Nataly von Eschstruth

Sehnsucht


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versteht und lächelt, ja er möchte sogar laut auflachen.

      Er weiß, daß sich der verwitwete Herr Pfarrer bis über die Ohren in die schöne Ebba verguckt hat, daß er auch voll praktischen Sinns mit der sehr vermögenden einzigen Tochter des Gutsbesitzers rechnet. Der Pfarrer und der Doktor aber sind die erbittertsten Feinde, die man sich denken kann, nicht nur scharfe politische Gegner, die sich anläßlich der letzten Wahlen nach jeder Möglichkeit entgegenarbeiten, sondern auch von früher her grimmig verfeindet, als sich die beiden Gattinnen in übler Klatschgeschichte gegenseitig das Haus verboten.

      Solch ein Haß schläft in einer kleinen Stadt nie ein, ja er währt noch über das Grab hinaus, und dem Doktor scheint der Gedanke, seinen Feind bis in das tiefste Herz und berechnende Gehirn zu treffen, geradezu entzückend.

      Ihm den Rivalen vor die Nase setzen! In das Heidehaus des Klaus Raßmussen ein Kuckucksei legen, das jeden anderen Freier sicher verdrängen wird, das ist ein Spaß, den sich der Doktor schon lange gewünscht hat.

      So hebt er auch jetzt mit wahrhaft despotischem Ausdruck in den verquollenen Augen die Hand, als wollte er die Worte des Hausherrn auf das energischste zurückschlagen.

      »Ausgeschlossen, mein lieber Raßmussen! Jeder Transport ist vorher geradezu ausgeschlossen. Ich möchte wenigstens auf keinen Fall die Verantwortung übernehmen. Darüber sprechen wir noch. Zunächst bitte ich, den Kranken in voller Ruhe hier zu lassen, bis ich sehe, ob der Gipsverband so bleiben kann.«

      Ebbas leuchtender Dankesblick trifft den Sprecher, der Graf aber dreht den schönen Kopf nach Klaus Raßmussen und fragt mit einem leichten Seufzer: »Ich störe Sie sehr, verehrter Herr Raßmussen? Sie und Ihre Damen sind sehr derangiert durch mich.«

      Da ist ein Weigern vor dem Arzt doch peinlich, und das gute Herz des blonden Mannes wehrt sich gegen eine Unbarmherzigkeit.

      Er schüttelt den Kopf.

      »Nicht um unsertwillen, Herr Graf. Aber wir sind einfache Landmenschen, und ich fürchte, wir werden Sie nicht so pflegen können, wie es für Sie nötig ist.«

      »Darüber lassen Sie sich keine grauen Haare wachsen«, ruft der Doktor vergnügt und packt seinen Verbandkasten wieder zusammen, »heute nacht kann sich der Andres einen Strohsack hier auf die Erde legen und die Wünsche des Herrn erfüllen; ich werde ihn instruieren. Morgen schicke ich den alten Philipps zur Wartung, der ist geschickt, willig und billig. Na und unsre kleine Ebba wird schon die Suppe kochen und den Patienten tagsüber verpflegen, davon bin ich überzeugt. Nun mal meinen Braunen vor den Wagen, Raßmussen, ich hab’s eilig!«

      Der Graf von Giöreczy streckt dem Hausherrn mit stummem Dank die Hand entgegen, und der Gutsbesitzer faßt sie mit bieder derbem Druck und nickt freundlich. »Ich freue mich, daß Sie bleiben, mein Herr. Was an uns liegt, soll geschehen, daß Sie gut versorgt sind.«

      Der Doktor ist weggefahren, das Ehepaar Raßmussen hat dem Fremden eine Gute Nacht gewünscht, und Frau Friederike saß sogar ein paar Minuten am Bett des Grafen, um sich an seinen galanten Dankesworten zu berauschen; dann hat Ebba noch für das Nötigste zur Nacht gesorgt und Andres ein Lager bereitet.

      Nun tritt sie an das Bett und fragt, ob der Graf noch Wünsche habe.

      »Nein, meine Gnädige, ich danke von Herzen; doch sehne ich mich in diesem Augenblick nur nach etwas Schlaf und hoffe, daß ich ihn trotz der Schmerzen finden werde. Ist es der Fall, so träume ich von meinem blonden Engel, und muß ich wach liegen, so denke ich an ihn. Gute Nacht, Fräulein Ebba!«

      Wieder hält er ihre Hand fest und zieht sie an die Lippen, und diesmal flieht sie nicht vor solcher Galanterie, sondern lächelt wie verklärt zu ihm nieder und sagt: »Gott behüte Sie! Gute Besserung!«

      Das sind selige, unvergleichliche Tage. Draußen stürzen die Regenfluten über das keimende und knospende Land, es stürmt und tost in den Nächten und hüllt am Tag die Welt in graue Schleier ein.

