, die Augen sind geschlossen. Lang hingestreckt liegt die schlanke, elegante Gestalt.

      Das junge Mädchen starrt atemlos in das Antlitz des Fremden, der die langen, nachtschwarzen Wimpern schon wieder hebt und sie wie geistesabwesend anstarrt.

      Alles Blut schießt nach Ebbas Herzen. Ihre Lippen zittern, als wollten sie sich zu einem Schrei des Entzückens öffnen: Herrgott im Himmel, wie ist er so schön! Ein blasses, edelgeformtes Antlitz, tief brünett, mit dem bläulichen Schimmer auf den glattrasierten Wangen, von denen Ebba so oft in den Romanen gelesen hat. Ein kleiner, dunkler Schnurrbart, die Nase gerade und über den Lippen keck abgestumpft, die Mundwinkel geneigt wie in spottendem Hochmut.

      Und erst die Augen! Groß, nachtschwarz, überwölbt von edel geschwungenen Brauen. Ach, welch ein Aufblitzen! Welch ein Ausdruck selbst jetzt in ihnen, als der Blick die junge Samariterin trifft.

      Er scheint nicht bewußtlos gewesen zu sein. Er überschaut die Situation sofort und versucht lächelnd, sich mit schnellem Ruck aufzurichten.

      Ein leises Stöhnen, ein Zucken des Schmerzes um die Lippen.

      »Können Sie mich ein wenig unterstützen, mein Fräulein?« sagt er leise in gebrochenem Deutsch. »Das eine Bein will mir nicht gehorchen.«

      Ebba erglüht noch heißer.

      »Bleiben Sie liegen! Um Gottes willen, seien Sie vorsichtig! Es könnte gebrochen sein!«

      Brischau steht schon neben ihr und mustert prüfend mit Kennerblick das Bein des Fremden.

      »In Ordnung ist das nicht, gequetscht wohl auf alle Fälle. He, Andres, pack ihn mal unter die Schultern, ob er wohl stehen kann!«

      Der Gärtnerbursche springt herzu und starrt den Reisenden sekundenlang neugierig an, dann nimmt er ihn derb unter die Arme, und Brischau stützt ebenfalls.

      Schnell legt auch Ebba mit Hand an, und sie erglüht dabei bis auf den weißen Hals herab.

      Ein kurzer, halberstickter Schmerzensschrei, ein paar unverständliche Worte in ausländischer Sprache, und der Fremde sinkt schwer gegen Andres zurück.

      »Laß aus! Liegen lassen!« ruft Klaus Raßmussen von den Pferden herüber. »Erst einen Arzt zur Stelle!«

      »Unmöglich, Vater!« schüttelt Ebba aufgeregt den Kopf. »Die Erde ist viel zu kalt, die Nebel steigen schon. Einen Augenblick! Ich hole mit den Mägden eine Matratze, und dann tragen wir ihn ins Haus.«

      »Recht so! Ja, das ist gut«, nickte der alte Brischau mit bedenklichem Gesicht, »die Kutsche ist hin. Damit kann er nicht mehr in die Stadt kommen, und ich meine auch, ein Dach muß solch ein Kranker über sich haben.«

      Frau Friederike hat den ganzen Vorfall vom Fenster aus beobachtet. Sie ist schnell verständigt und gibt die Erlaubnis. Ebba aber stürmt ins Fremdenzimmer, heißt die beiden Küchenmägde ihr folgen und reißt die große Roßhaarmatratze aus einem der Betten; sie faßt selber mit an, und nach wenigen Minuten liegt das Bett auf der Fahrstraße neben dem Fremden.

      Der Postillon hat sich hinkend an den Meilenstein am Wegrand geschleppt und wacht über die Pferde, die Klaus Raßmussen zusammengekoppelt und an den kleinen Lindenstamm gebunden hat. Der Gutsbesitzer selber ist ebenfalls neben den Fahrgast der Postkutsche getreten und besichtigt das anscheinend schwer verletzte Bein.

      »Ja, in die Stadt kommen Sie damit nicht«, sagt er in seiner wortkargen Weise. »Ist’s recht, wenn Sie den Doktor bei mir im Haus abwarten?«

      Der Fremde blickt empor und sieht in Ebbas atemlos lauschendes Gesicht.

      Trotz der Schmerzen blitzt es in den dunklen Augen auf. Er nickt, so gut er es vermag, und sagt abermals mit eigenartigem Klang und Akzent in der Stimme: »Sie sind sehr freundlich! Ich bitte darum.«

      »Dann faßt mal vorsichtig an!« kommandiert Raßmussen, und sorgsam wird der Fremde gestützt und auf die Matratze gelegt.

      Als das Bein gehoben wird, beißt er wohl die Zähne zusammen, aber als sich das junge Mädchen angstvoll über ihn neigt, lächelt er, daß die prachtvollen weißen Zähne durch das dunkle Bärtchen blitzen, und