      Was kümmert das zwei junge Herzen!

      Ebba sitzt am Lager ihres Schützlings, der immer lebhafter und frischer plaudert und erzählt, je großartiger die Heilung von Bein und Hand fortschreitet.

      »Sie müssen vorzügliche Säfte und eine außergewöhnliche Heilhaut haben«, sagt der Doktor, »so schnell habe ich den Heilungsprozeß noch nie verlaufen gesehen.«

      »Es ist die herrliche Pflege«, lächelt der Ungar, mit leuchtendem Blick in Ebbas Augen schauend.

      »Wenn die Caritas selber an einem Krankenlager waltet, muß ja ein Wunder geschehen!«

      Der Doktor schmunzelt und macht ein Gesicht, als wollte er sagen: »Hab ich doch meine Freude dran!«

      Die Tage vergehen, es werden Wochen daraus, und der Honvedoffizier kann, auf einen Stock gestützt, durch das Zimmer schreiten, ja, der Doktor erlaubt es sogar mit ganz besonderem Ausdruck in Blick und Stimme, daß der Genesende an Ebbas Seite hinaus in das erste wonnige Frühlingsduften der Heide wandert.

      Die Winterstürme sind dem Wonnemond gewichen, und die Stunde kommt, in der Graf Lajos de Giöreczy voll glühender Zärtlichkeit den Arm um seine Pflegerin schlingt und das glückzitternde Mädchen an die Brust drückt, um Mund und Wangen mit brennenden Lippen zu küssen.

      Es liegt etwas Leidenschaftliches, Zwingendes in seiner Liebe, das sieghaft zu eigen nimmt und keinen Widerstand duldet. Und Ebba wehrt sich auch nicht.

      Ihre ganze Seele ist jauchzende, schwärmerische, alles vergessende Liebe.

      Sie hat in die dunklen Augen geschaut und ist in ihre Glückstiefe versunken.

      »Ich liebe dich, du blondes, stilles Kind, ich will dich zu eigen nehmen, du sollst mein Weib sein!« flüsterte er, und sie sitzen am Wegrain unter den blühenden Heckenrosen, Arm in Arm, fest und innig aneinandergeschmiegt.

      Da erzählt er ihr sein Lebensschicksal.

      Er entstammt einer vornehmen, ehemals reichbegüterten Familie. Als sein Vater starb, war er ein Knabe, und der große Landbesitz wurde von der Mutter verwaltet. Daß dies sehr gewissenlos geschah, ahnte er nicht, und als die lebensfrohe Frau in Paris starb und die Güter stark verschuldet hinterließ, kümmerte ihn das Defizit wenig, denn er war noch immer reich und verblieb auch zuerst in dem berauschenden Seine-Babel, wo er genug Freunde gefunden hatte, um sein Leben am Hof der schönen Kaiserin Eugenie zu genießen.

      Er hatte wohl Glück bei den Frauen, aber weniger beim Spiel; er war ein toller Geselle voll schäumender Lebenslust, der nichts wehren konnte.

      Da kam der Krieg mit Deutschland.

      Sein Besitztum in Ungarn war völlig heruntergewirtschaftet, viele Gebäude durch ein Gewitter niedergebrannt, was Wunder, wenn er sich der französischen Armee anschloß.

      Als er nach dem Friedensschluß als nervöser, unzufriedener Mann nach Ungarn heimkehrte und versuchen wollte, zu retten, was noch zu retten war, da zeigte es sich, daß er ohne Kapital auf dem Trümmerhaufen der schon so gewissenlos verwüsteten Besitzungen bankrott geworden war. Er verkaufte die Ländereien für ein Spottgeld, trat bei den Reitern ein und verjubelte in kurzer Zeit den Erlös.

      Die Verhältnisse in dem Vaterland, das ihm beinah fremd geworden war, machten ihm aber den Dienst als Offizier in einem flotten Kavallerieregiment nicht mehr möglich.

      Abenteuerlustig und heißblütig, wie er war, quittierte er als Mittelloser, um aus dem einzigen Talent, seinen großartigen, schier meisterlichen Reitkenntnissen, Kapital zu schlagen.

      Er wurde Schulreiter; erst bei einem kleinen englischen Zirkus, dann bei dem renommierten Loisette, der ihm, dem bald sehr gefeierten und umjubelten Liebling des Publikums, brillante Gage bezahlte und ihn für eine Tournee nach Deutschland verpflichtete. Ein kleines Liebesabenteuer mit einer Nichte des Direktors, die er sich weigerte zu heiraten, lösten seinen Kontrakt.

      Er gastierte aber bei anderen Unternehmen mit viel Erfolg und Glück und stand soeben im Begriff, von Bremen nach der kleinen Stadt O. zu fahren, um bei einem dort vorübergehend weilenden Zirkus ein Engagement anzunehmen,